Was sind die Aufgaben eines CIO?

29.03.2001
Rund 4000 IT-Fachleute arbeiten in der Düsseldorfer Eon-Gruppe, die im vergangenen Jahr aus dem Zusammenschluss der Konzerne Viag und Veba mit den Divisionen Energie und Chemie entstand. Die Aktivitäten all dieser Menschen zu koordinieren und eine gemeinsame IT-Strategie zu entwickeln gehört zu den Aufgaben von Chief Information Officer (CIO) Gisela Wörner. Mit der ranghöchsten deutschen IT-Frau sprach CW-Redakteurin Karin Quack über die Rolle des CIO in einem langsam zusammenwachsenden Konzern.

CW: Der Titel Chief Information Officer suggeriert eine Position, die über einem IT-Leiter angesiedelt ist. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

WÖRNER: Zunächst einmal ist CIO keine geschützte Berufsbezeichnung, die nur auf bestimmten Hierarchieebenen angesiedelt ist. Auch in mittleren Betrieben ist diese Position gang und gäbe - zumeist dann, wenn sich das Unternehmen international ausgerichtet hat.

Gisela Wörner ist Chief Information Officer bei Eon.

Der Begriff stammt ja von den Amerikanern. Ich war wohl eine der ersten, die sich so genannt haben.

CW: In einigen Konzernen, beispielsweise in der Siemens AG, gibt es heute sogar mehrere CIOs.

WÖRNER: Das ist bei uns genauso. Auch in den Teilkonzernen nennt sich der höchste IT-Manager CIO.

CW: Sie haben diese Funktion schon bei der Viag ausgeübt. Damit hat sich offenbar die Viag-IT gegen die Veba-Seite durchgesetzt - ähnlich, wie seinerzeit das Konzept der Hypotheken- und Wechselbank das der Vereinsbank in den Hintergrund drängte.

WÖRNER: Nein, das sehe ich nicht so. Die eine Sache ist die, wer sich als Person etabliert; da muss es einfach einen Verantwortlichen geben. Die andere Sache ist die, wie eine IT-Organisation aufgebaut ist. Und in dieser Hinsicht haben wir uns so organisiert, dass die jeweiligen Stärken beider Unternehmen erhalten blieben. Das gilt im übrigen auch für die fusionierten Teilkonzerne. Es ist sehr wichtig, alle Leute ins Boot zu holen. Eine Strategie, die gegen deren Interessen verstößt, ist keine. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei einer Fusion ist die Frage, ob es gelingt, die Leute zu einem Team zusammenzuführen und daraus Gemeinsamkeiten zu entwickeln.

CW: Derzeit gibt es zirka 4000 IT-Mitarbeiter im Konzern. Wie viele davon kommen von Viag, wie viele von Veba?

WÖRNER: Das ist schwierig zu bestimmen, weil wir uns ständig verändern. Aber schätzungsweise stellt sich das Verhältnis im IT-Bereich ähnlich dar wie bei der Belegschaft insgesamt: Ein Drittel kommt von Viag, zwei Drittel von Veba.

CW: Was überwog - die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten?

WÖRNER: Es gab ähnliche Strategieelemente, beispielsweise die Entscheidung für SAP-Software. Aber - obschon wir eine vergleichbare Historie und gemeinsame Branchenschwerpunkte hatten - waren es doch zwei getrennte Unternehmen mit unterschiedlichen Lösungsansätzen. Und wir haben quasi das gesamte letzte Jahr damit verbracht, aus diesen Ansätzen eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

CW: Wie sind Sie dabei vorgegangen?

WÖRNER: Wir haben Elemente von beiden Seiten verwendet. In einem so großen Konzern kann die Strategie ja nicht darin bestehen, nur noch ein System von einem Hersteller zuzulassen. Und die Lösungen sind durchaus branchenspezifisch, denn wir verfolgen ja nicht alle dieselben Geschäftsprozesse.

CW: Und worin besteht Ihre Strategie?

WÖRNER: Die Fragen, die wir uns gestellt haben, heißen: Wo können wir Synergien erzielen, indem wir gemeinsames Know-how aufbauen und bereichsübergreifende Projekte starten? Und welche identischen, branchenunabhängigen Architekturmerkmale gibt es?

CW: Auf einem Kongress bemerkten Sie kürzlich, es gehe vor allem darum, Geschäftsprozesse zu standardisieren. Ist das eigentlich die Aufgabe der Informationstechnik oder nicht vielmehr der des Linien-Managements?

