Wedell: "Junge Firmen können sich nicht schlafen legen"

25.07.2002
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach den Pleiten am Neuen Markt und dem Platzen der Dotcom-Blase bemühen sich zahlreiche Gründerinitiativen, die Zukunftschancen junger IT-Unternehmen zu verbessern - der New Economy quasi eine zweite Chance zu geben. Mit Christian Wedell, Ex-Geschäftsführer von Microsoft Deutschland und einem der bedeutendsten "Business Angel" in der deutschen Gründerszene, sprach CW-Redakteur Manfred Bremmer .

CW: Woher nehmen Sie nach dem Niedergang der New Economy noch die Motivation, sich für Gründerinitiativen wie das Munich Network zu engagieren?

WEDELL: Dazu muss man erst einmal erklären, warum die New Economy in ihrer ersten Ausprägung gescheitert ist: Es ging primär nicht um gute Geschäftsideen, sondern um das schnelle Geld. Und einige haben sich ja auch eine goldene Nase verdient. Das war aber nicht, was mich ursprünglich interessiert hat und heute noch interessiert. Sondern die Frage, wie man erfolgreiche globale Technologieunternehmen aufbaut. Das Thema hat sich nicht erledigt, nur weil der Finanzmarkt weggebrochen ist. Im Gegenteil, es ist wichtiger denn je. Jetzt müssen sich die jungen Unternehmen darauf konzentrieren, ihre Produkte zu verkaufen und Umsatz und Gewinn zu produzieren.

Für den Aufbau einer erfolgreichen neuen Generation von IT-Firmen muss aber auch viel Geduld aufgebracht werden. Wenn Europa aufholen will gegenüber den USA, muss man sich bewusst sein, dass uns hier 40 Jahre Erfahrungsaufbau vom Silicon Valley trennen. Also mehr als eine ganze Generation - mit allen Konsequenzen. Die Entwicklungsgeschwindigkeit in den USA ist heute wahrscheinlich sogar noch schneller als früher, die Lücke wird eher größer als kleiner.

Zur Person Christian Wedell hat über 22 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie gesammelt. Der Diplominformatiker stieg 1983 bei Microsoft als Sales-Manager ein und rief die deutsche Niederlassung der Gates-Company mit ins Leben. Von 1987 bis 1996 amtierte er bei der Microsoft GmbH als Geschäftsführer und erschloss für die Redmonder die Märkte in Österreich, der Schweiz und dem osteuropäischen Raum. Nach seinem Ausstieg bei Microsoft unterstützt er als Vorstandsvorsitzender der privaten VC-Gesellschaft Copan GmbH die Expansionspläne US-amerikanischer Companies nach Europa. Wedell trat 1996 dem Vorstand des Förderkreis Neuer Technologien (FNT) bei und ist seit 2001 Vorstandsvorsitzender des daraus entstandenen Munich Network sowie des Munich Business Angel Network.

CW: Schicken Sie die Startups mit Ihrem Credo der Globalisierung nicht in eine Schlacht, die auch schon etablierte IT-Unternehmen, etwa am Neuen Markt, verloren haben?

WEDELL: Das kann man so nicht sagen: Es gibt mindestens genauso viele US-Unternehmen, die mit ihren Geschäftsmodellen baden gingen. Das ist nicht das Problem. Vielmehr, dass wir vieles tun können und müssen, um diese Pleiten zu verhindern. Dazu gehört auch eine europäische Technologiebörse und eine straffe Börsenaufsicht. Der Neue Markt wird diesen Anforderungen nicht gerecht werden. Er symbolisiert selbst die verlorene Schlacht um das schnelle Geld.

