Visionen auf dem Prüfstand/Glaubenskrieg: DCOM versus Corba

Web-Services sind der lachende Dritte

10.01.2003
Rund um das Komponentenmodell DCOM und das Middleware-Framework Corba tobte Mitte der 90er Jahre ein Glaubenskrieg. Einen klaren Gewinner gibt es bis heute nicht. Dafür ist ein Ende der Auseinandersetzung in Sicht. Der Friedensbringer: Web-Services. Von Peter Mossack*

Mitte der 90er Jahre brachten die Schwergewichte der Softwareindustrie ihre Geschütze in Stellung. In dem einen Lager vereinten sich die nach unternehmensneutralen Standards strebenden IT-Unternehmen. Auf der anderen Seite wartete ein übermächtiger Gegner: Microsoft, der Softwaregigant aus Redmond. Gerangelt wurde um die technologische Vorherrschaft in den zentralen Schaltstellen geschäftskritischer Business-Anwendungen. Unternehmen sollten mit Hilfe neuer Techniken in der Lage sein, durch einfaches Zusammenfügen von Komponenten unternehmensübergreifende, verteilte Anwendungen zu schaffen. Wie das Ergebnis im Idealfall aussehen könnte, beschrieb Sun Microsystems damals mit "Das Netzwerk ist der Computer".

Technologisch standen den Entwicklern die Plattformen Corba (Common Object Request Broker Architecture) und COM (Component Object Model) zur Verfügung. Diese wurden von zwei Lagern unterstützt, die sich auch heute noch nicht grün sind. Auf COM-Seite des Kriegspfades wandelte Microsoft als einsamer, aber mächtiger Kämpfer. Auf der anderen Seite schmiedeten Unternehmen wie beispielsweise Sun, Oracle, Netscape und IBM eine schlagkräftige Allianz.

Corba, eine recht komplexe Infrastruktur mit stark akademischem Ansatz, liefert eine offene Plattform, über die sich Anwendungen und Objekte gegenseitig finden und verständigen. Im 1989 gegründeten Konsortium OMG (Object Management Group) unterstützen mit vereinten Kräften heute noch etwa 800 Unternehmen den herstellerunabhängigen Ansatz. Insbesondere in heterogenen IT-Landschaften machte Corba als Integrationsarchitektur schnell Boden gut.

Eher pragmatisch gab sich Microsoft mit dem rasch entwickelten DCOM-Ansatz, dem für die verteilte Anwendungsentwicklung erweiterten COM. Dieser war bei seiner Vorstellung recht spärlich dokumentiert und konnte als Standardisierungsgremium einzig die Entwicklungs- und Marketing-Abteilung in Redmond vorweisen.

Was ist aus COM und Corba geworden? Die Auseinandersetzung, die mitunter die Qualität einer Schlammschlacht erreichte, hat keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht. Die Marketing-Strategen bestimmten zunächst das Bild in der Öffentlichkeit. Beispielsweise taucht Corba im Jahre 1994 in der "Hype-List" des amerikanischen Hightech- und Cyberkultur-Magazins "Wired" auf. Das kritische Fazit rückt Corba in die Ecke einer gut lancierten Werbekampagne.

Koexistenz erwartet

Carl Carrie, Vice President Trading and Technology Research beim New Yorker Broker Tullet & Tokyo Forex, sah DCOM als den kommenden Marktstandard. Sein Argument: 90 Prozent aller Objekte sind bereits für COM entwickelt. Das war 1996. Mitte 1997 sagten die britischen Marktanalysten von Ovum in deutlichen Worten, wie es um die Zukunft von Corba bestellt sei: Die Architektur habe keine Zukunft, sei im Bereich Interoperabilität unausgereift und könne sich nicht mit dem Microsoft-Konzept messen. Dagegen sah Ovum ein enormes Potenzial in der DCOM-Technologie.

Marc Andreessen, 1997 noch Vice President Technology bei Netscape, schoss zurück und erklärte: "Microsoft wird am Ende DCOM fallen lassen und Corba unterstützen" und zwar "in nur 18 Monaten". Etwas realistischer gab sich Bud Tribble, Vice President von Sun. Er erwartet eine Koexistenz beider Technologien und machte sogar potenzielle Kriegsgewinnler aus: "Diejenigen Unternehmen werden reichlich Geld mit Software verdienen, die in der Lage sind, beide Systeme miteinander zu verbinden." Damit sollte er Recht behalten. Der Komponentenkrieg führte nämlich zu einem regelrechten Wildwuchs an Adaptern, die von Unternehmen wie beispielsweise Borland oder Iona angeboten wurden.

Einzelne Strategen in großen Softwareschmieden waren schon frühzeitig der Meinung, dass keine der Technologien die Auseinandersetzung gewinnen können würde. So entschloss man sich - eingedenk Bud Tribbles von Sun -, die Verbindung zwischen beiden Welten herzustellen: 1997 wurde die erste DCOM-Portierung für Nicht-Windows-Plattformen vorgestellt, darunter auch für 64-Bit-Unix und OS/390.

Mit der Entwicklung von Softwarewerkzeugen, die die Kluft zwischen den zwei verfeindeten Parteien überbrücken sollten, war der erste Schritt zu einer friedlichen Koexistenz getan. Letztlich hat Microsoft den DCOM-Code an ein Standardisierungsgremium übergeben, um damit den universellen Einsatz zu fördern.

Eine Lehre aus der Auseinandersetzung lässt sich damit ziehen: Ein Hype verstellt immer den Blick auf die Realität. Heute haben insbesondere die Finanzbranche und die Versicherungswirtschaft mächtige, auf Corba basierende Installationen im Einsatz. Bei der Software AG beispielsweise, die eine DCOM-Portierung für Linux anbietet, sind immer noch täglich mehrere Downloads der Software zu verzeichnen. Dies zeigt, dass Kunden, die einmal in eine Technologie investiert haben, nicht ohne weiteres bereit sind, Geld für andere Ansätze auszugeben.

Außerdem zeichnet sich ab, dass mit neuen Technologien wie Web-Services die Diskussion über eine universell einsetzbare Infrastruktur ein für allemal erfolgreich beendet ist - so zumindest die Hoffnung in der IT-Welt. (bi)

*Dr. Peter Mossack ist Vice President Research & Development der Software AG in Darmstadt.

Angeklickt

- Web-Services sollen das Versprechen einlösen, das die Komponetenmodelle gegeben haben: nämlich uneingeschränkt kompatible Softwarekomponenten.

- Kaum ein Unternehmen versucht noch ernsthaft, seine proprietären Modelle durchzusetzen.

- Die Marktteilnehmer haben diese Lektion gelernt und verzichten auf Standardisierungskriege.