Was wird aus Suns Software?

23.03.2009
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Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Sun Microsystems unterhält ein breites Softwareportfolio, das sich an vielen Stellen mit IBM-Produkten überlappt.

An der New Yorker Technologiebörse Nasdaq firmiert Sun Microsystems unter dem Kürzel JAVA. Der Name kommt nicht von ungefähr. Das Management der Kalifornier will damit die Bedeutung der eigenentwickelten und inzwischen weltweit verbreiteten Programmiersprache unterstreichen. Doch trotz der hohen Akzeptanz schaffte es Sun nie, den Erfolg in klingende Münze zu verwandeln. IBM könnte dies möglicherweise besser gelingen, mutmaßen Analysten. Der IT-Konzern gehört seit jeher zu den bedeutendsten Unterstützern von Java und ist einer der großen Treiber im Java Community Process. Trotzdem hat Sun Microsystems bisher das letzte Wort, da Java sein geistiges Eigentum ist. Mit dem Zukauf würde IBM die Kontrolle gewinnen. Das könnte anderen Softwareanbietern wie Oracle oder SAP durchaus sauer aufstoßen.

In der Diskussion um die Programmiersprache wird indes leicht übersehen, dass die in der Branche gerne als Java-Company bezeichnete Technikschmiede Sun eine ganze Reihe weiterer Softwareprodukte für Unternehmenskunden offeriert, die zum Teil mit IBM-Systemen in Konkurrenz stehen. Dazu gehören vor allem Infrastrukturprodukte wie der Application Server Glassfish oder die Java Composite Application Platform Suite (Java CAPS) für Service-orientierte Architekturen (SOA). Unterm Strich offeriert Sun einen kompletten Middleware-Stack, der direkt mit IBMs breitem Websphere-Portfolio konkurriert. Gleiches gilt für Directory-, Identity-Management- und diverse Softwareentwicklungs-Tools.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der Deal in der Java-Community ein geteiltes Echo findet. Einige Entwickler befürchten etwa, dass IBM Suns NetBeans IDE (Integrated Development Environment) nicht ausreichend unterstützen und stattdessen das eigene Eclipse-basierende Toolkit bevorzugen könnte. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten würde es aus Sicht von IBM kaum Sinn geben, zwei einschlägige Entwicklungsumgebungen zu pflegen, lautet ein oft vorgebrachtes Argument.

Die Zukunft von MySQL

Ähnliches gilt grundsätzlich auch für die Datenbank MySQL, die Sun im vergangenen Jahr erworben hat. Zwar hat das Open-Source-System vor allem unter Web-2.0-Unternehmen eine Reihe von Anhängern gefunden. Doch wenn es um kommerzielle Datenbankprodukte mit entsprechender professioneller Unterstützung geht, setzt IBM voll auf die hauseigene DB2-Plattform. Open-Source-Konkurrenten wie Ingres wittern bereits Morgenluft.

IBM besitze mehr Datenbanken als jedes andere Unternehmen weltweit, meldete sich Ingres-CEO Roger Burkhardt zu Wort: "Es besteht daher die sehr reelle Möglichkeit, dass MySQL und jede künftige Innovation in dem ganzen Hin und Her einfach untergehen werden." Dazu passt die Einschätzung von Gordon Haff, Analyst bei der amerikanischen Illuminata Inc: "IBM treibt keine Open-Source-Datenbanken voran. Es treibt DB2."

Am gravierendsten könnten die Auswirkungen des Mergers auf der untersten Ebene der Softwareinfrastruktur ausfallen. Mit Solaris und dessen Open-Source-Implementierung OpenSolaris holt sich IBM neben dem eigenen AIX ein weiteres Unix-Derivat ins Haus. Erschwerend hinzu kommt, dass die Umsätze im Markt für Unix-basierende Server ohnehin rückläufig sind und IBM schon seit Jahren Linux als plattformübergreifendes Betriebssystem propagiert.

IBM gewönne Reputation

Dennoch könnte IBM am Ende von den vielfältigen Open-Source-Initiativen Suns profitieren und in der Community Anerkennung gewinnen. Immerhin verfolgen beide Unternehmen ein gemeinsames Ziel: dem Erzrivalen Microsoft Paroli zu bieten. Das von Sun vorangetriebene Büropaket OpenOffice.org passt gut zu dieser Strategie. Auch IBM nutzt den Code für die eigenen Symphony-Produkte. Dennoch ist es fraglich, wie es mit der Suite weitergehen würde (siehe Kasten "StarOffice verus IBM Symphony").

