Was gute Auswahlverfahren auszeichnet

05.03.2007
Von Anja Dilk
Differenzierte Methoden zur Einschätzung von Bewerbern sind im Kommen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nicht immer der beste Kandidat auch der geeignete ist.

Bei Lufthansa hat Papier keine Chance. Wenn Jürgen Wiedmann mal wieder eine Bewerbung mit Druckertinte und Lackhülle auf den Schreibtisch flattert, schickt er sie mit freundlichen Worten zurück: „Bitte bewerben Sie sich online.“ Der Experte für Personal-Marketing und Mitarbeiterauswahl bei der größten deutschen Fluggesellschaft hat in den vergangenen Jahren gemerkt: Online-Bewerbungen sparen den Personalern Arbeit und sind viel informativer als die dicken Papierbündel mit Anschreiben, Lebenslauf und Dutzenden Zeugnissen. Denn wer sich auf die Plattform be-lufthansa.com klickt, muss nicht nur die Standardunterlagen in digitaler Form einreichen, sondern auch eine Reihe von Online-Tests bewältigen.

Hier lesen Sie

  • Was einen guten Online-Leistungstest auszeichnet;

  • warum die Lufthansa im Bewerbungsverfahren auf Online-Tests setzt;

  • welche Fehler der Eignungsdiagnostiker Heinrich Wottawa den Personalern vorwirft.

Je nach Jobprofil geht es um logisches oder numerisches Denken, Konzentrationsfähigkeit oder Analysestärke der Bewerber. Kleine Rechenaufgaben sind zu lösen oder Diagramme zu vergleichen. „So bekommen wir neben den fachlichen Daten über Ausbildung, Kenntnisse und Werdegang wichtige überfachliche Informationen über den Bewerber“, schildert Wiedmann. Seit der Einführung von Tests zum Online-Recruiting im Juli 2005 hat sich die Methode etabliert. 95 Prozent der Kandidaten bewerben sich mittlerweile via Web. Wiedmann: „Für uns ist dieses Verfahren ein hervorragendes Instrument zur Vorauswahl: Wer erfüllt die Mindestanforderungen? Wer schätzt sich falsch ein?“

Differenzierte Verfahren wie die Bewerbersuche mit Hilfe von Online-Tests sind im Kommen. Im Run auf die besten Mitarbeiter suchen die Unternehmen nach immer genaueren Methoden, um herauszufinden: Wer passt am besten zu uns? Wer ist für diesen Job am geeignetsten? Wer hat auch langfristig Entwicklungspotenzial? Wie bekommen wir mehr Sicherheit auf der Pirsch nach dem richtigen Personal? Die Wirtschaft zieht wieder an. Gerade in der IT-Branche, in der jetzt schon Tausende Fachkräfte fehlen, gewinnen diese Fragen an Bedeutung.

Online-Test soll Potenzial der Bewerber erfassen

Ein Methodenmix aus digitalen Unterlagen und ausgeklüngelten Eignungstests kann eine wichtige Hilfe sein. Im Idealfall sind sie speziell auf die Bedürfnisse des einzelnen Unternehmens zugeschnitten und mit Freitextfenstern ergänzt, in denen Kandidaten ihre Motivation und persönliche Besonderheiten schildern können, wie bei der Lufthansa. Zudem sind die digitalen Tests variabel. Je nachdem, wie ein Bewerber die vorangegangene Aufgabe gelöst hat, steigt oder sinkt der Schwierigkeitsgrad der folgenden. So lässt sich treffsicher herausfinden, was ein Bewerber kann. „Online-Leistungstests sind eine wichtige Ergänzung zur Eignungsdiagnostik vor Ort und dem Vorstellungsgespräch“, resümiert Lufthansa-Personaler Wiedmann. „Denn nach wie vor sind Leistungstests der beste Weg, um die Potenziale eines Bewerbers zu erfassen und vorauszusagen, wie erfolgreich sein späterer Berufsweg sein wird.“

Heinrich Wottawa: "Viele Personaler sind einfach gestrickt und suchen immer nach dem gleichen Muster."
Heinrich Wottawa: "Viele Personaler sind einfach gestrickt und suchen immer nach dem gleichen Muster."

