Fake News

Was tun gegen Fake-Nachrichten?

Kommentar  27.12.2016
Von 
Stefan Geißler ist Geschäftsführer der Expert System Deutschland GmbH. Zu seinen Kernkompetenzen zählen sämtliche Bereiche multilingualer Technologien für Cognitive Computing und Künstliche Intelligenz. Zuvor war Stefan Geißler 16 Jahre Geschäftsführer sowie Gründungsmitglied der TEMIS GmbH, die 2015 von Expert System akquiriert wurde und sieben Jahre als IT-Spezialist am wissenschaftlichen Zentrum der IBM. Stefan Geißler hält einen M.A. in Computerlinguistik.
Beim Thema Fake-Nachrichten müssen Netzöffentlichkeit, Politik und Medien gemeinsam handeln - und auch Technologie kann dazu beitragen.

Der Begriff "postfaktisch" wurde von den Oxford Dictionaries zum internationalen Wort des Jahres gewählt. In diesem Wort drückt sich die Tendenz aus, dass in der öffentlichen Diskussion überprüfbare Tatsachen ihren maßgeblichen Stellenwert bei der Bewertung eines Sachverhalts verloren haben. Stattdessen scheinen Stimmungen und Bauchgefühle inzwischen bei mehr und mehr Menschen mindestens gleichberechtigt, wenn nicht sogar überwiegend Entscheidungen zu komplexen Fragen zu beeinflussen.

Gefährlich: Der Mensch neigt dazu, ihm passenden Gefühlen und Spekulationen mehr zu glauben als Tatsachen.
Gefährlich: Der Mensch neigt dazu, ihm passenden Gefühlen und Spekulationen mehr zu glauben als Tatsachen.
Foto: Shutterstock - wwwebmaster

Von punktuellen Debatten wie dem Für und Wider zum Impfen von Kindern bis hin zu weitreichenden Themen wie Wahlen und Referenden ist zu beobachten: Eine Position, die von Fachleuten mit guten Argumenten vertreten wird, gewinnt dadurch nicht mehr automatisch an Gewicht, sondern im Gegenteil. Eine solche Position ist in den Augen vieler inzwischen gerade wegen der Argumente von "Eliten" und "Expertinnen und Experten" verdächtig und erfährt dadurch oftmals Ablehnung.

Misstrauen gegen Experten

Diese wachsende Skepsis dem Expertentum gegenüber spielen Trends in der digitalen Medienlandschaft in die Hände, die diese Entwicklungen weiter verstärken. Spektakuläre, nicht belegte Behauptungen sind im Netz schnell erstellt und veröffentlicht und noch schneller in den sozialen Medien geteilt. Eine spätere Richtigstellung erreicht oft nicht mal mehr einen Bruchteil der Leser der ursprünglichen Falschmeldung.

Eine spätere Richtigstellung erreicht nur einen Bruchteil der Leser der ursprünglichen Falschmeldung.
Eine spätere Richtigstellung erreicht nur einen Bruchteil der Leser der ursprünglichen Falschmeldung.
Foto: Thomas Pajot - shutterstock.com

Und im Suchergebnis zu einem komplexen Thema steht oft die Stellungnahme eines renommierten wissenschaftlichen Instituts in Größe und Format direkt neben der Einzelmeinung eines pensionierten, meinungsstarken Aktivisten, der aus seiner Dachstube mit aller Macht, die das Internet ihm gibt, dagegenhält. Das ist sein gutes Recht und die Bedeutung des Netzes als Plattform, die es jedem Menschen erlaubt, seine Meinung offen zu vertreten und mitzuteilen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und doch wird immer mehr deutlich, dass die Möglichkeit, sich ohne Rücksicht auf Fakten mitzuteilen, auch Gefahren mit sich bringt, auf die es gegenwärtig noch kaum Antworten gibt.

In einem nachdenklichen Artikel spekuliert in diesem Zusammenhang Tim O'Reilly über die Frage, wie sich daher mit digitalen, algorithmischen Mitteln Orientierung in der Vielzahl von konkurrierenden Meinungen schaffen ließe. Dabei geht er ganz pragmatisch davon aus, dass es nicht darum geht, eine irgendwie geartete Künstliche Intelligenz (KI) die Frage beantworten zu lassen, was denn die beste Antwort sei - diese KI gibt es derzeit schlicht noch nicht. Sondern vielmehr, dass eine Stellungnahme automatisch hinsichtlich einiger einfacher Kriterien abgeklopft würde: Ist für die Behauptung eine Quelle angegeben? Findet sich in der angegebenen Quelle die zitierte Behauptung wieder? Was für eine Art Quelle ist dies? Gibt es mehr als nur diese eine Quelle? Wenn ja, sind die Quellen voneinander unabhängig?

Viele dieser Fragen lassen sich mit einigem Aufwand durch skeptische Leserinnen und Leser beantworten. Aber gleichzeitig sind sie überraschend gut auch durch Verfahren, wie sie etwa in der Bibliometrie verwendet werden, abbildbar. Selbst wenn die Algorithmen weit davon entfernt sind, ein Argument inhaltlich bewerten zu können. Dagegen sind Computer eben tendenziell sehr gut darin, Verweise zu verfolgen oder Quellen anhand von Metriken zu bewerten.

