Was sind die Hauptschwierigkeiten bei der Umstellung der Materialwirtschaft auf EDV?

21.01.1977

Bei vielen Industrieunternehmen steht der Aufbau einer EDV-gesteuerten Bestandsführung und Materialwirtschaft im Mittelpunkt der Automatisierungsvorhaben. Bei richtiger Beurteilung des Materialanteils an den Herstellungskosten eines Erzeugnisses läßt sich die Bedeutung einer effizienten Materialwirtschaft erkennen: Er liegt zwischen 30 und 50 Prozent und übersteigt damit häufig sogar die Fertigungslöhne. Aber nur die gezielte Anwendung der EDV ermöglicht den Einsatz echter und wirkungsvoller Planungs- und Kontrollmaßnahmen zur exakten Ermittlung des Bedarfs und Überwachung der Bestandshöhe und -entwicklung. Hard- und Software-Werkzeuge hier für stehen zur Verfügung, dennoch gibt es gerade in diesem Bereich oft Probleme. Drei Anwender berichten darüber.

Walter Huber, Leiter der EDV, Friedrich Deckel AG, München

Die ersten Überlegungen, für Aufgaben der Materialwirtschaft DV einzusetzen, wurden 1967/68 angestellt. Mitte 1969 entschlossen wir uns zur Einsatz des IBM-Modularprogrammpaketes PICS. Es wurde ab 1970 stufenweise eingeführt. Die wesentlichen Teile einschließlich aller selbstprogrammierten Module sind seit Anfang 1972 vollintegriert im Einsatz.

Sowohl die Konzeption als auch die Einführung erfolgte durch gemeinsame Projektteams der Fertigungssteuerung und Datenverarbeitung. Die gute Zusammenarbeit war neben der klaren Zielsetzung durch die Geschäftsleitung wesentliche Voraussetzung für das Projekt.

Die wichtigsten zu lösenden Probleme unter Berücksichtigung einer differenzierten und vielstufigen Produktstruktur waren: Stücklistenaufbau einschließlich Variantenproblem, Methoden der Primärbedarfsermittlung einschließlich Abstimmung von Vertriebs- und Produktionsplan, Ermittlung und Überwachung der Dispositionsparameter, insbesondere der Vorlaufverschiebung, Führung der Reservierungen, Ermittlung der jeweils möglichen Bedarfsvorhersageverfahren.

Rudi Werner, Leiter EDV und Org., Rheinhütte AG, Wiesbaden

Im Hause Rheinhütte läuft die maschinelle Disposition bereits seit etwa vier Jahren problemlos. Allerdings brachte ich bei Übernahme dieses komplexen Bereiches gute Voraussetzungen mit: Als einer der ersten Mitarbeiter an der Materialwirtschaft auf EDV bei der Knorr-Süd-Bremse in München konnte mein Know-how bei meiner Rückkehr in meine Heimatstadt diese Arbeit wesentlich erleichtern: Innerhalb von eineinhalb Jahren wurde die maschinelle Disposition zum Laufen gebracht - der schätzbare Zeitaufwand für ähnlich komplexe Konzepte liegt normalerweise bei etwa vier Jahren.

Probleme tauchen bei fast allen Unternehmen auf, die ihre Materialwirtschaft auf EDV übernehmen wollen - sie beginnen bei der Produktstruktur: Werden nur Serienprodukte wie zum Beispiel Kühlschränke oder Fernseher hergestellt, ist es einfacher, die maschinelle Disposition einzuführen. Aber bei einem Unternehmen mit ganz spezieller Varianten-Fertigung bei dem es eigentlich gar kein Standard-Produkt mehr gibt, beginnen bereits die Schwierigkeiten.

Die wichtigste Voraussetzung bei der Realisation eines solchen Konzeptes aber ist daß man den Verantwortlichen in den Fachabteilungen seine Vorstellungen deutlich verständlich machen kann.