Heinrich Wottawa ist Experte in Sachen Online-Testing. Der Professor für Diagnostik und Wirtschaftspsychologie an der Universität Bochum entwickelt digitale Verfahren, die Personalern bei der Suche nach dem besten Mitarbeiter helfen. „Überall dort, wo Massendiagnostik gefragt ist, also bei der Auswahl von Hochschulabsolventen, Auszubildenden oder Sachbearbeitern, ist Online-Recruiting sinnvoll. Vor allem, wenn die Unternehmen überregional suchen, spart das Zeit und Geld.“ Entscheidend: Es muss gut gemacht sein. Wottawa: „Am Anfang des Internet-Recruitings haben inkompetente Personaler ihren IT-Experten einen Personalbogen in die Hand gedrückt und gesagt: Macht mal. Das Ergebnis war entsprechend. Die Vorurteile halten sich bis heute.“

Auswahl nach dem Alter nicht sinnvoll

Sinnvolle Online-Tests dagegen müssen nach einschlägigen Messverfahren strukturiert sein. Einfach zu fragen: Können Sie Java oder C++? bringt kaum aussagekräftige Ergebnisse. Wer dagegen konkrete Fragen zur Anwendung stellt, erfährt einiges über die tatsächliche Qualifikation eines Bewerbers. Stur nach dem Alter auszusieben, um nur zielstrebigen Nachwuchs zu bekommen, kann interessante Kandidaten aus dem Spiel werfen. Wer dagegen online mit konkreten Fragen nach den Lücken im Lebenslauf fahndet, hat bessere Chancen, die interessanten Newcomer herauszuangeln. Voraussetzung für einen detaillierten Fragenkatalog sind möglichst genaue Vorstellungen der Personaler selbst. „Der Recruiter muss wissen: Was brauche ich überhaupt? Welche genauen Anforderungen sind für den Job notwendig? Wie viel Durchsetzungskraft und Teamfähigkeit etwa, wie viel analytische Fähigkeiten benötigt der Kandidat?“, so Wottawa. Auf diese Weise lassen sich Entscheidungsregeln bilden, die mittels eines hochkomplexen IT-Systems in Test-Tools umgesetzt werden. Die Entscheidungsregeln können kontinuierlich optimiert werden, indem Recruiter und Online-Experten die Daten vergangener Fälle regelmäßig vergleichen: Nach welchen Kriterien haben wir die Kandidaten ausgewählt, und was ist ein halbes Jahr später aus ihnen geworden?

Doch leider hakt es nach Einschätzung Wottawas oft an der Grundlage für so ein effektives Verfahren: einer „vernünftigen Anforderungsanalyse“ der Personaler. „Viele Personalleiter sind einfach gestrickt. Sie suchen immer nach den gleichen Mustern. Teamfähig, intelligent, flexibel - das sucht jeder, das hilft nicht weiter“, kritisiert Wottawa. Ebenso falsch sei es, stets nach dem besten zu schielen, demjenigen, der alles kann. „Schließlich brauche ich den passenden Kandidaten, nicht den besten.“ Ein Programmierer, der einsam am Rechner tüftelt, muss nicht der beste im Kommunikationstest sein. Ein Verkäufer, der Kunden gewinnen soll, muss nicht als Meister des kognitiven Denkens brilliert haben. Langfristig bringe der Run auf die Besten die Unternehmen ohnehin in die Bredouille - der Wettbewerb konzentriert sich auf eine kleine Gruppe. Die Unternehmen schaden sich dadurch selbst.

Eignungstests an späteren Aufgaben ausrichten

Heinke Steiner vom Online-Testanbieter Alpha-Test in Mannheim kennt die Vorliebe der Personalabteilungen, nach den Besten der Besten zu suchen. „Auch wenn die meisten sich inzwischen bewusst sind, dass es gar nicht so sinnvoll ist, diejenigen zu nehmen, die beispielsweise im Assessment-Center in allen Punkten am besten abgeschnitten haben, halten sie häufig daran fest. So eine Entscheidung lässt sich am besten im Unternehmen rechtfertigen.“

