Bundeswehr

Was Manager von Offizieren lernen können

22.03.2014
Von Kristin Schmidt

Genau das tut Projektingenieur Gravenkötter. Jeden Morgen bittet er sein Team zur Lagebesprechung. Die Gruppe steht im Halbkreis um eine weiße Tafel im Großraumbüro, mit blauen Markern sind darauf die Wochenziele notiert, knapp und präzise formuliert: Eins-zu-eins-Coaching im Lager abschließen, IT-Unterstützung für den Standort Hamburg klären oder Visualisierung der Performance-Kennzahl im Wareneingang festlegen. Hinter jedem Ziel steht das Kürzel eines Mitarbeiters. Die Verantwortlichkeiten sind damit klar verteilt. Gravenkötter lässt sich zwar jeden Morgen auf den neuesten Stand bringen, schreitet aber nur ein, wenn er das Ziel in Gefahr wähnt. "Unser System ist simpel, transparent und sehr strukturiert", sagt Gravenkötter. "Bei der Bundeswehr wird dieses Führungsprinzip genauso gelebt."

Und bei der Lufthansa geschätzt: Nur zehn Monate nach seinem Start bekam er die Verantwortung für ein zweites Projekt - das Training hausinterner Führungskräfte. Kämpfen sie in ihren Abteilungen etwa mit zu hohen Kosten oder überzogenen Lieferterminen, sucht Gravenkötter mit den Verantwortlichen nach Lösungen, überarbeitet die Organisation der Abteilung.

Orientierung am Militär

Damit ihre Mitarbeiter genauso strukturiert und effizient arbeiten und entscheiden wie Ex-Soldaten, haben einige Firmen Führungsakademien gegründet: Der US-Handelsriese Wal-Mart etwa hat seit 2009 mehr als 500 Führungskräfte in Lehrgängen ausbilden lassen, die sich an militärischen Führungsprogrammen orientieren. Auch die Bundesagentur für Arbeit hat ein solches Ausbildungszentrum. Dort lernen die Mitarbeiter unter anderem strukturiert führen, Aufgaben delegieren und den richtigen Umgang mit Mitarbeitern.

Zentrale Offizierstugenden

Die Königliche Militärakademie im britischen Sandhurst bietet ab Herbst 2013 gemeinsam mit der Cass Business School gar einen Masterstudiengang in Führung an. Die Bildungseinrichtung übernimmt den akademischen Teil des Programms, die Militärschule Führungstraining und Teamentwicklung. An der Bundeswehr-Uni in München studieren derzeit nicht nur etwa 2800 angehende Offiziere, sondern auch 27 duale Studenten und Stipendiaten, die von Unternehmen geschickt werden. Und die Nachfrage wächst. In den nächsten Jahren könnten es einige Hundert werden.

Auch der Versicherungskonzern Munich Re entsendet seine dualen Studenten an die Hochschule nahe München. Derzeit studieren 19 von ihnen Wirtschafts- und Organisationswissenschaften zusammen mit angehenden Offizieren. Warum sich Munich Re diese Ausbildung jährlich 4.600 Euro pro Person kosten lässt? Die Trimesterstruktur lasse sich besser mit dem Job vereinbaren, die geringere Studentenzahl mache eine intensivere Betreuung der Studierenden möglich. Außerdem geht das Studium schneller: Büffeln Studierende an staatlichen Unis in der Regel mindestens fünf Jahre für Bachelor und Master, sind sie an der Bundeswehr-Uni schon nach vier Jahren fertig - ohne Abstriche in der Qualität.

Doch nicht alleine die umfassende Ausbildung stärkt die Management-Qualitäten der Offiziere, ist Personal-Professor Kaiser überzeugt. Denn schon das Assessmentcenter für Führungskräfte der Bundeswehr selektiert vorab, wer für diese Laufbahn überhaupt geeignet ist. Jährlich bewerben sich 10.000 junge Menschen bis 30 Jahre. 4.000 kommen für die Offizierslaufbahn infrage. Eingestellt werden 2.000. Die genauen Auswahlkriterien sind zwar geheim, die wichtigsten Anforderungen an Offiziere aber bekannt. "Führungsambitionen, Zuverlässigkeit, Belastbarkeit, aber auch außerordentliche Kommunikationsfähigkeit sind zentrale Offizierstugenden", sagt Kaiser.

Genau für diese ist Stefan Schwille bei Kunden und Mitarbeitern bekannt. Der 39-Jährige ist Regionalmanager bei der Personalberatung von Rundstedt, führt drei Niederlassungen in Frankfurt, Stuttgart und Basel mit insgesamt 18 Mitarbeitern. Um die Konzerne in der Kundschaft kümmert er sich selbst. Und egal, ob vor den eigenen Mitarbeitern oder dem Vorstand seiner Kunden, Schwille kann sich präsentieren. "Ich habe bei der Bundeswehr gelernt, mit verschiedensten Menschen umzugehen."

Ihm waren bis zu 180 Soldaten unterstellt - vom Schulabbrecher bis zum studierten Juristen. Und auch gegenüber Vorständen oder Generälen zeigt er stets sicheres Auftreten. Schwille hat "keine Angst vor hohen Titeln", wie er selbst sagt.

Unteilbare Verantwortung

Ein Grund, warum Ex-Offiziere häufig als Berater oder im Vertrieb tätig sind. Klassische Einstiegspositionen würden die ehemaligen Soldaten auch in der Projektleitung, im mittleren Management und als Assistenten der Geschäftsführung finden, sagt Kienbaum-Berater Kampschulte. In solchen Positionen sind klare Worte und Entscheidungsstärke gefragt.

Von-Rundstedt-Manager Schwille kennt das. Ist sein Team anderer Meinung als er, hört sich der Niederlassungsleiter die Argumente zwar an. Betont aber, dass nur einer die Entscheidung trifft: nämlich er. Denn: "Verantwortung ist nicht teilbar." Das gilt in der zivilen Wirtschaft, aber noch stärker bei der Bundeswehr. "Dort geht es nicht nur um die besten Zahlen, sondern im Zweifelsfall um Menschenleben."

Das musste auch Torben Brodersen, Geschäftsführer des Deutschen Franchise-Verbands, kürzlich feststellen. Der Politikwissenschaftler hatte in seiner Jugend nicht gedient und bis zum Herbst 2011 keine Vorstellung davon, wie Soldaten im Einsatz arbeiten. Dann besuchte er mit einigen Verbandskollegen eine Informationslehrübung der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Munster in der Lüneburger Heide. Neben Vorträgen über die Auslandseinsätze und den Alltag in den Camps erhielten die Besucher auch einen Einblick in die konkreten Abläufe im Gefecht. Das Szenario: Die Truppe musste eine entmilitarisierte Zone im fiktiven Krisengebiet zwischen den Konfliktparteien Wettina und Seeland einrichten. Die Zivilisten konnten alle Arbeitsabläufe von der Analyse der Lage bis zum Gefecht begleiten.

"Obwohl ich ein politisch interessierter Mensch bin, konnte ich mir bis dahin nicht konkret ausmalen, welche Verantwortung auf den Soldaten lastet", sagt Brodersen. Zwar gebe es beim Entwickeln von Unternehmensstrategien nicht nur die Optionen "Vorrücken oder Zurückziehen". Trotzdem seien die ehemaligen Offiziere eine interessante Zielgruppe. "Wie loyal die Soldaten untereinander sind und wie effizient dort große Einheiten geführt werden", sagt Brodersen, "das ist schon faszinierend."

(Quelle: Wirtschaftswoche)