Interview mit Norbert Kleinjohann, CIO bei Siemens

Was die Siemens-IT heute anders macht als vor sieben Jahren

07.08.2014
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Als Norbert Kleinjohann 2007 CIO des Siemens-Konzerns wurde, räumte er erst einmal gründlich auf. In der IT geschehe heute nichts mehr, ohne dass es einen direkten Nutzen für mindestens einen Unternehmensteil hätte, sagt er. Einzelheiten verriet er im COMPUTERWOCHE-Interview.

CW: Der Siemens-Konzern beschäftigt insgesamt 17.500 Softwareentwickler, von denen aber nur ein kleiner Teil in der zentralen IT beschäftigt ist. Was ist anders für einen CIO, wenn dessen interne Kunden so viel Fachkenntnis besitzen?

Kleinjohann: Sie sprechen hier unterschiedliche Aufgabenfelder an. Die Entwickler, die Sie meinen, arbeiten in der Entwicklung unserer Siemens-Produkte. Demgegenüber stehen mehr als 6.000 IT-Mitarbeiter, die die komplexe IT Landschaft betreuen und betreiben. Und es ist doch ein großer Unterschied, ob ich eine Softwarelösung entwickle oder eine IT Landschaft betreibe. Heutzutage ist eine interne IT zudem immer mehr ein Komplettlösungsanbieter, der weniger eigene Software entwickelt sondern mehr bestehende Plattformen und Standardsysteme orchestriert.

Norbert Kleinjohann, CIO des Siemens-Konzerns
Norbert Kleinjohann, CIO des Siemens-Konzerns
Foto: Siemens

CW: Wie kürzlich auf der Siemens-Veranstaltung zum Thema "Smart Data/Digitale Revolution" zu hören war, arbeiten IT und Entwicklung aber mittlerweile eng zusammen, um innovative Produkte hervorzubringen.

Kleinjohann: Das ist richtig. Corporate Technology und IT waren ja auch gemeinsamer Gastgeber dieser Veranstaltung. Wir in der IT sind ein wichtiger begleitender-Partner der Corporate Technology. Dort arbeiten die Spezialisten an innovativen Lösungen, und die IT bringt die Perspektiven ein, die für einen ganzheitlichen Betrieb wichtig sind.

Trend-Scouting bezieht sich auf Technik und Anforderungen

CW: Wie ist denn das Zusammenspiel zwischen IT und Siemens-Forschung, also Corporate Technologie organisiert? Gibt es einen Prozess für Innovationen?

Kleinjohann: In der IT betreiben wir ein Trend-Scouting - auf dem Gebiet der Technologie und auch hinsichtlich der Business-Anforderungen. Nur so können wir erkennen, wie wir mit Hilfe neuer Technologie das Geschäft besser unterstützten können. Wir nehmen nicht einfach die Anforderungen und setzen sie um. Das wäre ja eine reine Briefträgerfunktion. Meine Mitarbeiter haben ein Grundverständnis für das vielfältige Geschäft des Konzerns. Deshalb können Sie auch eine Broker-Funktion erfüllen, wie sie dem CIO und seinem Team gut zu Gesicht steht.

CW: Sie wissen also, was das Geschäft will und braucht?

Kleinjohann: Selbstverständlich nimmt die IT null Einfluss auf die Anforderungen. WAS gemacht werden soll, entscheidet das Business. Aber WIE das im Siemens-Kontext bestmöglich umgesetzt wird, entscheiden wir.

CW: Und wie bringen Sie dann die Innovationen in die Prozesse und Anwendungen?

Kleinjohann: Wir helfen den Geschäftsbereichen auch schon mal dabei, ihr Vorstellungsvermögen hinsichtlich der technischen Möglichkeiten zu entwickeln. So entsteht aus dem Technologie-Scouting bisweilen ein konkreter Demand. Und immer häufiger kommt solcher Demand aus den Bereichen selbst; dann liegt es an uns, zu sagen, mit welcher Technik das bereits geht und wie.