Das Ergebnis ist nicht selten Frustration auf beiden Seiten: Der neue Mitarbeiter merkt, dass viele seiner Fähigkeiten gar nicht gebraucht werden. Das Unternehmen sieht, dass er doch nicht am richtigen Platz ist. Steiner: „Wir raten daher den Personalern, die Assessment-Center so anzulegen, dass sie genau ein bestimmtes Bewerberprofil herausfiltern. Dann ist der Beste der Passende.“ Das gilt offline ebenso wie online. „Eignungstests sollten sehr eng auf die spezifischen Tätigkeiten in der Arbeit ausgerichtet sein und nicht die persönlichen Eigenschaften ins Visier nehmen. Es ist unfair gegenüber dem Kandidaten, ihn zu drängen, Dinge preiszugeben, die er nicht preisgeben möchte. Die persönlichen Eigenschaften, die er für seinen Job braucht, lassen sich auch durch arbeitsplatzbezogene Tests herausfiltern.“

Doris Brenner, Coach: "Die soziale und methodische Kompetenz werden zu wenig berücksichtigt."
Doris Brenner, Coach: "Die soziale und methodische Kompetenz werden zu wenig berücksichtigt."

Immer noch stellten viele Personaler bei der Mitarbeiterwahl die fachlichen Kompetenzen der Kandidaten zu sehr in den Vordergrund, kritisiert Doris Brenner, Coach und Autorin des Buches „Neue Mitarbeiter suchen, auswählen, einstellen": „Soziale und methodische Kompetenzen, die gesamte Persönlichkeit des Bewerbers werden oft zu wenig berücksichtigt. Zudem wird allzu oft der nächstbeste Kandidat genommen, nur weil man unter Zeitdruck steht. In wirtschaftlich guten Zeiten glauben Unternehmen, über Wahnsinnsgehälter Bewerber ködern zu können. In der Rezession wird versucht, Top-Kandidaten zu Dumping-Preisen anzuheuern.“ Brenners Rat: den Auswahlprozess aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: dem des Vorgesetzen, der Personalabteilungen und - des Bewerbers. Allerdings ist es mit der Auswahl allein nicht getan. Unternehmen, die das Entwicklungspotenzial ihrer Mitarbeiter langfristig bergen wollen, müssen auch in ihre Förderung investieren. Theoretisch ist das längst ein Gemeinplatz, praktisch lange noch nicht Realität. „Wir müssen viel mehr darüber nachdenken, was in den Menschen drinsteckt“, fordert Diagnostik-Professor Wottawa. „Viele Arbeitgeber denken nicht langfristig genug. Das muss sich ändern. In der IT-Branche hat das Umdenken schon begonnen.“

Der Klügere ist nicht immer der Beste

Wottawa selbst hat diese Erkenntnis vor kurzem bei der Bewerberauswahl berücksichtigt. Er prüfte zwei Kandidaten im Intelligenztest („Das ist wichtig, um das Potenzial einschätzen zu können“). Der Erste schnitt gut, der Zweite sehr gut ab. Der weniger Kluge hatte bessere Fachkenntnisse und verlangte daher ein höheres Gehalt, der Klügere war fachlich schlechter qualifiziert und gab sich daher mit weniger Geld zufrieden. Wottawa entschied sich für den Zweiten - und investierte die Gehaltsdifferenz in hochwertige Schulungen des neuen Mitarbeiters.

Entscheidend sei neben der Intelligenz die Lernbereitschaft des Kandidaten. Und die lasse sich durchaus testen: Mit Hilfe von „Situations-Tools“, die checken, ob ein Mitarbeiter in der Lage ist, die Erfahrungen aus einer fiktiven Situation auf eine andere zu übertragen. Und das ist sogar online machbar.

Wie sich interkulturelle Lernfähigkeit abprüfen lässt

Professor Heinrich Wottawa hat mit seiner Firma Eligo eine Internettestplattform entwickelt, um die Fähigkeiten von Berbern online zu testen. Hier ein Beispieltest zum Thema interkulturelle Lernfähigkeit.

Die Baustelle in Indien

Auf einer Baustelle für ein großes Logistikzentrum in Indien unter Leitung eines deutschen Ingenieurs als Projektleiter: Das Gebäude soll in wenigen Tagen endgültig fertig gestellt sein.