WÖRNER: Beider! Wenn Sie einen Business-Prozess nicht auch in den IT-Systemen standardisieren, dann ist er nicht standardisiert. Und die Symbiose zwischen dem Geschäftsablauf und dem dahinter liegenden IT-Prozess wird durch das E-Business noch viel enger, denn hier handelt es sich um einen elektronischen Geschäftsprozess, bei dem Sie Business und IT kaum mehr voneinander trennen können. Einen Geschäftsablauf standardisieren heißt also in erster Linie, den IT-Prozess standardisieren.

CW: Wie geht das konkret vor sich?

WÖRNER: Wir sehen uns an, wie beispielsweise ein Einkaufsprozess in den einzelnen Geschäftsstellen einer Business-Unit abgewickelt wird. Und wir stellen fest, dass er in Hamburg und in München unterschiedlich aussieht: Hier gibt es eine andere Artikelnummer als dort, obwohl es sich um dasselbe Produkt handelt; die Organisationsabläufe unterscheiden sich, obwohl der Prozess derselbe ist etc. Die Diskrepanz steckt in den Systemen, die die Leute vor Ort entwickelt haben. Hier gilt es zu standardisieren. Kunden und Lieferanten werden immer globaler. Wenn ich also in Europa Geschäfte machen will, sollte der Prozess an jedem Standort derselbe sein. Ansonsten muss ich mir jeweils mühsam zusammensuchen, welche Artikelnummer was bedeutet.

CW: Es reicht also nicht, wie oft behauptet, überall SAP-Software einzuführen, um ein System zu standardisieren.

WÖRNER: Natürlich sind gewisse Abläufe von SAP vorgegeben, aber da gibt es immer noch genug Alternativen; sonst hätte SAP nicht so viele Kunden. Die Software dient nur dazu, Geschäftsmodelle zu entwickeln. Daraus muss ich dann einheitliche Prozesse ableiten, damit ich nicht 50 verschiedene SAP-Lösungen habe. Auch Middleware kann dabei nicht helfen. Egal, ob ich EAI (Enterprise Application Integration, Anm. d. Red.) nutze oder nicht - ich muss die Standardisierung weiter vorantreiben. An manchen Stellen komme ich um die Vielfalt nicht herum, beispielsweise dann, wenn ich verschiedene Marktplätze, die heute alle auf unterschiedlicher Technologie basieren, an meine Prozesse anbinden will; hier kann eine EAI-Lösung mir ersparen, für jede Anbindung eigene Schnittstellen zu entwickeln. Das ist aber eine rein technische Lösung. Sie setzt voraus, dass ich weiß, welche Prozesse ich darin abbilden will. Je harmonischer ich intern integriert bin, desto weniger

Aufwand bedeutet es, mich nach außen zu öffnen.

CW: Heißt das etwa, Sie müssen die interne Standardisierung beenden, bevor Sie EAI-Werkzeuge einsetzen können?

WÖRNER: Nein, natürlich nicht. Der springende Punkt ist aber: Ich darf die Standardisierung nicht aufgeben. Ich muss weiter dafür sorgen, dass ich nicht 50 Einzellösungen für dieselbe Geschäftseinheit habe. Und ich darf mir nicht einreden, ich könnte diese 50 Lösungen über EAI ganz einfach mit 150 externen Systemen verbinden.

CW: Vermitteln Sie uns doch mal eine Idee davon, wie viele Prozesse Sie anfassen müssen, um ein Geschäftsmodell zu beschreiben!

WÖRNER: In einem Fall haben wir 150 Prozesse auf 50 reduziert. Das heißt, nur ein Drittel der definierten Abläufe war für das Geschäftsmodell tatsächlich relevant. Die anderen bedeuteten lediglich unterschiedliche Abbildungen desselben Prozesses.

CW: Welche Konsequenzen hat die Vereinheitlichung der Geschäftsprozesse für die IT-Seite?

WÖRNER: Sie zieht eine Vereinheitlichung der Systeme, der Architekturen, der Netze und der Komponenten nach sich - bis hinunter auf die Hardwareebene. Das heißt, es werden unter Umständen ganze IT-Landschaften ausgetauscht.

CW: Wie lange dauert denn ein solches Projekt?

WÖRNER: Das hängt von der Größe der Geschäftseinheit ab. Im Stahlhandel bei Klöckner haben wir vor fünf Jahren damit angefangen, und heute liegen zwei Drittel des Weges hinter uns. Allerdings können wir ohnehin nur etwa 80 Prozent erreichen, denn der Konzern ist ja einem permanenten Wandel unterworfen, indem er Einheiten zu- oder verkauft etc.

CW: Mit dieser Arbeit haben Sie also begonnen, bevor die Fusion mit der Veba überhaupt zur Debatte stand. Warum?