CW: Wie gehen Sie mit Innovationen von außen, also von der Herstellerseite, um?

Kleinjohann: Innovation definiert sich über den Nutzen, den sie nachweislich stiftet. Viele sogenannte Innovationen halten diesem Kriterium nicht stand. Ob es für uns einen Nutzen gibt, das müssen wir immer wieder abwägen.

Standard heißt nicht, alles über einen Kamm zu scheren

CW: Dann hat SAP mit der InMemory-Appliance HANA wohl mal wieder eine echte Innovation auf den Markt gebracht. Denn darauf basiert Ihr Projekt "Dash". Mit dieser Anwendung können Sie eigenen Angaben zufolge eine Menge Beraterleistungen einsparen. Wie das?

Kleinjohann: Was die meisten Unternehmensberater machen, ist doch mehr oder weniger eine Bestandsaufnahme der Prozesse und Projekte. Die haben wir mit Dash quasi automatisiert. Wir können damit Transparenz auf Knopfdruck erzeugen. InMemory-Computing und weitere Technologien sind dafür das Mittel zum Zweck.

CW: HANA ist nicht die einzige InMemory-Technik auf dem Markt. Aber für einen großen IT-Bereich ist es vermutlich einfacher, wenn er sich auf einen marktführenden Anbieter konzentriert.

Kleinjohann: Nein, überhaupt nicht. Dann käme man in Zugzwang, alles zu übernehmen, was einem angeboten wird. Und dann wäre der Wettbewerb ja überflüssig. Nein, man muss immer wieder die Gesamtfrage stellen und den Markt challengen.

CW: Andererseits setzen Sie stark auf Standardisierung. Als Sie 2007 CIO des Siemens-Konzerns wurden, haben sie ja neben der Nähe zum Business vor allem die Verringerung der Komplexität durch Standardisierung propagiert.

Kleinjohann: Das stimmt. Allerdings muss man da schon differenzieren. Wir versuchen, überall dort Standards zu nutzen, wo wir uns nicht differenzieren müssen. Aber das heißt nicht, dass wir alles auf einen gemeinsamen Nenner bringen müssen oder wollen. Anforderungen kann man nicht standardisieren, vor allem nicht in einem so vielfältigen Unternehmen. Die Standardisierung passiert in den Ebenen darunter.

CW: Wie hat sich die Komplexität dadurch in den vergangenen sieben Jahren verringert?

Kleinjohann: Selbstverständlich ist ein derart breit aufgestellter Konzern nur bedingt zu vereinfachen. Wir haben einfach eine hohe Bandbreite an Geschäftstypen sowie eine komplexe Geschäftsprozess- und IT-Landschaft. Aber wir betreiben heute beispielsweise nur noch 60 statt 200 ERP-Systeme.

CW: Das klingt immer noch nach hoher Komplexität. Wozu brauchen Sie 60 ERP-Systeme? Ginge das nicht auch mit einigen wenigen?

Kleinjohann: Aus der Sicht des Mathematikers kann ich Ihnen versichern, dass es eine Komplexitätskurve gibt, die V-förmig verläuft, und dass zu starke Zusammenfassung die Komplexität erhöht und die Flexibilität reduziert - durch zusätzliche Abhängigkeiten. Wenn beispielsweise zu viele unterschiedliche Benutzer an einem Systemen hängen, ist das nicht mehr managebar. Die Komplexität wird doch nicht dadurch bestimmt, wieviel man wovon hat, sondern davon, wie die Gesamtarchitektur harmonisiert ist.