CW: Welche Fehler wurden denn in der Vergangenheit gemacht? WEDELL: Es gab auf jeden Fall Probleme beim Wachstums-Management. Mir ist oft aufgefallen, dass sich etwa die Gründer zu sehr daran klammerten, auch in der Wachstumsphase in Führungspositionen zu bleiben. Das überforderte sie oft, und im Grunde wollten sie es gar nicht. Gute Companies haben indes immer einen Weg gefunden, für jede Entwicklungsstufe das richtige Management-Team zusammenzustellen. Bill Gates zum Beispiel hat nie den Anspruch erhoben, der oberste Manager zu sein, eher im Gegenteil. Er besaß andererseits natürlich stets einen massiven Einfluss, und wer immer an der Spitze des Unternehmens stand, hatte oft auch einen schweren Stand gegen ihn.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die immer schneller werdende Technologieentwicklung. Hier kommt es zu Schwierigkeiten, wenn beispielsweise ein besser aufgestellter Konkurrent in den Markt eindringt und es nicht gelingt, sich nach außen als innovativ und technisch führend darzustellen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass eine ganze Reihe hervorragender Entrepreneure existiert, die mit den Problemen fertig werden, die richtigen Antworten finden. Unternehmer, denen es gelingt, Leute an Bord zu holen, die das Change-Management beherrschen. Junge Companies können sich nicht nach der Gründung schlafen legen.

CW: Welchen Beitrag können Initiativen wie das Munich Network dabei leisten, den Gründern auf die Sprünge zu helfen?

WEDELL: Dreh- und Angelpunkt ist der Businessplan-Wettbewerb. es gibt weltweit keinen anderen regionalen Wettbewerb, der derartige Erfolge vorweisen kann. Der Abstand zu anderen ist vielleicht nicht besonders groß, aber die meisten Firmen, die dieses Prozedere durchschritten haben, laufen und sind gut finanziert. Wobei der Erfolg nicht dem Munich Network zuzuschreiben ist, sondern es sind die Leute, die mit ihren Ideen aus den Universitäten oder Firmen heraus die Unternehmen starten.

Mit unseren Programmen verstärken wir diesen Effekt und helfen den Gründern, ihre Erfolgschancen zu verbessern und gut finanziert zu werden. Dann kommt unsere Business-Angel-Aktivität. Wir haben im ersten Halbjahr 2002 rund 200 Firmen betreut, das sind doppelt so viele wie 2001. Das ist enorm, und die Qualität ist auch deutlich besser als in früheren Jahren, da steckt viel mehr Technologie drin als früher und keine nicht funktionierenden Geschäftsmodelle.

Munich Network

Die Gründerinitiative Munich Network entstand aus dem Förderkreis Neue Technologien (FNT), der sich 1984 zur Stärkung des Technologietransfers zwischen Hochschulen und Wirtschaft konstituierte. 2001 erfolgte die Umbenennung zum Munich Network mit einer Erweiterung der inhaltlichen Ausrichtung. Paradepferd des Vereins ist der Münchner Businessplan-Wettbewerb: In den vergangenen fünf Jahren durchliefen 2000 bis 3000 Personen die von Wirtschaft und Hochschulen getragene Auswahlprozedur, mehr als 150 neue Unternehmen wurden gegründet. Die Firmen konnten sich insgesamt Startkapital in Höhe von über 150 Millionen Euro sichern und haben bis heute über 800 Arbeitsplätze geschaffen.

Das Potenzial in Regionen wie München und anderswo ist vorhanden, und wir haben zum Beispiel noch nicht einmal damit begonnen, die umliegenden Universitäten anzusprechen. Mit der Entrepreneurship-Akademie versuchen wir darüber hinaus, den Gründern Praxiswissen aus dem Management-Bereich, was etwa Marketing oder Forschung und Entwicklung betrifft, zu vermitteln. Wir haben in Deutschland einfach keine Business-Schools à la Stanford, wo jedes Jahr Hunderte hervorragende Absolventen herauskommen.

CW: Gibt es für Startups überhaupt noch Finanzierungschancen nach den teilweise sehr hohen Verlusten der Venture Capitalists und dem Crash der Börsengangmärkte?

WEDELL: Ich beurteile das Ganze nicht so negativ, wie es sich auf den ersten Blick darstellt. Man muss nur die Entwicklung etwa ab dem Jahr 1997 halbwegs objektiv Revue passieren lassen: Wagniskapitalgeber, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Privatleute wollten am Internet-Boom kräftig mitverdienen. Mit der Folge, dass allein das VC-Volumen in den USA binnen drei Jahren von 15 auf 100 Milliarden Dollar kletterte.