WÖRNER: Es ging uns damals schon darum, die Schnittstellen-Vielfalt in den Griff zu bekommen. Wir brauchten zu viele unterschiedliche Systeme, um die Geschäftsprozesse abzubilden.

CW: Wer entscheidet letztlich, wie die Prozesse definiert werden?

WÖRNER: Die Verantwortung liegt in den Teilkonzernen. Der IT-Lenkungsausschuss, der sich aus den CIOs und den Geschäftsführern der konzerneigenen IT-Dienstleister zusammensetzt, kann die Strategieentscheidungen durch Erfahrungs- und Know-how-Austausch, aber auch durch die Bewertung der Lösungsalternativen unterstützen und beeinflussen.

CW: Was hat es mit diesem Ausschuss auf sich?

WÖRNER: Man braucht eine einheitliche Organisation, um überhaupt kooperieren zu können. Wir haben in jedem Teilkonzern eine IT-Struktur geschaffen, an deren Spitze ein CIO steht. Im Rahmen des Lenkungsausschusses arbeite ich mit den CIOs eng zusammen. Wir legen dort fest, was wir auf den verschiedenen Ebenen machen wollen. Umgesetzt werden die Entscheidungen dann in den Teilgesellschaften. Diese Struktur hatten wir schon bei der Viag eingeführt; nach dem Merger wird sie jetzt auf den Rest des Konzerns ausgedehnt.

CW: Mit der Realisierung von IT-Systemen haben Sie offenbar gar nichts mehr zu tun.

WÖRNER: Ich trage keine operative Verantwortung für die in den Teilkonzernen aktiven IT-Leute und deren Lösungen, sondern nur für die der Eon AG. Ich bin eher Koordinator, Stratege, Motivator. Die Rolle eines CIO lässt sich ohnehin nicht mit der eines alten DV-Leiters vergleichen. Er hatte sicherzustellen, dass die operativen Bedürfnisse der Fachbereiche befriedigt wurden; der heutige IT-Manager bindet sich stärker in die Entwicklung von Strategien ein und sucht proaktiv mit den Fachbereichen nach neuen Lösungen.

CW: Wie ist denn die Zusammenarbeit mit den Fachbereichs-Managern organisiert?

WÖRNER: Eigentlich braucht man auf jeder Ebene eine Doppelspitze: eine Person aus dem IT-, eine aus dem Fachbereich. Das fängt bei der Projektleitung an und endet beim CIO, der einen kompetenten Business-Verantwortlichen im jeweiligen Fachbereich als Partner benötigt. Das ist im Grunde State of the Art, wird aber nicht überall konsequent gelebt.

CW: Haben Sie diesen Partner auf der anderen Seite?

WÖRNER: Ja, wir haben neben den CIOs auch E-Business-Verantwortliche bei Eon - manchmal fast zu viele...

CW: Wie das?

WÖRNER: Wir sind noch dabei, die ideale Organisationsstruktur zu entwickeln. Das E-Business ist für die Geschäftswelt ja eine ganz neue Herausforderung. Da können alte Rezepte zwar helfen, aber man muss auch nach neuen Ideen suchen. Und die findet man meist erst dann, wenn man schon ein paar Erfahrungen gesammelt hat.

CW: Eine derart enge Verflechtung von Geschäft und Informationstechnik ist sicher auch für die IT-Seite neu.

WÖRNER: Ja, aber gefordert sind hier vor allem die Fachbereiche. Sie müssen Konzepte dafür entwickeln. Sonst passiert das, was leider vielerorts stattfindet: Es werden zunächst einmal Lösungen eingekauft; dann erst schaut man, welches Geschäft damit unterstützt werden könnte. Nicht jedes Business eignet sich für das E-Business.

CW: Die Marktbeobachter behaupten das Gegenteil: It´s either E-business or no business.

WÖRNER: Ich sehe das differenzierter. Was heißt denn E-Business? Doch nur, dass man einen Prozess in einer neuen Technik abbildet. E-Business betrifft zuerst einmal die Anbindung der Kunden und der Lieferanten. Wie man einen internen Abwicklungsprozess gestaltet, ist eine andere Frage. Zuerst muss man sich doch immer fragen: Wo liegt der Mehrwert, den ich erzielen kann? Schließlich sind mit dem E-Business hohe Investitionen verbunden. Und wenn man weiß, wie das Business zu verbessern wäre, muss man überlegen, wie die IT-Lösung dafür aussehen kann. Darin liegt eine Herausforderung für beide Seiten: Der IT-Mensch sollte stark Business-orientiert sein und der Fachbereichs-Manager genug von der IT verstehen, um bewerten zu können, ob eine Lösung für ihn der richtige Weg ist.

