Was Virtualisierung für IT-Profis bedeutet

19.05.2008
Virtuelle Server sind in vielen Rechenzentren Realität. Für Berater, Administratoren und Netzplaner bringen sie neue Aufgaben mit sich.

Von Dennis Zimmer*

*Dennis Zimmer ist Fachautor in Walchwil, Schweiz.

Heinz Sedelky arbeitet als kaufmännischer Geschäftsführer für die Mightycare Solutions GmbH im hessischen Nidderau. Dass das Hype-Thema Virtualisierung nach den großen auch die mittelständischen Unternehmen erreicht hat, wirkt sich unmittelbar auf seine Arbeit aus. Der Bedarf an Beratung ist größer geworden, die Anforderungen der Kunden auch, erklärt Sedelky: "Mittelständler achten sehr genau darauf, ob und in welchem Umfang eine Virtualisierungsstrategie in der Produktion sinnvoll ist. Verwaltbarkeit und Einfluss auf die bestehende Infrastruktur sind dabei die wichtigsten Fragen. Für die Berater heißt das, die interne IT auf den Stand der Technik zu heben und den Umgang mit der komplexeren IT-Infrastruktur möglichst schnell zu lehren." Dafür bräuchten sie mehr Wissen und Erfahrung.

Auch Administratoren und Systemplaner in den Anwenderunternehmen müssen sich im Zuge der Virtualisierung nicht nur auf neue Hardware und Software einstellen. Vielmehr beginnen die Grenzen zwischen den Tätigkeitsfeldern zu verschwimmen, was auch die Organisation innerhalb des Unternehmens betrifft.

Virtualisierte Systeme lassen sich nicht mehr einfach von der Infrastruktur trennen, ihre Technologie enthält einen Teil davon. Auch wenn sich virtuelle Systeme zwischen den physikalischen Systemen ohne Ausfall migrieren lassen, kann man ohne Einblick in die Virtualisierungsschicht nicht sagen, welches System in diesem Moment auf welchem physischen Gerät betrieben wird. Der Weg ins Rechenzentrum ohne vorherige Administration der Virtualisierungssoftware führt daher sehr oft ins Leere.

Um virtuelle Umgebungen optimal betreiben zu können, benötigen Administratoren Einblick in Storage- und Netzwerkkomponenten. Grenzt man die Tätigkeitsfelder zu sehr ab, verlangsamt das die Prozesse. Da sich die Administratoren zusätzliche Informationen beschaffen müssen, können Reibungsverluste entstehen.

Virtualisierung ist ein Infrastrukturwechsel

Auch bei Bayer Business Services verschieben sich viele Aufgaben durch die fortschreitende Virtualisierung der x86 Server. Dirk Overwien, Service Manager bei Bayer Business Services, nennt zwei Beispiele: "Dank der zentralen Verwaltungssoftware lässt sich der Arbeitsspeicher einer virtuellen Maschine (VM) direkt von einem Arbeitsplatz-PC aus erweitern. Auch für das Hinzufügen von Netzwerkschnittstellen ist der zeitraubende Besuch des Rechnerraums nicht mehr erforderlich."

Um die Vorteile der x86-Server-Virtualisierung wirklich nutzen zu können, müsse die Virtualisierungsebene jedoch sorgfältig geplant, konfiguriert und betrieben werden. Die Virtualisierung entlaste die Administratoren, etwa durch die gewonnene Flexibilität bei der Konfiguration der virtuellen Maschinen. "Auch die verbesserte Homogenität der x86- Server-Landschaft führt zu effizienteren Abläufen bei der täglichen Arbeit", sagt Overwien.

Kapazitätsplanung als neue Aufgabe

Wie bei anderen Infrastrukturprojekten stehen die Ist-Aufnahme der vorhandenen physikalischen Systeme und die Überprüfung der jeweiligen Auslastung an erster Stelle. Doch dort beginnt bereits der erste Unterschied. Bisher war klar auszumachen, wie viel Performance ein bestimmtes physikalisches System benötigt: Ist es zu langsam, muss das System ausgebaut oder durch eine neue Hardware ersetzt werden. Aber es ist immer eine Eins-zu-eins-Zuordnung, die meist leicht zu berechnen ist. Durch die Virtualisierung reicht es nicht aus, die Basisgröße eines bestehenden Server-Systems als Maßgabe zu nehmen, da man in diesem Fall nur eine kleine Konsolidierungsrate bewerkstelligen kann.

