Zwischen Hype und Profi-Anwendungen

Wearables im Business-Einsatz

15.01.2014
Von 
Klaus Hauptfleisch ist freier Journalist in München.
Oft noch als reine Consumer-Gagdets abgetan, haben Wearables längst das Gesundheitswesen erobert. Aber es gibt noch viele andere Profi-Anwendungen für die körpernahen Geräte.
Reparatur und Wartung sind neben der Lagerarbeit ein starker Fall für Smart Glasses wie die Vuzix M100. Die Brille nimmt dabei nicht nur wichtige Informationen auf, sondern vermittelt dem Fachmann auch solche.
Reparatur und Wartung sind neben der Lagerarbeit ein starker Fall für Smart Glasses wie die Vuzix M100. Die Brille nimmt dabei nicht nur wichtige Informationen auf, sondern vermittelt dem Fachmann auch solche.
Foto: Vuzix

Rund um die Wearable-Technologien hat sich ein Hype entwickelt, der zunächst vor allem in der Sport- und Freizeitwelt eingeschlagen hat. Mit intelligenten Puls- und Herzfrequenzmessgeräten, wie man sie bei anderen "Leidensgenossen" im Fitnessstudio beobachten kann, sind die Grenzen zum Gesundheitswesen bereits fließend. Medizintechnik ist denn auch der größte B2B-Anwendungsbereich für Wearables.

Mit den Head-mounted Displays und Smart Glasses (Smartbrillen) wie Google Glass eröffnen sich aber auch viele weitere professionelle Einsatzmöglichkeiten, besonders im Kombination mit Augmented Reality (Erweiterter Realität). Ohne diese Paarung wären Smart Glasses zum Scheitern verurteilt, zitierten die AR-Spezialisten der Münchner Metaio GmbH die Analysten von IHS auf ihrer Hausmesse insideAR. Metaio entwickelt unter anderem Interaktionsmethoden für Datenbrillen von Epson, Google und Vuzix.

Was sind Wearables?

Bei Wearable-Technologien könnte man bis ins 16. Jahrhundert zu den ersten Taschenuhren - auch als Nürnberger Eier bekannt - zurückgehen. Ebenso sind Herzschrittmacher, seit 1958 millionenfach erprobt, für Matthias Ziegler von Accenture "im Grunde ebenfalls schon Wearable Devices". Zu solchen zählt Joshua Flood, Analyst bei ABI Research, auch multifunktionale Taschenrechneruhren wie die touch-fähige Casio Data Bank VDB-1000 von 1991. Nach heutigem Verständnis würden Wearable Devices aber immer auch im Kontext mit der Anbindungsmöglichkeit gesehen, so Flood weiter. "Ausschlaggebend ist die Vernetzung der Geräte und die Datennutzung in Apps", betont Ziegler.

ABI Research unterteilt den Markt für Wearables in sieben Segmente:

  • am Körper oder am Helm tragbare Kameras

  • Smart Cloth (auch E-Cloth genannt)

  • Smart Glasses (Datenbrillen) von Vuzix, Epson (Moverio) und Google

  • Medizintechnik im Gesundheitswesen

  • Sport- und Fitness-Tracker (Erfassungsgeräte)

  • 3D Motion Tracker wie Microsoft Kinect mit SoCs der neuen Apple-Tochter Primesense

  • Smartphone-kompatible Uhren wie Samsung Galaxy Gear oder Sony Smartwatch

Welche Geräte haben großes B2B-Potenzial?