Als ich diese Aufgabe hier übernahm, war die maschinelle Disposition ein völliges Neuland - meine Gesprächspartner waren durchaus keine EDV-Experten und standen diesem Vorhaben sehr kritisch gegenüber. Die Hard- und Software steht uns heute zur Verfügung, entscheidend für das Gelingen aber ist eine bewährte Standard-Software im Sinne des IBM-Modularprogramms PICS/RP sowie eine firmenspezifische Rahmenorganisation mit integrierenden Verbindungselementen innerhalb der Absatz-, Material-, Zeitwirtschaft. Wichtig ist, ein solches Konzept in Stufen zu realisieren - bei ähnlich strukturierten Unternehmen, wie wir es sind, kann das bis zu vier Jahre dauern. Bei der Rheinhütte wurde in der ersten Stufe eine Stücklisten- und Auftragsverwaltung eingeführt, dann die dazugehörigen Arbeitspläne. Als nächstes wurde die Führung der Lagerbestände -mit Offline-Erfassungsgeräten in Angriff genommen Nächste Stufe: Maschinelle Verwaltung der bis dahin manuell bearbeiteten Bestellungen. Parallel hierzu führte ich die Brutto-Bedarfsrechnung per EDV ein - in dieser Phase errechneten die Disponenten den Nettobedarf noch manuell aus, um sich an das System zu gewöhnen.

Heute ist die Netto-Bedarfsrechnung integrierter Mittelpunkt unserer gesamten Auftragsabwicklung.

Wir disponieren alle 14 Tage, jeweils am Wochenende läuft die Materialwirtschaft etwa 30 Stunden lang über den Computer, als Ergebnis erhält der Sachbearbeiter in Einkaufs- und Fertigungssteuerung eine genaue Definition der erforderlichen Bestellungen auf seinen Schreibtisch.

Im Rahmen der Rheinhütte-Netto-Dispositionsrechnung ist der Einsatz von Bildschirmen nicht erforderlich.

Wolfgang Koppmeyer, Hauptabteilungsleiter Organisation, Schubert & Salzer AS, Ingolstadt

Vor drei Jahren wurde bei uns mit der Realisierung der Materialwirtschaft auf EDV begonnen. Bis zum heutigen Tag konnten noch nicht alle Aufgaben eines derart komplexen Systems zufriedenstellend gelöst werden, aber die wesentlichen Schritte dahingehend sind schon getan. Unsere Materialmengen konnten reduziert, die Übersichtlichkeit erhöht werden und - ein ganz wesentlicher Punkt für das Funktionieren der Materialwirtschaft - das Personal ist optimal eingesetzt.

Die Basis hierfür war die Installation des Modularprogramms PICS von IBM, speziell der Baustein IC (Inventory Control). Der RP-Baustein (Requirements Planning) sollte zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Leider stellte sieh dann heraus, daß dieser Programmteil unsere Anforderungen nicht zufriedenstellend losen konnte: Die speziell im Maschinenbau auftretenden Gegebenheiten, wie Einzelanfertigungen, Kleinserien sowie laufende Umterminierung von Aufträgen wurde nicht ausreichend berücksichtigt.

Deshalb haben wir mit einem kleinen Mitarbeiterstab aus allen Fachabteilungen begonnen, spezielle Konzepte - eigens auf unsere Belange zugeschnitten - zu entwickeln.

Mit dem von uns erarbeiteten Konzept wurde eine einstufige Stückliste aufgebaut, konstante und variable Teile unterschieden und entsprechend disponiert, in den Lagern das Material grundsätzlich chaotisch gelagert sowie Ersatzteile in einem eigenen Lager untergebracht.

Die größten Probleme, die sieh uns bei diesen Einführungsphasen immer wieder in den Weg stellen, waren die enormen Materialbewegungsmengen und die Verarbeitungszeit, bezogen auf die aktualisierten Daten: Die herkömmlichen Zugangs- und Entnahmekarten gelangten nicht mehr "tagfrisch" zur Verarbeitung, da etwa 100 000 derartige Belege im Monat anfielen. Dieses Problem wollen wir durch den Einsatz von Terminals in den Lagersteuerstellen in den Griff bekommen.

Schwierig war es auch, die 120 000 Teilestammsätze aktuell zu verwalten sowie in den Fachabteilungen Direktzugriffsmöglichkeiten zu den Erzeugnisstruktur- und Teilestammsätzen zu schaffen.

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