Die Elektrofirma ist bereits mit den letzten Installationen und Kontrollen beschäftigt. Der Projektleiter muss vor der Inbetriebnahme einer Anlage noch unbedingt die elektrische Spannung messen. Er bitte einen der indischen Ingenieure, ob er dies nicht eben schnell tun könne. Dieser bejaht, wendet sich an den indischen Haupt-Techniker, dieser schickt einen indischen Elektriker zum Messen. Dieser meldet die Werte dem Haupt-Techniker, der dem Ingenieur, dieser dem Deutschen.

Leider gibt es danach noch ein Problem mit der Anlage, und die Spannung muss nochmals gemessen werden. Es wiederholt sich dieselbe Handlungsabfolge. Bei der abschließenden Kontrollmessung wird es dem deutschen Ingenieur zu umständlich. Er führt die Messung selbst aus.

Bitte geben Sie auf einer Skala von 0 bis 100 für jede der folgenden Aussagen an, für wie zutreffend Sie diese halten.

a) Vermutlich sind den Indern manche Geräte noch nicht so vertraut. Es dauert unter solchen Umständen länger, bis die bereits eingearbeitete Person gefunden wird. Bevor dann viel Zeit verschwendet wird, ist es schon besser, wenn der Ingenieur aus Deutschland schnell selber nachmisst.

b) Inder fühlen sich durch das Verhalten des Deutschen verunsichert. Will er sie kritisieren? Haben Sie etwas falsch gemacht?

c) Das Verhalten des Deutschen ist sehr vorbildlich gemeint. So kann man zeigen, dass man sich als hochrangiger Ingenieur nicht zu schade ist, auch einmal selbst Hand anzulegen. Inder werden das zu schätzen wissen.

d) Es gibt eine strenge Hierarchie in Indien. Das Verhalten des Deutschen ist in Indien beleidigend, denn er dringt in den Wirkungsbereich der andren ein und nimmt ihnen die Chance zur Bestätigung.

Im Anschluss an die Beantwortung werden den Teilnehmern Erklärungen geboten:

Gründe für das Verhalten der Beteiligten

Die Vorgehensweise des deutschen Projektleiters weist in dieser Situation eindeutig auf die typisch deutsche Handlungsorientierung hin: Er hat das Ziel vor Augen, das Logistikzentrum in wenigen Tagen fertig zu stellen, und setzt alles daran, keine Zeit zu verlieren und auf schnellstem Wege dieses Resultat zu erreichen. Die jeweiligen Arbeitsergebnisse der drei indischen Ingenieure abzuwarten ist für ihn nur ein lästiger Umweg, der ihn unnötige Zeit kostet. Warum müssen sich drei Leute mit einer Aufgabe auseinander setzen, die ein Einziger viel schneller erledigen kann?

An dieser Stelle stößt die in Deutschland übliche Handlungsorientierung auf ein völlig anderes kulturelles Denken. In Indien wird der Status eines Menschen in der Gesellschaft darüber definiert, welcher Kaste er zugeordnet ist. Jede Kaste hat eine bestimmte Aufgabe und damit eine Daseinsberechtigung, die von der nächst höheren Kaste respektiert wird. Durch das Übergehen dieser Gesellschaftshierarchie verhält sich der Projektleiter seinen Mitarbeitern gegenüber respektlos. Dadurch, dass er ihre Aufgaben übernimmt, um schneller voranzukommen, entzieht er ihnen überspitzt gesagt ihre Daseinsberechtigung. Die Inder reagieren dementsprechend verunsichert – haben sie etwas falsch gemacht? Sie fühlen sich von ihrem Chef erniedrigt. Indem er ihnen ihre Existenzberechtigung entzieht, nimmt er ihnen gleichzeitig die Chance zur Bestätigung. Klare Arbeitsbeschreibungen und Zuständigkeitsbereiche und deren Akzeptanz sind in Indien ein Ausdruck von Eigenständigkeit, weil innerhalb dieses Spielraumes jeder für seine Aufgabe die Verantwortung trägt.

Wenn solche Aufgaben als Test für die Lernfähigkeit eingesetzt werden, folgt jetzt eine neue Situation aus Indien, mit der der Transfer des theoretisch Gelernten geprüft werden kann.
Quelle: Eligo.de