Noch sind Sport-und Fitness-Tracker ganz weit vorn im Wearable-Markt. ABI Research zufolge werden sich bis 2017 aber Smartwatches an die Spitze drängen. Der Gesamtmarkt soll sich bis 2018 ungefähr verzehnfachen.
Noch sind Sport-und Fitness-Tracker ganz weit vorn im Wearable-Markt. ABI Research zufolge werden sich bis 2017 aber Smartwatches an die Spitze drängen. Der Gesamtmarkt soll sich bis 2018 ungefähr verzehnfachen.
Foto: ABI Research

Den größten Markterfolg dürften laut ABI Research wohl die Smartwatches haben. Die Marktforscher gehen davon aus, dass sich der Wearable-Gesamtmarkt bis 2018 auf rund 550 Millionen Stück verzehnfachen, wobei Smartwatches ab 2017 zum größten Segment anwachsen sollen. Gefolgt werden sie von Sport und Fitness sowie stark aufholend Medizintechnik und Smart Glasses (Smartbrillen), wobei letztere beide Segmente bald auch Hand in Hand gehen dürften.

Für Smartwatches einschließlich Pebble sieht Flood abgesehen von der zunehmenden Erreichbarkeit kaum B2B-Anwendungen, wohl aber für Datenbrillen, die zusammen mit AR viele B2B-Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Die Cinemizer genannten 3D-Brillen von Zeiss gehören hier auch dazu. B2B-Einsatzszenarien der Zeiss-Brillen sind multimediale Ablenkung bei Zahnarztbesuchen und Angstpatienten, virtuelle Rundgänge bei der Raum- und Gebäudeplanung sowie immersives Lernen.

Sport- und Fitnessgeräte sind zwar in erster Linie Consumer-Ware, doch wenn sie dem höheren Ziel der Gesundheit dienen oder wie die miCoach-Serie von Adidas sogar zum Training der Nationalelf eingesetzt werden, wird daraus auf jeden Fall auch ein "Business Use-Case". Gleiches gilt für entsprechende Kleidung und Turnschuhe. SAP HANA kam zusammen mit Google Glass und Sensoren am Körper der Spieler auch schon beim Training der Bundesligamannschaft von Hoffenheim zum Tragen.

Bluetooth Smart und andere Enabler

Ein australisches Unternehmen namens We:Ex (Wearable Electronics) hat unter anderem diese Navigate Jacket entwickelt, welche die Trägerin über optische und haptische Signale sicher zum Ziel führen soll.
Ein australisches Unternehmen namens We:Ex (Wearable Electronics) hat unter anderem diese Navigate Jacket entwickelt, welche die Trägerin über optische und haptische Signale sicher zum Ziel führen soll.
Foto: Wearable Electronics

Die Verbindung zwischen Wearable und weiterverarbeitendem Endgerät erfolgt meist über Bluetooth. In der stromsparenden Smart-Version 4.0 ist sie mit Abstand führend bei den Anbindungstechniken, was die Bluetooth SIG (Special Interest Group) dem starken Wachstum bei Sport- und Fitnessgeräten zuschreibt, die 2013 rund 96 Prozent der Wearables ausgemacht hätten. ABI Research spricht von 61 Prozent. Gartner zufolge kommen bei Fitnessgeräten auch immer mehr sensorbasierte Kombinationen von RFID und GPS zum Einsatz. Gute Chancen als Übertragungsstandards werden auch ZigBee und NFC eingeräumt. Unverzichtbar ist das Sammeln und Ordnen großer Datenmengen. Dazu gehört auch das Sammeln von Bewegungsprofilen, wie Apple es im Co-Prozessor des iPhone S5 verankert hat.

Michael Wilmes von LG Electronic glaubt, dass die Batterietechnik zum größten Enabler wird, gefolgt von biegsamen Displays. Sein Unternehmen habe in den neuen Smartphone der G-Flex-Reihe schon biegsame Akkus und Displays verbaut. Metaio hat bei der AREngine 2 die Akkulaufzeit für Smartphones deutlich verlängert. Druckbare OLED-Displays, wie sie Seiko Epson vor zehn Jahren schon angekündigt hat, könnten die Kosten senken und zum Beispiel im Ärmel eingenäht die Bekleidungsindustrie revolutionieren.

