Was von Marktplätzen übrig blieb

27.06.2005
Viele Marktplatzbetreiber sind Pleite gegangen, haben fusioniert oder sich aus der Not heraus zu Beschaffungs- und IT-Dienstleistern gewandelt.

Kaum einer E-Commerce-Spielart wurden so goldene Zeiten prognostiziert - und kaum eine ist so abgestürzt. Die Rede ist von den elektronischen Marktplätzen. Andererseits nutzen Unternehmen Internet-basierende Verfahren für den Einkauf immer häufiger: Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) hat bei einer Umfrage im April dieses Jahres festgestellt, dass 83 Prozent der Firmen mit Hilfe elektronischer Kataloge einkaufen und rund die Hälfte E-Sourcing-Techniken wie elektronische Ausschreibungen einsetzen. An der Studie hatten 141 Unternehmen mit einem Beschaffungsvolumen von insgesamt 240 Milliarden Euro teilgenommen.

Trotz dieser Entwicklung konnten sich unabhängige Marktplätze kaum durchsetzen, wie Jörn Szegunis, Practice Manager Customer & Sales Management (CSM) am Fraunhofer ALB (Anwendungszentrum für Logistikorientierte Betriebswirtschaft), bestätigt: "Horizontale Marktplätze sind tot, nur wenige vertikale haben überlebt." Am ursprünglichen Anspruch seien sie nicht zuletzt deshalb kläglich gescheitert, weil viele Unternehmen entlang der Lieferkette nicht bereit seien, Informationen preiszugeben.

Überall dort, wo bereits eingespielte Supply-Chains existierten, seien unabhängige Marktplätze von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, so Szegunis. In Bereichen mit flexiblen Kunden-Lieferanten-Beziehungen böten Marktplätze jedoch eine Möglichkeit, neue Partner zu finden und die Transparenz des Marktes zu erhöhen.

Lieferantenportale bevorzugt

Ronald Bogaschewsky, Professor am Lehrstuhl für BWL und Industriebetriebslehre an der Julius-Maximilian-Universität Würzburg und BME-Vorstandsmitglied, hat einen weiteren Grund für den Niedergang der meisten unabhängigen Handelsplattformen im Internet ausgemacht: "Fast alle großen Konzerne haben eigene Buyside-Marktplätze installiert, über die ihre Zulieferer angeschlossen sind." Daran sei letztendlich auch Covisint gescheitert und deswegen zerschlagen worden (siehe Kasten: "Covisint-CEO erwartet Wachstum").

Vor allem in Branchen wie der Automobilindustrie, wo bereits früher Lieferanten intensiv via EDI angebunden worden seien, hätten sich sowohl horizontale als auch branchenspezifische Marktplätze kaum durchsetzen können, erklärt Bogaschewsky: "Da ging es in erster Linie darum, die sowieso stark ausgeprägte Vernetzung auf eine neue technische Plattform zu hieven." Selbstverständlich seien in diesem Rahmen neue Aspekte und Funktionen hinzugekommen, den Namen Marktplatz verdiene das allerdings nicht. Als Beispiel nennt er den Autobauer Volkswagen. Wenn VW über sein Lieferantenportal eine Ausschreibung startet, dann kann daran meist nur ein geschlossener Anbieterkreis teilnehmen. Für höherwertige Teile werden nur von VW bereits zertifizierte Zulieferer zugelassen: "Die brauchen keinen Marktplatz, um den Markt zu kennen, solche Aha-Effekte hat ein Konzern dieser Größenordnung nicht."

Bogaschewsky leugnet nicht, dass Unternehmen immer auf der Suche nach neuen und qualifizierten Zulieferern sind. Einschlägige Informationen ließen sich allerdings kaum auf Marktplätzen finden, und schon gar nicht ohne Bezahlung. Dienstleister wie Dun & Bradstreet, die entsprechende Datenbanken vorhalten, lassen sich das Wissen entlohnen.

Kaum Prozessoptimierungen

Auch rein katalogbasierende Marktplätze hatten mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Bei der Nutzung elektronischer Kataloge steht für die Unternehmen nicht ein eventuell erzielbarer Preisvorteil, sondern Prozessoptimierungen im Vordergrund. Dies erfordert jedoch Workflow-Funktionen, die Marktplätze kaum anbieten können. Deshalb setzen viele Unternehmen für die elektronische Beschaffung E-Procurement- und Supplier-Relationship-Management-(SRM-) Lösungen ein, die eng mit ihren ERP-Systemen verknüpft sind. Hinzu kommt, dass Unternehmen häufig nur eine speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitte Produktauswahl mit festgelegten Preislisten nutzen wollen.

