KOLUMNE

Was Perlach von Paris lernen kann

25.06.1993

Klare Worte des franzoesischen Industrieministers Gerard Longuet: Die staatliche Computergruppe Bull habe keine Zukunft, wenn die Verantwortlichen glaubten, Paris koenne Jahr fuer Jahr einige Milliarden Franc einschiessen (Seite 4). Die Parallelen zu Perlach sind offensichtlich. Doch waehrend die Regierung in Paris mit der Peitsche droht, koennen sich die SNI-Manager in Muenchen auf Diskretion im Mutterhaus Siemens verlassen. Von Pierer ist nicht Longuet. Ob eine solche Aussage positiv bewertet werden kann, steht dahin. Unsicherheit ueber das weitere Schicksal besteht in beiden Faellen. Marktbeobachter und Anwender fragen, ob Bull und SNI ueberleben koennen. Die Anworten, die man bekommt, befriedigen nicht.

Mit dem Bull-Problem muessen die Franzosen fertig werden. Auf dem deutschen Markt hat Bull in den vergangenen Jahren mehr und mehr an Bedeutung verloren. Die Motivation der Statthalter in Koeln und der Vertriebsmitarbeiter draussen im Lande wird auf eine harte Probe gestellt. Den Bull-Kunden kann das nicht verborgen bleiben. Anders die Situation bei SNI: Noch stimmt die Chemie, was das Verhaeltnis der Anwender zu ihrem Lieferanten betrifft. Nach wie vor nutzt die Siemens-Computersparte SNI ihren Heimvorteil gegenueber auslaendischen Wettbewerbern - insbesondere im Mainframebereich, selbst gegenueber IBM. Die juengste Dataquest- Studie bestaetigt die Nummer-Zwei-Position der Muenchner auf dem deutschen und auf dem europaeischen Markt (Seite 4).

Doch das Mainframe-Business ist ruecklaeufig, und auch im PC- und Workstation-Geschaeft zerreisst SNI nicht viel. So ist von einem schnellen Verlustabbau nicht mehr die Rede. Dass sich die Muenchner mit ihrem langjaehrigen OEM-Lieferanten Fujitsu auf eine gemeinsame Mainframe-Entwicklung geeinigt haben (Seite 1), loest allenfalls partielle Probleme. Wiedigs Stuhl wackelt. Der SNI-Chef ist den Nachweis schuldig geblieben, dem Konstrukt Siemens-Nixdorf entscheidende Impulse geben zu koennen - keine leichte Aufgabe gewiss, dazu waren die Unternehmenskulturen von Siemens und Nixdorf zu unterschiedlich.

Was haben die Muenchner getan, um SNI flott zu kriegen? Personal wurde abgebaut, eine neue Organisationsstruktur mit mehr oder weniger selbstaendigen Geschaeftsbereichen geschaffen. Man kennt das von der IBM und anderen DV-Anbietern. Was positive Ergebnisse anlangt: bisher Fehlanzeige. Kein Wunder: Bei Verfilzung und Verkrustung hilft auch eine Lean-Management-Kur nicht - es kommt eben mehr denn je auf Unternehmerpersoenlichkeiten mit visionaerer Kraft und dem Blick fuer innovative Produkte an - und auf motivierte, leistungsbereite Mitarbeiter, die von der gemeinsamen Sache ueberzeugt sind. Dann fallen auch die Antworten leicht.