Große Erwartungen an Smart Glasses

"Nach Smartwatches werden Smart Glasses mit Google als neuer starker Player 2014 zum nächsten großen Ding im Wearable-Markt", ist ABI-Analyst Flood überzeugt. Während Google und Epson mit den halbtransparenten Moverio-Brillen eher Consumer im Blick haben, steht beim US-Hersteller Vuzix der B2B-Nutzen sehr stark im Vordergrund. Seit im Februar 2013 die ersten Testmuster für Google Glass an Entwickler gingen, hat sich gerade an der B2B-Front vieles getan. Noch in diesem Jahr soll die Massenvermarktung für Consumer und B2B-Anwendungen losgehen. Philips und Accenture haben, zunächst noch als Machbarkeitsstudien, konkrete Einsatzszenarien für Google Glass in der Öl- und Gasbranche bei der Reparatur der Pipelines entwickelt sowie Anwendungen für den Klinikbetrieb. Aber auch Biker und Motorradfans sollen auf ihre Kosten kommen, indem sie sich im Sichtfeld des Head-up-Displays ihr Tempo und die vor ihnen liegende Strecke anzeigen lassen können.

Hands-free - mehr als eine Hand frei

Ob im Warenlager, bei der Kommissionierung oder Wartung von Maschinen, erlauben Smart Glasses das freihändige Arbeiten. SAP hat mit Brillen von Google und Vuzix schon entsprechende AR-Lösungen vorgestellt.
Ob im Warenlager, bei der Kommissionierung oder Wartung von Maschinen, erlauben Smart Glasses das freihändige Arbeiten. SAP hat mit Brillen von Google und Vuzix schon entsprechende AR-Lösungen vorgestellt.
Foto: Vuzix

In der Industrie, in bestimmten Handwerksberufen und in der Logistik werden Head-up-Displays gepaart mit AR-Lösungen schon seit Jahren erprobt und eingesetzt. Wichtigstes Plus ist das "hands-free" oder freihändige Arbeiten. In einem SiWear genannten Gemeinschaftsprojekt hat SAP in einem LKW-Werk von Mercedes-Benz eine etwas klobig aussehende Datenbrille früh in der Kommissionierung erprobt. "Worum es hierbei auch geht, ist, dass die Datenwelt des Unternehmens vor das Auge des Arbeiters gebracht wird", erklärt SAP-Projektleiter Jörg Rett. Zusammen mit Vuzix und Bechtle hat der Softwareriese ein Video (http://www.youtube.com/watch?v=9Wv9k_ssLcI) gedreht, um die Möglichkeiten im Warenlager vorzuführen. Wo Lageristen früher mit Barcode-Scannern die Regale abgingen, können sie mit der Datenbrille komplett freihändig arbeiten, während ihnen im Display und per Sprachnachricht die abzuholenden Waren mit Beschaffenheit und Ausgabeziel angezeigt werden. Dabei kann auch integriertes GPS zum Einsatz kommen.

Doch dies ist nicht das einzige Einsatzszenario in der Fahrzeugindustrie. Hersteller wie Audi, General Motors, Mercedes-Benz, Toyota und VW haben bereits AR-Lösungen für die Reparatur und Wartung der Fahrzeuge entwickelt. Damit wollen sie nicht nur Werkstätten, sondern mitunter auch Privatkunden adressieren. Entsprechende Produktstudien mit Google Glass hat etwa Metaio vorgestellt. Gartner rechnet damit, dass bis 2018 jedes zehnte Unternehmen solche Lösungen einsetzen wird und damit Milliardeneinsparungen erzielt werden.