CW: Wer übernimmt bei Eon die Verantwortung für das Thema E-Business? In vielen Konzernen werden dafür spezielle Kompetenzzentren gegründet...

WÖRNER: Bei uns gibt es sie auch - in jedem Teilkonzern ein eigenes, das sich auf die Erfordernisse der jeweiligen Branche konzentriert. Sie berichten direkt an die Vorstände. Die Zusammenarbeit zwischen diesen eher IT-orientierten Zentren und den Fachbereichen muss allerdings noch weiterentwickelt werden. Um eine quasi symbiotische Integration zu ermöglichen, sind wir noch nicht ideal aufgestellt; da suchen wir nach neuen Lösungen.

CW: Beim Thema E-Business werfen viele Unternehmen ihre Prinzipien über Bord und entwickeln Lösungen ohne einen standardisierten Unterbau. Andere sind der Ansicht, dass es ohne diese Basis nicht geht. Wie halten Sie es damit?

WÖRNER: Wir machen beides. Auf der einen Seite denken wir seit 15 oder 20 Jahren darüber nach, wo wir Prozesse optimieren und standardisieren können. Und daran arbeiten wir auch weiter. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch experimentieren, weil die Anbieter von elektronischen Shop- oder Marktplatzlösungen noch nicht so etabliert sind wie SAP oder Oracle. Und hier werden wir uns vorerst auch nicht auf einen Anbieter festlegen, sondern zwei oder drei ausprobieren - aber nicht 30.

CW: Standardisieren heißt Auswahlmöglichkeiten und Flexibilität einschränken. Ist das nicht - gerade im E-Business - ein großes Manko?

WÖRNER: Das mag im Einzelfall ja sein. Aber die Komplexität nimmt nun einmal ständig zu. Es gilt die alte Regel: Je einfacher der Prozess auf der Kundenseite aussieht, desto komplexer ist er dahinter. Schauen Sie sich die Architekturen und Lösungen an, die wir heute stemmen müssen! Ohne Standardisierung sind die nicht mehr beherrschbar. Deshalb müssen wir ständig konsolidieren, standardisieren, wieder konsolidieren, wieder standardisieren und die Vielfalt einschränken - in Auseinandersetzung mit den Fachbereichen. Das ist eine der Hauptaufgaben eines IT-Managers.

GISELA DIE ERSTE

Sie ist einzigartig - in vielerlei Hinsicht: Gisela Wörner hat nicht nur als erste Frau in einem deutschen Konzern die Position eines Chief Information Officer (CIO) eingenommen. Sie vereint auch zwei Charakterzüge, die sich leider oft ausschließen: eine natürliche Autorität und einen unverhohlenen Sinn für Humor. Zudem schert sich die Topmanagerin kaum um den Dresscode der Business-Welt. Statt dunkelblauer Schneiderkostüme bevorzugt sie Jacketts in ausdrucksstarken Farben und Mustern - möglicherweise eine Reminiszenz an die Anfänge ihrer Karriere: Sie entdeckte ihre Affinität zur Informationstechnik als Directrice in diversen Unternehmen der Bekleidungsindustrie, wo sie in den 60er Jahren bereits CAD-Systeme und Programmen zur Schnittoptimierung nutzte. 1970 beschloss die junge Frau, ins IT-Lager zu wechseln, und begann eine DV-Grundausbildung bei der Siemens AG. Für den Münchner Technologiekonzern arbeitete sie zunächst im

Softwarevertrieb, dann als Beraterin mit dem Schwerpunkt Produktionsplanung und -steuerung in Industrie und Handel sowie zuletzt fünf Jahre lang als Produkt-Managerin für die Entwicklung und Markteinführung von Standardsoftware. 1989 wechselte sie zum Consulting-Unternehmen CSC Ploenzke AG, für das sie etwa sieben Jahre lang den Bereich Industrieberatung leitete. 1996 stieg Wörner als Chief Information Officer (CIO) bei der Viag AG ein - und übernahm diese Aufgabe nach der Fusion mit der Veba AG im vergangenen Jahr für die gesamte Eon AG. Heute koordiniert sie die Arbeit von 4000 IT-Mitarbeitern sowie einer Handvoll CIOs in den Teilkonzernen. Den Vorschlag, für den Fotografen in das Kleid der Eon-Werbeträgerin Veronica Ferres zu schlüpfen, lehnte Wörner lachend ab. Anstatt das "Superweib" zu mimen, würde sie, so ihre Begründung, lieber die Rolle übernehmen, die Götz George in einem anderen Eon-Spot spielte: Als Yacht-Kapitän

lässig an der Reling lehnen und ein paar Knöpfe auf der Fernbedienung drücken.