Eine Option, mit einem solchen Bewertungsergebnis zu verfahren, fährt O'Reilly fort, könne dann z.B. das Kennzeichnen von Beiträgen sein, die hinsichtlich dieser Kriterien auffällig sind. Ungeklärt bleibt aber zunächst, wo denn dieses Kennzeichnen stattfinden solle: Dubiose Nachrichtenseiten, die mit aufgebauschten oder gar erfundenen Nachrichten Nutzer anlocken, haben daran sicher kein Interesse.

Plattformen wie Facebook oder Google, die sich weniger als Urheber denn als Vermittler von Inhalten an Nutzer verstehen, werden ebenfalls zögern, ihre Nutzer in deren jeweiligen sozialen Blase zu irritieren, indem Nachrichten mit einem Warnhinweis "Achtung: möglicherweise nicht belegbar!" versehen werden. Den Versuch, mit solchen Mitteln der Flut falscher Nachrichten Herr zu werden, verglich Jeff Jarvis in der ZEIT mit dem Vorhaben, dem Geschwätz aller Betrunkener in allen Kneipen des Landes zu begegnen.

Gefordert: Gesunde Skepsis

Es wird wohl nicht ohne eine Stärkung der Medienkompetenz im allgemeinen gehen: So wie die Mehrzahl der Nutzer des Internets mittlerweile gelernt hat, nicht mehr blindlings auf jeden Link in einer unaufgefordert zugeschickten E-Mail zu klicken, in der einem ein Hauptgewinn versprochen wird, so werden wir uns hoffentlich Reflexe antrainieren, die die unüberlegte Weiterleitung von verdächtigen Nachrichten aus sozialen Medien zunächst unterbinden. Wer steht schon gerne am nächsten Tag als gutgläubiges Schaf da, das schon wieder einem Schwindel aufgesessen ist. Bei der Bewertung der Nachricht können dann algorithmisch unterstützte Plausibilitätstests, wie die von Tim O'Reilly vorgeschlagenen, gute Dienste leisten und repetitive Aufgaben übernehmen.

Gegenwärtig finden die technischen Möglichkeiten, mit Falschmeldungen auf Stimmenfang oder die Jagd nach Werbeeinnahmen zu gehen, noch leichtgläubige Nutzer, untätige Internetunternehmen und eine passive Politik vor. Aber es steht zu hoffen, dass Entgleisungen, wie die im US-Wahlkampf 2016 in naher Zukunft als Höhepunkt einer Fehlentwicklung gelten werden, vor der sich die Netzöffentlichkeit wieder mehr und mehr von postfaktischem Geschrei abwendet und dabei sowohl von geeigneten Softwarewerkzeugen wie auch von Medienunternehmen und einer Politik unterstützt werden, die sich gemeinsam einem Abgleiten unserer Gesellschaften in ein Delirium aus Wahrheitsverdrehungen und Ressentiments entgegenstellen.

Ente 2.0: Gesunde Skepsis kann ein Mittel gegen Fake-News sein.
Ente 2.0: Gesunde Skepsis kann ein Mittel gegen Fake-News sein.
Foto: Ondrej Chvatal - shutterstock.com

Ein Label für vertrauenswürdige Nachrichten

Was also tun? Ist es vorstellbar, dass sich die Akteure, die an einer an belegbaren Fakten orientierten öffentlichen Diskussion ein Interesse haben, also Medien, der Staat und gesellschaftliche Gruppen, an einem Label beteiligen - einer Kennzeichnung, die wie ein Wasserzeichen solche Medienbeiträge und Posts erhalten, die die Kriterien, wie die von Tim O'Reilly beschriebenen, erfüllen?

Die automatische, softwaregestützte Validierung durch eine unabhängige Instanz könnte sich als ein Qualitätsmerkmal etablieren, eine Zertifizierung, wie wir sie in anderen Bereichen der Wirtschaft kennen, in denen beispielsweise Teppiche kenntlich gemacht werden, die ohne Kinderarbeit entstanden sind oder Nahrungsmittel, die ohne künstliche Zusätze produziert wurden. Plugins für Internet-Browser oder für Social-Media-Apps führen auf Wunsch der Nutzer im Hintergrund dieselben Checks auf den gerade angezeigten Inhalten durch.

Diese News ist als Fake-News gekennzeichnet.
Diese News ist als Fake-News gekennzeichnet.
Foto: Facebook

Nutzer mit dem entsprechenden Wissen werden in vielen Fällen die Räuberpistolen, auf die ihre weniger achtsamen Freundinnen und Freunde hereinfallen, augenblicklich als solche entlarven: "Ja, habe ich auch gesehen. Leider stammt das von der bekannten Krawallseite XYZ. Drei der im Text genannten Personen haben dem Bericht bereits widersprochen und außerdem gibt es in Regensburg gar kein Schwimmbad dieses Namens …"

Viele Kräfte, die aus unappetitlichen Gründen Zwietracht und Verwirrung säen, nutzen die technischen Möglichkeiten des Internets inzwischen virtuos. Es wird Zeit, dass die Zivilgesellschaft mit den entsprechenden Mitteln, technischen, bürgerschaftlichen wie rechtlichen, dagegenhält. (mb)