Erste virtuelle OPs

Ein anderes SAP-Video zeigt Google Glass mit SAP HANA als Cloud-Lösung im Klinikalltag. Ärzte erhalten so bei der Stippvisite sofort Diagnosebilder, Medikamentenvorgaben und andere Informationen. Die Einsatzmöglichkeiten für Datenbrillen im Klinikbetrieb reichen bis in den Operationssaal und von dort in den Hörsaal von Universitäten oder zu Spezialisten rund um die Welt. Dies hat im August 2013 das Ohio Medical State Wexner Center mit der ersten Live-Übertragung einer OP über Google Glass gezeigt. In Birmingham haben mehrere Chirurgen mit Hilfe von Google Glass über 160 km voneinander entfernt erstmals gleichzeitig eine Operation durchgeführt, ebenso in Brasilien und im Highland Hospital der University of Alabama. Dabei wurde dem ausführenden Chirurgen vor Ort von seinem Kollegen wie mit Geisterhand das Operationsbesteck geführt. Das Evena Medical Center aus Kalifornien hat auf Basis der Moverio-Technologie von Epson eine Eyes-on genannte Brille entwickelt, mit der Krankenpersonal praktisch "durch die Haut sehen" kann, um Venen leichter lokalisieren zu können.

Gesundheits-Management mit Wearables

Die Gartner-Analysten sehen Wearables für die persönliche Gesundheit und Fitness nicht nur als reine Consumer-Ware. Viele Produkte hätten auch Potenzial für das Gesundheits-Management in Unternehmen oder als Pay-back-Köder von Krankenkassen. Die Marktforscher haben in einem Report fünf besonders "coole" Hersteller und Lösungen herausgestellt. Dazu gehört etwa MC10 mit dehnbaren elektronischen Sensoren und Schaltkreisen, die wie "digitale Tatoos" eine Reihe von Biometriedaten einschließlich EKG aufnehmen können. Erste kommerzielle Anwendung sind im Profitraining eingesetzte Checklight-Schutzkappen von Reebok mit LED-basiertem Ampelwarnsystem bei Kopfverletzungspotenzial. Zephyr Technology entwickelt mit Biomodulen Lösungen für das Physio-Monitoring (PSM) über größere Entfernungen. Dazu gehört auch ein PSM Training ECHO genanntes System, das auf bis zu über 300 Metern von bis zu 50 Sportlern mit Zephyrs Bioharness-Brustgurten oder Compression Shirts eine Reihe wichtiger Biometriedaten sammeln kann und sich im Training so mancher Profimannschaften bewährt hat. Wearable Cloth könnte nach Smart Glasses in den kommenden Jahren laut ABI-Analyst Flood ds nächste große Thema sein.

Auf dem Weg ins Cyborg-Zeitalter

Absehbar ist auch eine andere Entwicklung: Wearables werden mit Neuro- oder ITK-Implantaten künftig von außen in den Köper vordringen und damit das Zeitalter der Cyborgs oder der Mensch-Maschine-Hybriden einläuten. Der komplett farbenblind geborene britische Künstler Neil Harbisson hat mit einer Eyeborg genannten Vorrichtung aus Sensor und Kopfhörer gelernt, Farben zu hören, statt sie zu sehen. Weil er sich weigerte, diese für die Passerneuerung abzunehmen, wurde er vor zehn Jahren zum ersten staatlich anerkannten Cyborg. Die von ihm mitgegründete Cyborg Foundation widmet sich vor allem der Erforschung sensueller Substitute und setzt sich unter anderem zum Ziel, Eyeborg zum Implantat weiterzuentwickeln. Weltweit leben über 100.000 Patienten mit Parkinson, Epilepsie und schweren Depressionen schon mit Hirnschrittmachern. Der Schritt zu intelligenzfördernden und leistungssteigernden oder gar beeinflussenden Neuroimplantaten scheint nicht mehr weit. Dass das Pentagon für deren Erforschung gerade die Mittel aufgestockt hat, schreckt nicht nur Verschwörungstheoretiker auf. Ethikräte warnen nicht umsonst seit Jahren vor den Gefahren von Cyber-Rassismus.

Fazit

Wearables eröffnen viele spannende Möglichkeiten, privat wie in Unternehmen. Sie werfen aber auch eine Reihe von ethischen und rechtlichen Fragen auf. Im Dienste der Gesundheit sind Wearables sicherlich ein Segen, aber wenn das Tragen derselben vom Personalwesen zur Auflage gemacht würde, wäre das nicht mehr tolerierbar. (hi)