Siemens-CIO Norbert Kleinjohann: "Mein Team und ich haben uns vor allem auf drei Dinge konzentriert: die Balance zwischen Eigen- und Fremdleistungen, die richtigen Prioritäten sowie Kontinuität und Konsequenz in der Lieferung von dem, was wir sagen."
Siemens-CIO Norbert Kleinjohann: "Mein Team und ich haben uns vor allem auf drei Dinge konzentriert: die Balance zwischen Eigen- und Fremdleistungen, die richtigen Prioritäten sowie Kontinuität und Konsequenz in der Lieferung von dem, was wir sagen."
Foto: Siemens

Die Gesamtwirtschaftlichkeit der IT ist gestiegen

CW: Generell gesprochen: Wie hat sich die Siemens-IT verändert, seit Sie sie leiten?Kleinjohann: Wir haben die Informationstechnik und ihren Nutzen geerdet. Es findet heute keine Technik mehr statt, wenn es keinen Link zu deren Nutzen gibt. Wir haben uns und die IT quasi "produktiviert", das heißt: weniger aufwändig, kostengünstiger und effizienter gemacht. Alles was wir tun, steht in einem Zusammenhang mit irgendeiner Stelle im Unternehmen. Es ist immer klar, wem es nützt und was es kostet.

CW: Und was haben Sie damit erreicht?

Kleinjohann: Die Gesamtwirtschaftlichkeit der IT ist gestiegen. Außerdem gibt es heute nur noch ganz wenige Projekte, bei denen der Kostenrahmen zu eng wird. Darüber hinaus pflegen wir mehr Geschäftsnähe - in dem Sinne, dass wir verstehen und liefern, was das Geschäft wirklich braucht. Und das ist kein einmaliger Zustand, da muss man dranbleiben.

CW: Manche Unternehmensbereiche würden liebend gern auf diese Nähe verzichten und ihre IT selbst einkaufen. Vielleicht nicht gerade bei Siemens …

Kleinjohann: … Sicher hat es das auch bei Siemens gegeben. Aber da ist immer relativ schnell der Punkt erreicht, wo es nicht mehr funktioniert.

Wer keine Schatten-IT will, muss liefern

CW: Und wie gelingt es Ihnen, den allgemeinen Trend zur Schatten-IT einzudämmen?

Kleinjohann: Das ist kein großes Geheimnis. Man muss zunächst einmal liefern. Wenn man einen Fachbereich ständig enttäuscht, hat er irgendwann die Faxen dicke, wie man so sagt, und er wird versuchen, einen anderen Weg zu gehen. Außerdem gibt es in unserem Unternehmen, wie in anderen auch, Regeln. Und wenn es da irgendwelche Ausnahmen gibt, muss man sich fragen, woher die kommen, und die Ursachen beseitigen. Das haben wir getan, und deshalb gibt es das so gut wie nicht mehr.

CW: Sie sagten kürzlich, Siemens dürfe nicht der sprichwörtliche Schuster sein, der die schlechtesten Schuhe hat. Wie ist das zu verstehen?

Kleinjohann: Hier habe ich nicht als CIO, sondern als Siemens-Manager gesprochen. Und ich meinte damit: Wir setzen die Technologien, also vor allem Industrieautomatisierung, die wir unseren Kunden zur Verfügung stellen, auch intern ein. Gerade die interne IT sollte dem Unternehmen helfen, bevorzugt die eigenen Lösungen zum Einsatz zu bringen. Nur dann können wir unsere Highend-Produkte auch glaubwürdig an andere verkaufen. Und darüber hinaus fordern wir unsere Entwicklungskollegen - bevor Dritte das tun - heraus, ständig nach Verbesserungen zu suchen.

CW: Sie wurden kürzlich als einer von vier CIOs in die "Hall of Fame" der COMPUTERWOCHE gewählt. Unsere Begründung ist online und im Heft nachzulesen. Warum hätten Sie selbst sich gewählt?

Kleinjohann: Das ist aber wirklich eine ungewöhnliche Frage. Vor sieben Jahren hatte sich die Siemens-IT in eine Richtung entwickelt, die nicht mehr zielführend war. Mein Team und ich haben uns vor allem auf drei Dinge konzentriert: die Balance zwischen Eigen- und Fremdleistungen, die richtigen Prioritäten sowie Kontinuität und Konsequenz in der Lieferung von dem, was wir sagen. Und wir haben mittlerweile Grundmuster entwickelt, um diese Ziele - unabhängig davon, wie sich Siemens entwickelt - auch zu erreichen.