Was Gerstner und Palmer wissen

09.09.1994

Wer wollte behaupten, er koenne nachvollziehen, weshalb die Digital Equipment Corporation ihr "Rdb"-Datenbankgeschaeft an Oracle verkauft (Seite 3). Digital-Chef Robert Palmer sieht es als eine Voraussetzung fuer den Turnaround an, dass sich der angeschlagene Hersteller auf sein Kerngeschaeft, die Hardware, konzentriert - das Comeback, siehe Erfolge mit dem Alpha-Prozessor, sei eingeleitet. Um korrekt und fair zu sein: Palmer wird mit diesen Argumenten zitiert. Soll er sagen, dass es sich um eine Notmassnahme handelt, die Veraeusserung des Tafelsilbers, um das Unternehmen vor dem Bankrott zu bewahren? Er wird sich hueten. Ginge es Digital noch gold, Palmer muesste das Rdb-Business nicht abstossen.

Palmer duerfte es nicht entgangen sein, dass Middleware, zu der Rdb im weitesten Sinne gehoert, fuer die verteilte Datenverarbeitung in der Client-Server-Welt immer wichtiger wird. Aber auch der Verkauf des Speichergeschaefts an Quantum (vgl. CW Nr. 29 vom 22. Juli 1994) passt nicht in das Bild von einem IT-Anbieter, der sich als Hardwarespezialist darstellen will. Palmer weiss natuerlich, wie es um Digital wirklich steht - vielleicht wirkt er deshalb so gelassen, weil er den Notausgang kennt. Fragen nach moeglichen Uebernahme-Interessenten (Kauft die Siemens AG Digital? Und was ist mit Mitsubishi?) bringen einen nicht weiter. Palmer muss sich taub stellen. Also wissen wir nicht alles - eine nuetzliche Erkenntnis immerhin, die vor Leichtglaeubigkeit schuetzt. Die Anwender werden diesen Selbstschutz noch brauchen.

Parallelen gibt es zu Big Blue, wo Louis Gerstner um Schadensbegrenzung bemueht ist. Doch was hat der IBM-Chef bisher anderes getan, als Unternehmensteile wie den Behoerdenbereich zu Geld zu machen, Personal zu entlassen, organisatorisch zu rezentralisieren und die Ausgaben fuer Forschung und Entwicklung zu kuerzen? Analysten und Consultants aus dem IBM-Umfeld zeigen sich beeindruckt.

Es wirkt grotesk, dass die IBM fuer gesund erklaert wird, bevor die Nachuntersuchungen beendet sind. Werden sich die Erneuerer, die Querdenker innerhalb der IBM, noch wohlfuehlen, wenn alles wieder nach dem alten zentralistischen Muster laeuft? Vor allem: Wie sehen die Produkte aus, mit denen der Mainframer in den kommenden Jahren Marktanteile zurueckerobern will? Tatsaechlich verbirgt sich hinter Gerstners Argumentation ein sehr reduziertes IT-Marktverstaendnis: die Annahme naemlich, dass Ressourcenverschwendung die alleinige Ursache aller IBM-Probleme gewesen sei. Das Gegenteil ist der Fall: Die IBM blockierte sich, indem sie zuwenig riskierte, Parkschutz ueber Innovation in neuen Maerkten stellte.

Aehnlichkeiten mit der Situation bei DEC sind nicht zufaellig: Sparmassnahmen beseitigen die Symptome, nicht die Ursachen - bei IBM wie bei DEC mangelnde Anpassungsfaehigkeit, die Scheuklappen an den Koepfen der Leute. Schliesslich war seit laengerem bekannt, dass sich bei den Anwendern der Wind gedreht hat.

"The users have taken over the system", diese Lektion muessen IBM und Digital erst lernen.