Schmeichler muss man meiden

Was kann der CIO von Machiavelli lernen?

27.02.2014
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Christoph Lixenfeld, seit 25 Jahren Journalist und Autor, vorher hat er Publizistik, Romanistik, Politikwissenschaft und Geschichte studiert.

1994 gründete er mit drei Kollegen das Journalistenbüro druckreif in Hamburg, schrieb seitdem für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel, Focus, den Tagesspiegel, das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche und viele andere.

Außerdem macht er Hörfunk, vor allem für DeutschlandRadio, und produziert TV-Beiträge, zum Beispiel für die ARD-Magazine Panorama und PlusMinus.

Inhaltlich geht es in seiner Arbeit häufig um die Themen Wirtschaft und IT, aber nicht nur. So beschäftigt er sich seit mehr als 15 Jahren auch mit unseren Sozialsystemen. 2008 erschien im Econ-Verlag sein Buch "Niemand muss ins Heim".

Christoph Lixenfeld schreibt aber nicht nur, sondern er setzt auch journalistische Produkte ganzheitlich um. Im Rahmen einer Kooperation zwischen Süddeutscher Zeitung und Computerwoche produzierte er so komplette Zeitungsbeilagen zu den Themen Internet und Web Economy inklusive Konzept, Themenplan, Autorenbriefing und Redaktion.
Eine Gartner-Analystin rät IT-Chefs, so zu handeln wie ein Wolf - oder "Der Fürst" aus dem gleichnamigen Traktat des 16. Jahrhunderts. Ein zweifelhafter Tipp.

Die Empfehlungen, die Niccolò Machiavelli Anfang des 16. Jahrhunderts in seinem staatspolitischen Ratgeber "Il Principe" niederschrieb, wurden schon einigen Bevölkerungsgruppen nahegebracht. Es gibt Machiavelli für Manager, Machiavelli für Aufsichtsräte, Machiavelli für Forscher, Machiavelli für Frauen und sogar Machiavelli für Mädchen. Da war es wohl einfach an der Zeit, dass auch CIOs ihren Machiavelli-Werkzeugkasten bekommen. Zusammengestellt hat ihn die Gartner-Analystin Tina Nunno unter dem Titel: "The Wolf in CIO`s Clothing: A Machiavellian Strategy for Successful IT-Leadership".

Die Empfehlungen der Autorin basieren, wie Gartner in der offiziellen Ankündigung schreibt, auf Nunnos Arbeit mit CIOs und ihrer Bewunderung für Machiavelli. Der Philosoph und Politiker aus Florenz arbeitete jahrelang als Staatssekretär und Diplomat, er verhandelte mit Königen und Päpsten (zu seinen Lebzeiten gab es nacheinander neun), unternahm eine Heeresreform und feierte militärische Erfolge.

Was in Machiavellis Buch steht

Bis heute berühmt ist Machiavelli aber wegen seines 1513 veröffentlichten Buchs Il Principe ("Der Fürst"). Vereinfacht gesagt, handelt es sich dabei um eine Anleitung für nach Macht und Erfolg strebende Politiker. Aus der Sicht von Machiavelli müssen ihnen alle Mittel recht sein, wenn es darum geht, Ruhe und Frieden in ihrem Land herzustellen. Ein Fürst sollte zwar bemüht sein, als barmherzig statt als grausam zu gelten. Doch wenn das - warum auch immer - nicht klappt, war es in den Augen des Florentiners immer noch besser, das Image des Grausamen zu haben als das eines Schwächlings, der verachtet wird.

Machiavelli war offenbar fest überzeugt, dass die Menschen im Allgemeinen falsch, undankbar, wankelmütig und feige sind: In guten Zeiten solidarisch mit ihrem Herrscher, wendeten sie ihm in schlechten schnell den Rücken zu. Abhalten ließen sie sich von solchem Wankelmut nur durch die Angst vor seinen Grausamkeiten.

Eine Gartner-Analystin rät IT-Chefs, so zu handeln wie ein Wolf – oder „Der Fürst“ aus dem gleichnamigen Traktat des 16. Jahrhunderts. Ein zweifelhafter Tipp.
Eine Gartner-Analystin rät IT-Chefs, so zu handeln wie ein Wolf – oder „Der Fürst“ aus dem gleichnamigen Traktat des 16. Jahrhunderts. Ein zweifelhafter Tipp.
Foto: alphaspirit - Fotolia.com

Für den Fall eines Aufstands riet Machiavelli, schnell und konsequent die Rädelsführer zu vernichten. Das sei besser, als wenn alles im Chaos versinke. Der Denker, der sich intensiv mit PR-Strategien beschäftigte - obwohl es diesen Begriff im 16. Jahrhundert nicht gab -, riet den Mächtigen aber auch, bei Gewaltanwendung immer einen triftigen Grund mitzuliefern.