Fusionswelle rollt weiter

Es gibt jedoch auch eine Reihe von relativ erfolgreichen Marktplätzen. Dazu zählt CC-Hubwoo, der allerdings auch als Paradebeispiel für die Konsolidierung der Online-Handelsplattformen gelten kann und mit einer entsprechend lange Fusionshistorie aufwartet: Ende 2001 schlossen sich CC-Markets und Chemplorer zu CC-Chemplorer zusammen. Hinter CC-Markets standen Schwergewichte wie BASF, Degussa und Henkel. Chemplorer war von der Telekom-Tochter T-Systems für Bayer und Chemfidence eingerichtet worden. Hubwoo ging 2003 mit Avisium zusammen und verschmolz 2004 mit CC-Chemplorer zu CC-Hubwoo. Im vergangenen Mai übernahm Letzterer dann Trade-Ranger und dürfte damit zum weltweit größten Marktplatz für die Öl-, Gas- und Chemieindustrie aufgestiegen sein. Er bietet neben mehrsprachigen Katalogen zahlreiche Zusatzdienste für E-Sourcing, Logistik sowie elektronische Zahlungsabwicklung.

Viele andere Marktplätze verfügten jedoch über keine tragfähigen Geschäftsmodelle und verschwanden ganz von der Bildfläche. Andere änderten ihre Strategie und entwickelten sich zu Beschaffungsdienstleistern. So mancher Anbieter, der es geschafft hat, die mageren Jahre zu überleben, kann sich so heute behaupten. Der BME hat im vergangenen November zusammen mit Accenture, H&Z Unternehmensberatung, Chemfidence, Portum und Oracle sowie dem Ifo Institut für Wirtschaftsforschung und PAC erstmals eine Studie über das Marktpotenzial für Beschaffungsdienstleister in Deutschland erstellt.

Neue Dienstleister

Der Branchenverband ermittelte für 2003 ein Marktvolumen von 4,2 Milliarden Euro. Davon entfallen jedoch 73 Prozent auf warengruppenspezifische Beschaffungsdienstleistungen (Logistikdienstleister, Facility-Manager oder Personaldienstleister) und nur 14 Prozent auf IT-Projektservices sowie sieben Prozent auf Anwendungssoftware und deren Wartung.

Weitere drei Prozent können Anbieter von IT- und Geschäftsprozess-Outsourcing-Diensten für sich verbuchen. Dieses Segment ist mit einem Volumen von rund 110 Millionen Euro also noch relativ klein. Die Übernahme kompletter Geschäftsprozesse macht der BME-Erhebung zufolge gerade einmal 16 Millionen Euro aus. Das Outsourcing einkaufsrelevanter Informations- und Kommunikationstechnik kommt immerhin auf 94 Millionen Euro.

Vorsichtiger Mittelstand

Dieses Marktsegement wird voraussichtlich erst dann nennenswert wachsen, wenn mittelständische Unternehmen ihre Zurückhaltung aufgeben. Allerdings sind auf deren Bedürfnisse und Einkaufsvolumina zugeschnittene Angebote erst seit relativ kurzer Zeit verfügbar. Erschwerend kommt hinzu, dass das Heer der Beschaffungsdienstleister schnell wächst. Ihre Bandbreite reicht von E-Procurement-Services wie der Bereitstellung von gehosteten Katalogen bis hin zum E-Sourcing, das die elektronische Abbildung des gesamten Einkaufsprozesses von der Bedarfserfassung über die Lieferantensuche - inklusive Ausschreibung und Verhandlungen - bis zur Vergabe des Auftrags umfasst.

Derzeit existieren leider kaum brauchbare Marktübersichten. Eine Orientierung wird auch dadurch erschwert, dass manche Anbieter fortlaufend ihre Geschäftsmodelle ändern. "Wenn der Kunde ein Problem hat, dann wird das gelöst, auch wenn es nicht zum Kerngeschäft zählt", begründet Bogaschewsky die häufigen Strategiewechsel auf Anbieterseite. Da wisse man nie, ob es sich nur um einige Projekte handle oder um ein neues Geschäftsfeld: "Das ist immer noch eine sehr junge Industrie, da geht es drunter und drüber."

Daneben kämpfen die Beschaffungsdienstleister mit einem weiteren Problem, das paradoxerweise eng mit dem Erfolg ihrer Arbeit zusammenhängt. Vor allem größere Mittelständler nutzen Serviceanbieter, um auf dem Gebiet der elektronischen Beschaffung erste Gehversuche zu unternehmen oder Testballons zu starten. Stellt sich dabei heraus, dass sich Kosten sparen und Prozesse verschlanken lassen, entscheiden sich diese Unternehmen eventuell dafür, entsprechende Lösungen selbst anzuschaffen und mit einer engen Anbindung an ihre ERP-Systeme innerhalb ihrer Firewalls selbst zu betreiben.