Was den IT-Profi im globalen Dorf erwartet

13.05.2011
Die zweite Welle der Globalisierung hat die Arbeitsplätze der digitalen Welt erfasst. Wer wissen möchte, wie die persönlichen Fähigkeiten einzustufen sind, kann erstmals ein europäisches Kompetenzprofil nutzen.

Von Petra Riedel*

Wer zukünftig gut auf einen Job in der IT vorbereitet sein will, der solle "World of Warcraft" spielen, empfiehlt Deutschlands HP-Chef Volker Smid. Nicht um zu lernen, wie man Konkurrenten am geschicktesten aus dem Weg räumt. Sondern um die Kooperationsfähigkeit zu trainieren: Nach Smids Ansicht vermittelt das Online-Rollenspiel, wie Menschen aus aller Welt, die über das Internet miteinander vernetzt sind, gemeinsam Aufgaben lösen können.

Nicht nur bei HP arbeiten viele IT-Profis mittlerweile in internationalen Kooperationen oder Offshoring-Projekten auf dem und für den globalen Markt - zukünftig werden es wohl immer mehr werden. Vorbei die Zeiten, in denen ein IT-"Künstler" eine Lösung "maßschneiderte" - in ganzheitlicher Arbeit, mit viel Gestaltungsspielraum und in langen Entwicklungszyklen. Heute werden viele IT-Dienstleistungen in globalen Wertschöpfungsketten erbracht; Aufgaben sind zum Teil weltweit verteilt, die Prozesse standardisiert, die Zyklen kurz und der Innovationsdruck hoch.

"Globalisierung 2.0" nennt Andreas Boes, Soziologe vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München diese Entwicklung. Die erste Welle der Industrialisierung erfasste die Handarbeit. Vorreiter war die Bekleidungsindustrie: Aus der Maßarbeit wurde seit dem 19. Jahrhundert allmählich Fließbandarbeit; vor 40 Jahren begann die Textilproduktion dann von Deutschland aus immer weiter nach Osten zu wandern, den billigen Löhnen hinterher. "Industrialisierung und Globalisierung haben inzwischen auch die Kopfarbeit erreicht, von der man lange glaubte, sie sei dagegen resistent ", sagt Boes, der seit langem die Arbeitsbedingungen in der IT-Industrie untersucht. Im Rahmen eines Expertenforums des Forschungsprojekts GlobePro (www.globe-pro.de) in München diskutierten Wissenschaftler der Forschungsgruppe um Boes und Fachleute aus Unternehmen und Weiterbildung über die daraus entstehenden neuen Anforderungen an IT-Profis.

Drei Wegsteine markieren die Globalisierungsschritte in der IT, beschreibt der Münchner Wissenschaftler Boes: Zunächst folgten die Unternehmen ihren Kunden ins Ausland, dann - etwa ab dem Jahr 2003 - wurde das Offshoring ein Thema, nach dem Motto: "Lieber Kollege, dein Arbeitsplatz muss nicht hier sein, der kann auch in Indien sein." "Davon ist man heute weg", sagt der Soziologe. International tätige Unternehmen stehen nun, im dritten Schritt, vor der Aufgabe, sich gegen neue globale Wettbewerber - zum Beispiel indische IT-Dienstleister - zu behaupten. Sie müssen auf der ganzen Welt schnell, planbar und flexibel handeln können wie ein "global integriertes Unternehmen". "Die meisten deutschen IT-Unternehmen haben bisher keine wirklichen globalen Strategien", urteilt Boes. Die Globalisierung werde jedoch einen Druck erzeugen, dem sich auf Dauer kein Unternehmen entziehen kann, "auch die kleine IT-Firma auf der Schwäbischen Alb nicht".

Durch ständige Neuausrichtungen, Organisationsänderungen, Orientierung an Kennzahlen, zunehmende Arbeitsteilung und dem massiven Schub an Standardisierung und Prozessorientierung - siehe CMMI oder Itil - erreicht der Globalisierungsdruck die Mitarbeiter "Die Sicherheit über die eigene Entwicklung und über den Wert der eigenen Qualifikation ist bei vielen Mitarbeitern verlorengegangen", hat Johannes Katzan, Gewerkschaftssekretär IT bei der IG Metall und dort zuständig für HP, beobachtet. Die berufliche Identität wandelt sich. Doch: Wie stellt sich ein IT-Profi am besten auf das Arbeiten in der globalen IT ein? Welche Qualifikationen werden in Zukunft mehr gebraucht, welche weniger?

Deutsche Hochschulabsolventen stehen im internationalen Vergleich gut da, glaubt Susanne Labonde, verantwortlich für das weltweite Employer Branding bei SAP. Wenn es ihnen nach der Ausbildung an etwas mangele, dann seien das Management-Qualifikationen und interkulturelle Kompetenzen, stellt Labonde fest. Studenten täten also gut daran, Auslandsaufenthalte einzuplanen und Praktika im Ausland zu machen. "Wichtig für uns ist auch, dass die Absolventen frühzeitig Erfahrung in anderen Bereichen sammeln, zum Beispiel als Business-Student mit IT - und umgekehrt."

