Was Microsoft zu virtuellen Desktops beiträgt

16.02.2011
Die Komplexität von Virtual-Desktop-Infrastrukturen (VDI) erfordert einen Entwicklungsaufwand, den nur größere Hersteller leisten können. Lesen Sie, wie sich der Markt derzeit darstellt und welche Position Microsoft darin einnimmt.

Wie in neuen wachstumsträchtigen Märkten üblich, gibt es auch bei Software für die Desktop-Virtualisierung zahlreiche Anbieter, viele davon Startups. Letztere decken oft nur einen Teil der benötigten Funktionen ab, so etwa Leostream mit seinem "Connection Broker". Andere wiederum bieten Alternativen zum gängigen Konzept der Server Hosted Virtual Desktops, beispielsweise Kaviza mit seiner Lösung für den Mittelstand, die ohne SAN auskommt, oder Mokafive, das zentrales Management mit Desktops in lokalen VMs kombiniert.

Die Forderungen an VDI-Anbieter, das Benutzererlebnis ihrer Systeme zu verbessern, sie offline-fähig zu machen und die Hardwarevoraussetzungen zu senken, führte zu einem Wettlauf zwischen Citrix und VMware, den beiden führenden Herstellern. Diese legten ein Tempo vor, dem auch einige große Anbieter nicht folgen konnten.

So wurden die ehemaligen Ambitionen von Sun nach der Übernahme durch Oracle gebremst: Die im August 2010 erschienene Version 3.2 wartet nur mit moderaten Neuerungen auf. Auch Red Hat, das mit einer quelloffenen Infrastruktur ins Rennen gehen möchte, muss erst noch die Übernahme von Qumranet verdauen, aus dem wesentliche, aber bisher unvollendete Bausteine stammen.

IBM benutzt für den Smart Business Desktop das System "Verde" des Herstellers Virtual Bridges. Es handelt sich dabei um eine Linux/KVM-basierende Lösung - alternativ vertreibt IBM auch die VDI-Software von Citrix und VMware. Als Technologielieferant spielt Big Blue aber weder bei der Desktop- noch bei der x86-Virtualisierung insgesamt eine nennenswerte Rolle.

Eine besondere Position hat Microsoft inne, das die VDI-Basisfunktionen über Windows Server anbietet und sich so mit diesbezüglichen Neuerungen an die Release-Zyklen des Betriebssystems bindet. Das Unternehmen weist daher gegenüber Citrix und VMware einen unübersehbaren Entwicklungsrückstand auf, könnte aber als die dominierende Desktop-Macht jederzeit die Spielregeln für den gesamten Markt verändern. Die derzeitigen Defizite von Microsofts VDI-Portfolio eröffnen Partnern wie Quest Software eine interessante Nische.

Das Wesentliche im Stack

Trotz aller Vorbehalte gegen zentrale Desktops hat Microsoft mittlerweile ein Portfolio an Tools entwickelt beziehungsweise zugekauft, das alle wesentlichen Funktionen zur Virtualisierung von Desktops bietet. Wie man von einem der wichtigsten Plattformanbieter erwarten kann, strebt er nach einem vollständigen Software-Stack vom Hypervisor bis zu den Management-Werkzeugen.

Inzwischen bietet Microsoft alle Produkte für Desktop-Virtua- lisierung in zwei Softwarepake-ten an, der "VDI Standard Suite" und der "VDI Premium Suite".

Die VDI Standard Suite enthält folgende Komponenten:

• Microsoft Hyper-V Server 2008 R2,

• Systems Center Virtual Machine Manager, System Center Operations Manager (SCOM) und System Center Configuration Manager (SCCM), allerdings mit Einschränkung der Management-Funktionen auf VDI,

• Microsoft Desktop Optimization Pack (MDOP), wobei hier primär App-V von Bedeutung ist,

Windows Server Remote Desktop Services (RDS), mit Einschränkung der Funktionen auf die Bereitsstellung von virtuellen Desktops.

Die VDI Premium Suite enthält alle in der Standard Suite enthaltenen Produkte und dar- über hinaus:

• die volle Funktionalität der Remote Desktop Services, also nicht nur VDI, sondern auch die Terminaldienste, und

• App-V for Remote Desktop Services.

Keines der beiden Pakete umfasst die zum Zugriff auf virtuelle Desktops benötigte Lizenz Windows VDA.

Virtuelle Desktops mit den RDS

Die Remote Desktop Services umfassen nicht nur die bisherigen Terminaldienste, sondern auch zusätzliche Rollen und Funktionen für VDI. Die Bereitstellung von virtuellen Desktops mit reinen Microsoft-Mitteln setzt eine relativ komplexe Installation voraus, die mehrere Instanzen von Windows Server erfordert.