Die Auseinandersetzungen über Machiavellis Thesen und die Kritik daran sind beinahe so alt wie das Buch selbst. Quasi alle, die sich auf ihn beriefen, lasen "Il Principe" als Anleitung zu Grausamkeit, Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Dabei schrieb der deutsche Politiker und Staatsrechtler Carlo Schmid schon 1956: "Wer glaubt, Machiavelli sage, Politik könne man nur mit Gift und Dolch, Lüge und Verbrechen machen, hat ihn gründlich missverstanden."

Der Wolf als Vorbild für CIOs

Gartner-Analystin Nunno beschäftigt sich vor allem intensiv mit den von Machiavelli geliebten Mensch-Tier-Vergleichen, um zu erläutern, wie sich CIOs den Autor zum Vorbild nehmen sollten. Zitat: "Sie sind entweder Jäger oder Beute, und das Tier, dem Sie am meisten gleichen, definiert Ihre Position innerhalb der Nahrungskette." Ein gutes Vorbild für CIOs sei der Wolf: "ein soziales Wesen mit starkem Jagdinstinkt".

Nach Nunnos Auffassung müssen IT-Verantwortliche sowohl fähig sein, mit Machtspielen und Manipulation zu jonglieren, als auch die Kriegskunst beherrschen. Das stellen sie unter Beweis, indem sie Kampagnen entwickeln, "die sich sämtlicher Waffen in ihrem Arsenal bedienen, mit dem Ziel, große Gruppen von Kollegen hinter sich zu bringen". Weise eingesetzt, sei Macht ein unverzichtbares Führungsinstrument.

Eine Zusammenfassung ihres Buches gibt Nunno selbst. "Die Gedanken Machiavellis waren schon immer aktuell, aber heute sind sie es vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst", sagt sie: "Der Druck, der auf CIOs lastet, ist enorm, ständig gibt es Bedrohungen, aber auch Chancen, die aus ganz unterschiedlichen Teilen des Unternehmens kommen. Anhänger Machiavellis wissen, dass es in puncto Führung keinen sicheren Mittelweg gibt."

Eine mehr als gewagte These

Die Gleichsetzung von Machiavellis Fürst und einem CIO ist mehr als gewagt. Zum einen leben wir nicht an der Schwelle zwischen 15. und 16. Jahrhundert, sondern in Zeiten des World Wide Web und der Netzwerke. Macht und Gefolgschaft entstehen heute weniger durch Intrigen und ähnliche Machenschaften als durch Reputation. Zum anderen muss die Frage erlaubt sein, ob wir es nicht genau jenem Wolfsverhalten verdanken, dass Missmut und Gleichgültigkeit in Deutschlands Unternehmen immer mehr um sich greifen. Nur 15 Prozent der Arbeitnehmer, so das Ergebnis einer breit angelegten Gallup-Studie, identifizieren sich noch mit den Zielen ihres Arbeitgebers.

Der Autor als Gegenbeispiel

Ein Blick auf Machiavellis eigene Biografie macht die Sache nicht überzeugender. Im Gegenteil: Er schrieb "Il Principe" zu einem Zeitpunkt, als er Macht und Geld verloren hatte und, zutiefst verbittert über seine Ausbootung, im Exil lebte. Jene klugen Ratschläge, die heute ständig wiederentdeckt werden, halfen ihrem Schöpfer keineswegs, seine Macht zu erhalten.

Dass er die Krise überstand und am Ende seines Lebens sogar wieder ein Amt in Florenz bekleiden durfte, verdankte Machiavelli nicht Machtpolitik, sondern schlichter Anpassung: Sein Buch war gewissermaßen ein Bewerbungsschreiben des Autors auf einen neuen Job bei den von ihm jahrelang bekämpften Medici, den Herren von Florenz. Und nachdem die von seinen politischen Ratschlägen nichts wissen wollten, er aber als Vater von sechs Kindern dringend Geld brauchte, schrieb Machiavelli im Auftrag von Kardinal Giulio de` Medici gegen Honorar die Geschichte der gemeinsamen Heimatstadt auf.

Außer Frage steht, dass zu jeder Führungsaufgabe auch ein gewisses Machtbewusstsein gehört - und die Fähigkeit, bei Bedarf andere zu manipulieren. Das gilt nicht exklusiv für CIOs, sondern für sämtliche Manager. Die Mensch-Tier-Vergleiche mit Wölfen, Löwen oder Füchsen sind sicher gut für Schlagzeilen gehören aber doch eher ins 16. Jahrhundert.

Schmeichler muss man meiden

Nunnos Werk ist als E-Book erschienen. Wer sich die Bewertung auf Amazon ansieht, den beschleicht der Verdacht, dass Gartner selbst die Wirkung auf Externe bezweifelt. Warum sonst versucht das Unternehmen, dem Erfolg auf ungelenke Weise nachzuhelfen? Von den sechs durchweg positiven Rezensionen stammen drei von aktuellen und eine von einem ehemaligen Kollegen der Autorin. Lediglich einer von ihnen bekennt sich dazu. Wie lautet doch der Titel des 23. Kapitels von "Il Principe": "Schmeichler muss man meiden."(qua)