Lösung des Problems ist die gezielte Kapazitätsplanung, indem die reale Leistungsaufnahme der Systeme über einen gewissen Zeitraum mitgeschnitten und anhand der Daten eine Zielstruktur geplant wird. Da eine möglichst hohe Konsolidierungsrate erzielt werden soll, um sehr effizient zu sein, werden die Server-Systeme in unterschiedliche Leistungsklassen eingeordnet und auf den späteren Zielsystemen miteinander gemixt.

Initial ist es kein Problem, diese Kapazitätsplanung und die Virtualisierung der Systeme durch externe Dienstleister einzukaufen. Ziel sollte es aber sein, dass der Administrator diese Schritte selbst gehen kann.

Nach der Virtualisierung fällt einerseits ein Teil oder sogar ein Großteil der physikalischen Hardware inklusive Wartungsarbeiten weg. Andererseits verändert sich die allgemeine Verwaltung, da die physikalischen Einzelsysteme durch den Betrieb vieler virtueller Systeme darauf wichtiger werden. Die Anzahl der gesteckten Ethernet- oder Fiber-Channel-Anschlüsse erhöht sich pro Einzelsystem, und deren Funktion muss genau dokumentiert werden, um Ausfälle zu vermeiden.

Vom Administrator zum Projektleiter

Die Einrichtung von Redundanzen und hochverfügbaren Systemen erfordert mehr Planung bei der Implementierung und mehr Vorsicht beim Betrieb. Selbst kleine Fehler am Host-System können den Ausfall vieler Server nach sich ziehen. Da Änderungen und Wartungsarbeiten an den zentralen Komponenten oft mit umfangreichen Ausfällen einhergehen können, stehen die Administratoren auch emotional unter Druck. Durch die neue Infrastruktur kommt es daher auch zu organisatorischen Änderungen. Selbst wenn mehrere Abteilungen für die unterschiedlichen Themen zuständig sind, läuft alles beim "Virtualisierungsexperten" zusammen, da dieser die Vorgaben machen muss. Virtualisierung zentriert alle Infrastrukturthemen wie Server, Storage, Netzwerk, Backup und Sicherheit.

Administratoren im Virtualisierungsumfeld müssen zwar nicht zwingend die Konfiguration der externen Peripherie kennen, allerdings ist das Wissen um die Zusammenarbeit zwischen Virtualisierungssystemen und Infrastruktur sehr wichtig. Virtualisierungsverantwortliche müssen die Änderungen in der Infrastruktur mitkoordinieren. Die Rolle des Administrators geht in vielen Fällen langsam, aber sicher weit über die bisherigen Tätigkeiten hinaus und wird eine zentrale Rolle mit Aufgaben eines Projektleiters. Alle bisherigen Tätigkeiten, die Betriebssystem und Applikation betreffen, bleiben bestehen, da keine Applikationen entfallen. Sie werden durch die Bedienung der Virtualisierungsprodukte, P2V (Physical-to-Virtual) Migrationen, Template-Erstellung und Automatisierungsmöglichkeiten ergänzt.

Bewegt man sich in der virtuellen Infrastruktur, ist das Verständnis für die "neue" Art der Verwaltung und die damit neu entstandenen Möglichkeiten enorm wichtig. Viele administrative Tätigkeiten lassen sich sehr einfach vom Arbeitsplatz aus verwalten, ohne dass weitere Programme oder Hardwarekomponenten eingeführt werden müssten. Und ein mangelndes Verständnis führt schnell zu mehr statt weniger Arbeitsaufwand. Tätigkeiten wie das Einlegen physikalischer CDs in den Server oder das Abklemmen von Netzwerkkarten gehören der Vergangenheit an. Sogar das Verschieben virtueller Maschinen von einem Netzwerk in ein anderes braucht meist weniger Mausklicks. Themen wie Sicherung und Sicherheit bewegen sich durch virtuelle Systeme in eine neue Richtung. Durch die Konsolidierung und die einfachen Möglichkeiten von Imagesicherungen kann sich das Datenaufkommen beziehungsweise das Datenaufkommen pro physikalisches System erhöhen.