Der RD Virtualization Host ist eine neue Rolle in Windows Server 2008 R2 und benötigt Hyper-V, um die virtuellen Maschinen bereitzustellen, in denen Windows 7 oder XP als Gastsys- tem läuft. Sie ist aber auch im kostenlosen Hyper-V Server 2008 R2 verfügbar.

Der RD Connection Broker ist eine Weiterentwicklung des TS Session Broker und kann nun auch Benutzer mit virtuellen Desktops verbinden. Wie bisher ist er auch in der Lage, User an Sessions auf dem Session Host (Terminal-Server) zu vermitteln.

RD Web Access ist der Nachfolger von TS Web Access und zeigt nicht nur Sessions, sondern auch Desktops auf einer Web-Oberfläche an. Es ist der einzige Zugang von Endgeräten mit früheren Versionen von RDP zu virtuellen Desktops. Die Integration von zentralen Anwendungen und Desktops in das Startmenü bleibt nämlich Windows 7 vorbehalten.

Protokolle: RDP 7 und RemoteFX

Das Remote-Display-Protokoll ist ausschlaggebend für die Qualität des Benutzererlebnisses. Das von Microsoft entwickelte Remote Desktop Protocol (RDP) weist in dieser Hinsicht notorische Defizite auf, so dass sich eine ganze Add-on-Industrie gebildet hat, um verschiedene Mängel zu kompensieren.

Die Version 7, die mit Windows 7 und Server 2008 R2 ausgeliefert wird, bringt einige Verbesserungen, die besonders virtuellen Desktops zugutekommen. Dazu zählen Multimedia-Redirection für Media-Player-Formate, bidirektionales Audio, DirectX-Remoting, Aero- und Multi-Monitor-Unterstützung. In den Genuss all dieser Fortschritte kommt man indes nur, wenn Windows 7 als Gastsystem auf dem Virtualization Host läuft.

Eine deutliche Aufwertung von zentralistischen Modellen steht mit dem SP1 für Windows Server 2008 R2 ins Haus. Dieses Service Pack enthält die mit Calista zugekaufte Technik unter der Bezeichnung RemoteFX. Es ist kein Ersatz für RDP, sondern eine Erweiterung, die Grafikdaten auf dem Host rendert. Microsoft positioniert RemoteFX ausschließlich für den Einsatz im LAN.

Virtualisierung von Anwendungen

Um die Zahl der Desktop-Images gering zu halten und sie besser wartbar zu machen, etabliert sich die Applikations-Virtualisierung inklusive Streaming bei VDI als Alternative zur herkömmlichen Installation. Microsoft bietet dafür App-V als Bestandteil des MDOP an, das derzeit in der Version 4.6 vorliegt.

Die Client Access License für RDS enthält seit einiger Zeit auch eine Lizenz für App-V, allerdings nur für den Einsatz auf Session Hosts. Dies soll helfen, Programmkonflikte auf dem Terminal-Server zu vermeiden.

Management von Benutzerprofilen

Die Loslösung von Daten und Einstellungen der Benutzer von Windows ist ein weiteres Anliegen bei der Desktop-Virtualisierung, damit diese Informationen nicht innerhalb des Systemabbilds gespeichert werden müssen. Microsoft hat sich die Bezeichnung User State Virtualization einfallen lassen, unter der es altbekannte Windows-Funktionen zusammenfasst. Es handelt sich dabei um Server-gespeicherte Profile, Ordnerumleitung und Offline-Dateien, die allerdings den Anforderungen virtualisierter Umgebungen nicht genügen. Ein ganzer Markt an entsprechenden Lösungen von Drittanbietern wartet dar- auf, diese Lücke zu füllen.

Nischeneinsatz rechtfertigt Lücken

Microsoft positioniert VDI nur für einige Nischen, etwa für die Anbindung von Offshore-Partnern beziehungsweise externen Projektmitarbeitern sowie für aufgabenorientierte Tätigkeiten, wo es die Terminaldienste ersetzen soll. In diesen Nutzungsszenarien spielt die Offline-Fähigkeit keine wesentliche Rolle. Deshalb macht Microsoft keinerlei Anstalten, einen eigenen Hypervisor für den Client zu entwickeln, und reagiert skeptisch auf derartige Ambitio- nen anderer Hersteller. Derzeit bietet sich keine Möglichkeit, diese Lücke durch andere Anbieter zu schließen. (ue)

VDI Suite: Stärken und Schwächen

+ Infrastruktur ist Teil von Windows Server 2008 R2;

+ Kompatibilität mit älteren RDP-Clients, wenn auch reduzierter Funktionsumfang.

- Komplizierte Installation;

- läuft nur auf Hyper-V;

- vergleichsweise leistungsschwaches Protokoll (RDP), keine WAN-Unterstützung mit RemoteFX;

- Applikationsvirtualisierung nur für Kunden mit Software Assurance;

- nur rudimentäre Funktionen für das Management der User-Profile;

- keine Offline-Fähigkeit.