Interview mit Tony Scott, CTO bei General Motors

Web-Services stellen kein Patentrezept dar

07.03.2003
MÜNCHEN (IDG) - Web-Services schaffen anscheinend, was bislang als nicht zu verwirklichen galt: Interoperabilität durch industrieweite Standards. Doch das hat auch Nachteile, so Tony Scott, Chief Technology Officer Information Systems und Services Organization bei dem Automobilkonzern General Motors (GM). Mit ihm sprach Carol Sliwa von der CW-Schwesterpublikation "Computerworld".

CW: Um Web-Services wird seit geraumer Zeit viel Aufhebens gemacht - zu viel, meinen manche...

Scott: Ich würde keine Technologie abschreiben, in die Großunternehmen wie Microsoft, Sun und IBM Hunderte Millionen, wenn nicht Millarden Dollar investiert haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um etwas mit Bestand und Bedeutung handeln wird, ist ziemlich groß. Für GM sind Web-Services in mehrerer Hinsicht interessant. Wir alle haben die Embryonalstadien des Internets, der EAI-Tools sowie der großen Applikationspakete durchlebt. Also betrachten wir Web-Services nicht als Patentrezepte oder das A und O, das alles andere überflüssig machen wird. Doch speziell in den Bereich Web-Entwicklung passen sie anscheinend gut: So lassen sich dort bestimmte Aktivitäten, die heute noch in jede einzelne Applikation einzubetten sind, als Web-Service herausnehmen. Der Vorteil: Wartung und Reparaturen für diesen Service lassen sich dann von einer Stelle aus zentral erledigen und müssen nicht wie bisher in Hunderten von Einzelapplikationen vorgenommen werden.

CW: Bitte nennen Sie Beispiele.

Scott: Bei GM gibt es Dutzende, wenn nicht Hunderte von Anwendungen, bei denen die jeweilige Fahrgestellnummer eines Autos (Vehicle Identification Number = VIN) eine Rolle spielt. Demnach existieren auch eine ganze Reihe unterschiedlicher VIN-bezogener Business-Regeln - etwa in Bezug auf das Baujahr eines Fahrzeugs oder dessen Reparaturhistorie -, die wir heute in jede dieser Applikationen einbetten müssen. Wir arbeiten derzeit unter anderem an der Entwicklung eines VIN-Web-Service, der die gesamte mit den VINs verbundene Logik bündelt. Die positiven Auswirkungen - etwa auf Qualität und Konsistenz - liegen dabei auf der Hand. In einem Großunternehmen wie GM gibt es zahlreiche solcher Beispiele.

CW: Web-Services sollen die Verknüpfung von Applikationen erleichtern, die mit Hilfe von Java und Microsofts .NET-Technologien erstellt wurden.

Scott: In der Tat. Im Rahmen unserer Proofs-of-Concept-Arbeit haben wir genau das getan. Wir haben die aktuellen Angebote der verschiedenen Anbieter miteinander verknüpft - allerdings nicht ganz ohne Probleme. Hinsichtlich der grundsätzlichen Interoperabilität bin ich jedoch zuversichtlicher denn je.

CW: GM setzt auf die EAI-Technik von Seebeyond Technology. Inwiefern könnten Web-Services Investitionen dieser Art in Zukunft überflüssig machen?

Scott: Als vollständigen Ersatz betrachte ich sie nicht. Wie wohl jedes etablierte Unternehmen betreiben wir noch immer eine Vielzahl von Legacy-Applikationen. In einigen Fällen handelt es sich um transaktionsorientierte Mammutsysteme, die in unserem Tagesgeschäft Schwerarbeit leisten. Die dazu erforderlichen hochleistungsfähigen Integration-Engines lassen sich demnach nicht einfach herausnehmen und durch Web-Services ersetzen.

CW: Haben Sie Web-Services bereits in Betrieb genommen?

Scott: Intern haben wir einige. Grundsätzlich tendieren wir dazu, sie in Bereichen wie unserem Financial-Services-Sektor GMAC (General Motors Acceptance Corporation) einzusetzen, also dort, wo wir nicht 60 rund um den Globus verstreute Fertigungsstätten betreiben. Im Grunde dienen diese Web-Services als Schnittstelle von Anwendung zu Anwendung - in überschaubaren Umgebungen.

CW: Welche Vorteile verspricht sich GM durch den Einsatz von Web-Services?

Scott: In meinen Augen wird der Nutzen nicht allein in den Web-Services, sondern in einem breiteren Kontext liegen, in den diese hineinspielen. Das ist die möglichst umfassende Wiederverwendung und ein von Anfang an besseres Verständnis der Architekturen. So zwingt der Einsatz von Web-Services eine gewisse architektonische Disziplin in die jeweilige Umgebung, wie sie selten zuvor vorhanden war. Man kann natürlich trotzdem alles schlampig implementieren. Richtig eingesetzt, dürften Web-Services jedoch als Katalysator für einen strukturierteren Ansatz bei der IT-Implementierung fungieren.

CW: Wo liegen Ihre Bedenken im Bezug auf Web-Services?

Scott: Zum einen in der Fragmentierung. In der Welt der Technologien hat bisher noch jeder jeden mittels proprietärer Erweiterungen oder anbieterspezifischer Add-ons zu übertrumpfen versucht. Bei allen mit der Standardisierung und der Interoperabilität einhergehenden Vorteilen ist das Thema Sicherheit aber ein weiterer Punkt, der mich beunruhigt: So können Hacker Schwachstellen als elektronische Waffe nutzen, um massive Schäden anzurichten. Die bisherige Heterogenität innerhalb der Systeme hat die IT-Industrie in gewisser Weise geschützt.

CW: Wie stehen Sie zu unternehmensübergreifenden Web-Services?

Scott: Ich denke, bis ich mich damit wohlfühlen werde, vergehen noch mehrere Monate oder sogar ein Jahr. Wesentliche Faktoren sind hier in meinen Augen die absolute Sicherheit sowie die - für GM ebenso wichtige - Skalierbarkeit des Security-Modells. So lassen sich viele Dinge zwar sehr sicher gestalten, aber nur, so lange sie in begrenztem Umfang ablaufen. Der Kompromiss zwischen Skalierbarkeit und garantierter Sicherheit ist ein ernsthaftes Problem.

CW: GM hat seinen IT-Betrieb ausgelagert. Wird Ihr Unternehmen auch die Entwicklung von Web-Services nach außen geben?

Scott: Ja, vollständig. Bei uns gibt es kein Team, das Geschäftsanwendungen codiert, programmiert oder implementiert. Unser Personal ist primär mit der Erfüllung der geschäftlichen Anforderungen sowie mit Architektur- und Designbelangen beschäftigt. Die Erstellung von Applikationen sowie Betrieb und Support sind zu 100 Prozent ausgelagert. Einer der Vorteile des Outsourcing-Modells ist meiner Ansicht nach, dass sich Geplantes rasch umsetzen lässt: Man wählt den Outsourcing-Anbieter mit dem besten Skill-Set und muss sich nicht um eine unternehmensinterne Mannschaft kümmern.

CW: Inwieweit werden Sie dem Outsourcer die Entwicklungsumgebung vorschreiben?

Scott: Das hängt von dem jeweiligen Bereich ab. Auf einigen Gebieten wird es diesbezüglich Vorgaben geben - primär aus Support- und Wartungsgründen. Wo die Wahl der Umgebung jedoch keine große Rolle spielt, lassen wir den Markt entscheiden, welches die beste Technik ist. (kf)