Firmen ziehen Berater hinzu

Insofern kann man durchaus behaupten, dass so mancher Administrator aufgrund der Virtualisierung mehr belastet ist als zuvor. Zwar werden Tätigkeitsfelder vereinfacht, und es existieren wesentlich mehr Automatisierungsmöglichkeiten.

Trotzdem muss sich der Administrator gedanklich auf die Virtualisierung einstellen und zusätzliche Produkte erlernen. Dies bestätigt auch Sven Kempf, Teamleiter für PC-Server-Systeme bei der BHF-Bank AG: "Die Administratoren, die die `Infrastruktur` VMware betreiben, haben einen etwas höheren Aufwand als vorher. Sie denken über die Einführung neuer Versionen nach und stellen sicher, dass genügend Ressourcen für alle Anforderungen zur Verfügung stehen. Außerdem sind sie verantwortlich für allgemeingültige Prozesse wie VMware Consolidated Backup oder Distributed-Resource-Scheduler (DRS)- und Hochverfügbarkeits-Einstellungen." Der größere Teil der Administratoren bei der BHF-Bank AG, die sich mit einzelnen Plattformen wie Windows-, Citrix- oder Novell- Servern befassen, profitiere jedoch von der Virtualisierung, so Kempf weiter: "Der einzelne Administrator muss sich keine Gedanken mehr machen, wie er jeden einzelnen, von uns angebotenen Applikationsservice durch je einen dedizierten Produktions- und Backup-Server verfügbar hält. Er erstellt nur noch eine virtuelle Maschine und überlässt das Thema Verfügbarkeit dem High-Availability- und - DRS-Cluster. Da jede virtuelle Maschine im aktiven Zustand mittels Consolidated Backup nachts gesichert wird, wachsen uns auch im Falle eines Totalverlustes einer VM nicht mehr allzu viele graue Haare."

Eine Server-Virtualisierung ist komplex, deshalb ziehen viele Unternehmen anfangs externe Berater hinzu, die das Projekt leiten und die Produkteinführung betreuen. Weil es sich meist nicht mehr um dedizierte Applikationen, sondern umfassende Infrastrukturen handelt, spezialisieren sich auch Berater auf Server-Virtualisierung.

Deren Arbeit wird dann als wertvoll empfunden, wenn sie die Virtualisierungsprodukte sowie den Aufbau und Betrieb von Netzwerk- und Speicherinfrastruktur kennen. Zugleich sollten sie aufzeigen, was durch Virtualisierung alles im Unternehmen möglich ist und wo Verbesserungspotenzial besteht. VMware vergibt die Zertifizierung VCP (VMware Certified Professional), die Grundkenntnisse der VMware-Infrastrukturprodukte belegt. Das Zertifikat ist in den USA sehr anerkannt, wird aber auch hierzulande beliebter und als Beleg für einen guten Wissenstand zur Virtualisierung mit VMware gesehen. (am)

Mehr zum Thema Virtualisierung……

…finden Sie im Wiki der COMPUTERWOCHE unter http://wiki.computerwoche.de/doku.php. Dort gibt es unter anderem eine ausführliche FAQ-Liste, die grundlegende Fragen beantwortet: Wie funktioniert die Server-Virtualisierung?, Welche Formen der Server-Virtualisierung unterscheidet man? Was versteht man unter Komplettvirtualisierung? Wann lohnt sich die Virtualisierung von Servern? Wie steht es um die Verfügbarkeit virtueller Server?

Hier lesen Sie

- welche Aufgaben durch Virtualisierung wegfallen;

- wie virtuelle Server die Tätigkeiten von Administratoren und Systemplanern verändern;

- was ein "Virtualisierungsexperte" alles können muss.