Verändert haben sich auch die Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit des Einzelnen, beobachtet SAP-Frau Labonde. Man begegne Kollegen und Geschäftspartnern nicht mehr von Angesicht zu Angesicht, sondern tauscht sich per Telefon, Chat, E-Mail oder Videokonferenz aus. Menschen, die einander nie persönlich begegnet sind, müssten auf diese Weise zu einer vertrauensvollen Arbeitsgrundlage kommen. "Das bedeutet, sehr sensibel zu sein, insbesondere im Umgang mit Menschen aus anderen Ländern", weiß Labonde. Auch funktioniere virtuelle Arbeit häufig nicht mehr nach dem hierarchischen Prinzip, sondern auf Grundlage von Expertise. Den Digital Natives, also der Generation der unter 30-Jährigen, die mit sozialen Netzen, Weblogs und Wikis aufgewachsen sind, falle es deutlich leichter, sich in der digitalen Arbeitswelt zu bewegen. "Bei einigen Älteren nehmen wir tendenziell eine gewisse Zurückhaltung wahr, besonders in der aktiven Teilnahme an den sozialen Netzwerken", so die Personalexpertin.

Braucht man also zu den fachlichen Fähigkeiten noch interkulturelle Kompetenzen sowie sehr gute Sprachkenntnisse, mindestens der englischen Sprache? So einfach sei die Sache nicht, sagt die Volkswirtin Andrea Baukrowitz von GlobePro. Es gehe um mehr als um die Addition von Einzelkompetenzen. "Wir erleben einen tiefgreifenden Wandel", betont sie, "kommunikative Fähigkeiten werden wichtiger Bestandteil der Fachlichkeit."

Bisher haben IT-Profis ihr Profil vor allem im Rahmen neuer Projekte erweitert, ohne womöglich große Überlegungen darüber anzustellen, wo und wie es beruflich hingehen soll. "Um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, wird es aber zunehmend wichtiger, die eigene Weiterentwicklung strategisch anzugehen", ergänzt Baukrowitz. Wie aber findet man sich in dem nahezu undurchschaubaren Qualifizierungs- und Zertifizierungsangebot zurecht? Bisher sind vor allem Herstellerzertifikate die international anerkannte Währung. Nur: Die sind an bestimmte Produkte gebunden und daher eher unflexibel.

Das europäische E-Competence Framework (e-CF 2.0) stellt eine neue Möglichkeit dar, persönliche Kenntnisse und Erfahrungen einzuordnen und zu erkennen, wo die eigenen Entwicklungschancen liegen können (www.ecompetences.eu). Dieser Referenzrahmen für Jobprofile von IT-Fach- und Führungskräften liegt seit September 2010 vor; er wurde von der Europäischen Kommission für Normung (CEN) zusammen mit europäischen IT- und Personalentwicklungsexperten erarbeitet. Er wurde dazu geschaffen, sich in Europa über Anforderungen und Qualifikationen in IT-Berufen zu verständigen und nationale Qualifizierungssysteme (in Deutschland das duale System der "arbeitsprozessorientierten IT-Aus- und Weiterbildung", kurz "APO-IT") aufeinander abstimmen zu können. Weil er eine Verbindung zwischen Arbeitsplatz, Kompetenzen und Qualifikationen herstellt, kann er IT-Profis aber auch Orientierung zur persönlichen Weiterentwicklung und -bildung geben (unter http://profiletool.ecompetences.eu steht ein Tool zur Verfügung, mit dem Profile erstellt werden können).

Vereinheitlichung und Transparenz von Profilen streben aber auch Unternehmen an. SAP beispielsweise hat in den Jobfamilien Vertrieb und Beratung festgelegt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten es den jeweiligen Rollen weltweit erwartet. Weitere Jobfamilien sollen folgen. Damit wird auch deutlich, wie Mitarbeiter selbst ihre Karriere entwickeln können. "Wer ständig weiter lernt, flexibel bleibt und bereit ist, immer wieder neue Erfahrungen zu machen - beruflich wie privat -, der wird auch weiterkommen", fasst SAP-Managerin Labonde zusammen.

Der Druck auf IT-Profis ist enorm - nicht nur durch Kennzahlen und Controlling. Die Betriebsratsvorsitzende der Software AG, Monika Neumann, wünscht sich, dass dieser Entwicklung Grenzen gesetzt werden; sie beobachtet eine zunehmende Arbeitsverdichtung und wachsende Probleme mit Burnout. "Die Leute werden zum Teil verheizt. Oft bleibt für die Weiterbildung zu wenig Zeit, weil fakturierbare Tage wichtiger sind. Dabei müssen die Fachkräfte eine Chance haben, ihre Qualifikationen auf dem Laufenden zu halten", fordert die Arbeitnehmervertreterin.

Selbstverständlich ist es nicht, dass Unternehmen dies unterstützen. Vielleicht ist daher 'World of Warcraft' gar kein so schlechter Tipp des HP-Chefs - zumindest für Mitarbeiter eines Unternehmens, das nicht in die Weiterbildung seiner Leute investiert.

Der IT-Profi 2.0

1. Die "Kopfarbeit" ist in den Sog der Industrialisierung geraten. Der IT-Profi ist nicht mehr der "Maßschneider", der in ganzheitlicher Arbeit eine Lösung für ein spezielles Kundenproblem ertüftelt.

2. Aufgaben sind zum Teil weltweit verteilt. Zunehmende Arbeitsteilung geht einher mit einem massiven Schub an Standardisierung und Prozessorientierung.

3. Menschen, die sich zum Teil nie persönlich begegnen, müssen über große Distanzen vertrauensvoll kooperieren. Kommunikative Fähigkeiten und interkulturelle Sensibilität verschränken sich zunehmend mit fachlichen Anforderungen.

4. IT-Profis haben ihr Profil bisher vor allem im Rahmen neuer Projekte erweitert. Zukünftig wird es immer wichtiger, die eigene Weiterqualifizierung als eine strategische Aufgabe anzugehen.