Nicht zuletzt könnte IBM mit Sun seine Cloud-Computing-Strategie stärken. Erst vergangene Woche stellten die Kalifornier mit der Sun Storage Cloud und der Sun Compute Cloud die ersten Ergebnisse einer groß angelegten Entwicklungsinitiative vor, die unter dem Namen Sun Open Cloud Platform läuft (siehe Seite 21). Würden beide Unternehmen ihre Anstrengungen kombinieren, könnten auch Großkunden ihre Scheu vor den zum Teil noch wenig ausgereiften Cloud-Angeboten verlieren.

StarOffice versus IBM Symphony

Suns Produktstrategie bei Bürosoftware ist derzeit zweigleisig. Da ist zum einen das vom Hersteller initiierte und geförderte Open-Source-Projekt OpenOffice.org, zum anderen die von Sun vertriebene kommerzielle Variante "Sun StarOffice", mit der man sich gegen Microsoft Office positioniert .

IBM macht sich mit "Lotus Symphony" ebenfalls die Bürosuite zunutze und bietet das Office-Paket mit Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationssoftware derzeit kostenlos an. Es verwendet aktuell Version 1.1.4 von OpenOffice.org und basiert auf der Eclipse Rich Client Platform, die der Hersteller zum Entwicklungswerkzeug "Lotus Expeditor" ausgebaut hat, mit dem sich mobile und Rich-Client-Anwendungen erstellen lassen. Anwender können dadurch Lotus Symphony mit anderen IBM-Anwendungen koppeln.

Laut Guy Creese, Analyst der Burton Group, bietet IBM damit vergleichbar zu Microsofts Office Software Development Kit (SDK) einen Integrationsansatz, den Sun für StarOffice nicht hat. Sollte es zur Übernahme von Sun durch IBM kommen, erwartet Creese deshalb, dass IBM StarOffice fallen lässt und Lotus Symphony den Vorrang gibt. OpenOffice.org würde demnach wie bisher durch IBM und andere unterstützt werden, so die Prognose. Mit Blick auf den Markt für Büropakete würde Microsoft nach Ansicht des Analysten durch die Fusion einen kommerziellen Wettbewerber loswerden. Die Konkurrenz aus dem Open-Source-Lager (und durch Google) bleibe aber bestehen. (as)

Stimmen zum Deal

"Wir konkurrieren auf vielen Feldern mit IBM, und ich glaube nicht, dass sich daran etwas Entscheidendes ändern wird. Bis IBM den Zukauf von Sun verdaut hat, werden mindestens ein oder zwei Jahre vergehen. Diese Zeit wird Microsoft nutzen."

Microsoft-CEO Steve Ballmer

"Aus strategischer und technischer Sicht hätte Sun optimal zu Fujitsu gepasst."

Andreas Zilch, Experton Group

"IBM treibt keine Open-Source-Datenbanken voran. Es treibt DB2."

Gordon Haff, Analyst bei Illuminata Inc.

"Alleine die Spekulation, dass IBM möglicherweise Sun kaufe, bringt eine enorme Chance für uns."

Dell-Chef Michael Dell

"Eine Übernahme Suns wäre keine Veränderung von IBMs Strategie, sondern die konsequente Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses."

Rüdiger Spies, IDC

"Wenn IBM Java kontrolliert, könnten einige Leute ausflippen, die davon abhängig sind."

Michael Cote, Analyst bei Redmonk

"Eine von IBM kontrollierte Sun würde Kunden wieder mehr Sicherheit geben und die installierte Basis stabilisieren."

Rob Enderle, unabhängiger Analyst im kalifornischen San Jose

"Sun ist ein Unternehmen, das mit der Arbeit von Eigenbrötlern groß geworden ist. Für IBM ist es entscheidend, diese Kultur zumindest teilweise zu erhalten. Sie ist einer der größten Werte von Sun."

Charles King, Analyst bei der kalifornischen Pund-IT

"Dieser Deal zielt überwiegend auf die Hardware ab – das macht etwa 45 Prozent des Umsatzes bei Sun aus. Wir denken deshalb, dass sowohl einige der Software-Assets als auch bestehende Kunden unter einer solchen Übernahme leiden könnten."

Ingres-CEO Roger Burkhardt