Dass die Blase irgendwann platzen musste, war absehbar. Jetzt sitzen die VCs auf insgesamt über 100 Milliarden Dollar, die noch nicht angelegt wurden, während das Investmentniveau wieder auf den Stand von 1997 gesunken ist; das ist nicht schlecht für die Startups. Ebenso, dass die Risikokapitalgeber jetzt wieder mit einer normalen Erwartungshaltung investieren. Nun dauert es wieder sieben bis acht Jahre, bis die VCs mit ihren Investitionen auf ihre Kosten kommen.

Dass es heute keinen Markt gibt, in dem die Beteiligten einen schnellen Börsengang anstreben, spielt dabei kurzfristig keine Rolle. Ganz im Gegenteil, es ist gut, dass Unternehmen, die erst drei bis vier Millionen Euro Jahresumsatz erzielen, heute noch nicht über den Initial Public Offering (IPO) nachdenken müssen. Ihre Hauptaufgabe besteht nun wieder primär darin, ein normales Wachstum auf die Beine zu stellen.

CW: Aber für zahlreiche VC-Gesellschaften stellt sich doch derzeit aufgrund der vielen Millionen, die in den Sand gesetzt wurden, die Existenzfrage. Für die Startups wiederum bedeutet dies eine deutliche Erschwernis bei der Kapitalbeschaffung.

WEDELL: Noch einmal: Es geht heute um Business-Building und nicht um Börsengänge. Dass das nicht spaßig ist für die VCs, die auf ihren Fonds sitzen, ist klar, aber eben deren Problem. Natürlich ist es unter diesen Bedingungen schwierig für Startups, Geld zu bekommen, aber nicht unmöglich. Die Erwartungen und Aussichten haben sich geändert, und die VCs schauen sehr viel genauer hin. Man kann aber einfach nicht behaupten, dass kein Wagniskapital mehr zur Verfügung steht. Es gibt Erst-, Zweit- und Drittinvestments, und wenn Companies sich eine mehrstufige Finanzierung sicherten, dann, weil sie zeigen konnten, dass sie sich zum richtigen Markt hin entwickeln. Diese Firmen haben kein Problem.

CW: In welchen Marktsegmenten der IT-Branche sehen Sie heute überhaupt noch Chancen für Newcomer?

WEDELL: Mit der Frage "Wo kann man eigentlich noch investieren?" befassen sich wahrscheinlich gerade alle VC-Firmen sehr intensiv. Ein starker Sicherheitsbedarf lässt sich im IT-Bereich erkennen. Dort agieren allerdings auch schon eine Reihe gut etablierter Companies, und selbst diese haben keine Technologie, die einfach handhabbar ist. Web-Services sind ein weiteres interessantes Thema. Ich bin da allerdings skeptisch, weil das meiner Ansicht nach wirklich eine Sache für die großen Companies ist, für die Plattformanbieter. Wie Paul Wahl von Siebel (Chief Operating Officer, Anm. d. Redaktion) erwarte ich bei den Plattformen eher eine Konsolidierung. Sicher haben eine große Menge von VCs viel Geld in Web-Services investiert. Ob sich das aber letzten Endes auszahlt, weiß ich nicht.

Das Thema optische Netze ist bestimmt überinvestiert, eine ähnliche Situation findet man im Bereich Speichersoftware: Diesem Segment wurde zunächst wegen des großen Internet-Booms ein exponentielles Wachstum prophezeit. Dann dachten viele Risikokapitalgeber, hier gebe es eine Menge Geld zu verdienen für Leute, die mit etwas anderem kommen wie etwa speicherfähigen Netzwerktechnologien. Diese Idee hat sich bei den VCs hochgeschaukelt, und so ist aus dem Nichts ein Markt entstanden, bevor es überhaupt ein Produkt gab.

Grundsätzlich ist es auch heute noch so, dass wenn Risikokapitalgeber in einem bestimmten Bereich ein Potenzial erkennen, gleich 150 VCs in den USA den entsprechenden Companies hinterherlaufen. Im emotionalen Überschwung wird dann in ein Segment zu viel investiert, schließlich existieren dort 25 Companies, wo eigentlich kaum Platz für vier Firmen ist. Das Sektorthema ist heute nicht mehr so wichtig. Mit anderen Worten: Es kommt auf die Qualität des Produkts und die Nachhaltigkeit des Business-Plans an.