Business Process Management

Was bringt BPM aus der Cloud?

10.09.2013
Von 
Geschäftsführer der Agito GmbH, Berlin
Eine integrierte BPM-Suite on premise hat sicher viele Vorteile. Doch in puncto Flexibilität kann sie es mit einer Best-of-Breed-Lösung aus dem Netz nicht aufnehmen.
Foto: Maksym Yemelyanov, Fotolia.com

Es ist viel Bewegung im Markt für BPM-Systeme (Business-Prozess-Management). Während die Konsolidierung durch Akquisitionen weiter voranschreitet, betreten neue Anbieter den Markt. Die angebotenen Lösungen sind vielfältig: Hoch integrierten Suites mit einer Vielzahl an Funktionen stehen leichtgewichtigen Ansätzen gegenüber, die zusätzliche Funktionen über individuelle oder spezialisierte Lösungen anderer Anbieter integrieren.

Die Motivation für die Nutzung eine BPM-Systems ist unterschiedlich und entspringt entweder einer konkreten Geschäftsanforderung oder strategischen Überlegungen. In beiden Fällen besteht die Entscheidung für ein bestimmtes BPM-System oft in einem langwierigen Prozess.

Dabei basieren viele Entscheidungen zunächst auf bloßen Annahmen der zu erwartenden Anforderungen. Praktische Erfahrungen mit BPM-Systemen betreffen in dieser Phase meist nur Prototypen. Aber auch die sind wichtig, um entscheidende Aspekte frühzeitig zu hinterfragen. Ein umfassender Anforderungskatalog mit Gewichtungen einzelner Punkte kann helfen, eine Lösung zu finden, aber ihn zu erarbeiten verlängert den Entscheidungsprozess umso mehr.

Tendenz in Richtung BPM-Suite

Die Vielzahl und der Umfang der so erhobenen Anforderungen lässt die Affinität häufig in Richtung einer BPM-Suite tendieren. Verspricht diese doch den größtmöglichen Funktionsumfang - und das oft ohne weitreichende individuelle Anwendungsentwicklung.

Ob dieses Versprechen eingehalten werden kann, zeigt sich meist erst nach längerem Einsatz. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch nicht nur die Entscheidung für die jeweilige Lösung gefallen, sondern auch eine Vielzahl weiterer Investitionen in diesem Kontext getätigt. Gravierende Änderungen bezüglich des BPM-Systems oder der Laufzeitumgebung sind dann nur noch schwer umzusetzen.

Integration in moderne Szenarien

Die Notwendigkeit, Laufzeitumgebungen und Plattformen zu harmonisieren, ergab sich in der Vergangenheit meist aus Systemkonsolidierungen. Aktuell und in naher Zukunft ist der Treiber jedoch mehr und mehr die Forderung nach Integration der IT in moderne Anwendungsszenarien wie Cloud Computing.

Das setzt so manchen Anbieter von BPM-Lösungen unter Zugzwang, denn es erfordert eine deutlich größere Unterstützung unterschiedlicher Plattformen. Insbesondere die Suiten stehen in hoher Abhängigkeit zur jeweiligen Laufzeitumgebung. Sie unterstützen in der Regel nur eine spezifische oder sogar proprietäre Laufzeitumgebung. Das erleichtert zwar eine tiefgreifende Integration einzelner Komponenten, führt aber zu Restriktionen bei der Auswahl der Systemkomponenten und der Integration in die Systemlandschaft. So werden die Vorteile einer Suite unter Umständen stark gemindert durch die Nachteile des proprietären Ansatzes.

Leichtgewichtigere Ansätze (zum Beispiel Open-Source-Lösungen wie jBPM oder Activiti) können schon aufgrund ihres enger umrissenen Funktionsspektrums leichter mit unterschiedlichen Laufzeitumgebungen umgehen. Wobei es allerdings auch hier entsprechender Anpassungen und Konfigurationen bedarf. Zudem sind viele Aspekte einer BPM-Anwendung nicht durch diese Komponenten abgedeckt, sondern müssen individuell hinzugefügt werden. Soll die Portabilität erhalten bleiben, müssen die Komponenten diesen Aspekt in ihrer Architektur und Implementierung berücksichtigen. Das überfordert im Projektumfeld aber meist den zeitlichen und finanziellen Rahmen.

Argumente pro und contra Cloud

Es gibt eine Unmenge Argumente für und gegen die Cloud, oder genauer: gegen Technologien und Dienste. Einige wesentliche Diskussionspunkte sind dabei:

  • Datenschutz und -sicherheit;

  • Einsparung von Investitionen;

  • Skalierbarkeit;

  • Verzicht auf eigene IT-Kompetenz;

  • Zuverlässigkeit und Bandbreite der Internet-Anbindung.

Betrachtet man jedoch die Situationen existierender Organisationen und deren IT- Abteilungen, so wird zumindest die Notwendigkeit sichtbar, den Status Quo zu ändern. Die Anforderungen der Organisationen nach stetiger und schneller Anpassung der IT an ihre Bedürfnisse übersteigen oft die Leistungsfähigkeit der IT Abteilungen. Viele Unternehmen sind zudem mit den bereits genutzten BPM Systemen unzufrieden ("BPM-Komplexität vergrault Anwender"http://www.computerwoche.de/a/bpm-komplexitaet-vergrault-anwender,1234946).

Der Entscheidungsprozess für ein BPM-System umfasst zumeist den Wunsch, ein System für alle Anforderungen im BPM-Anwendungsumfeld einzusetzen. Können nicht alle Anforderungen damit umgesetzt werden, bedeutet das selten die Entscheidung für ein weiteres System oder die Ablösung des bestehenden. Stattdessen etablieren sich lokale "Ersatz"-Lösungen - meist im Verborgenen - und sind schlussendlich schwerer zu überblicken und zu managen, als es ein weiteres BPM-System wäre.

Anforderungen an Cloud-BPM-Systeme

Hier kann die Cloud ihre Vorteile ausspielen: Eine Enterprise-Cloud-basierende BPM-Lösung mildert die Auswirkungen eines neuen BPM-Systems auf die aktuelle Systemlandschaft. Es müssen keine Hardwareressourcen vorgehalten werden, die Aufgaben des eigenen Systembetriebs werden (je nach Serviceangebot des Cloud Anbieters)verringert, und die operative Skalierbarkeit der Systeme erhöht. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Vorteile, aus denen sich zugleich wesentliche Anforderungen an Cloud-BPM-Systeme ableiten lassen:

  • Laufzeitumgebung basierend auf offenen Standards;

  • Integration in bestehendes Identity-Management für Authentication und Authorization (zumeist On-Premise);

  • Leichte Integration externer und On-Premise-Services;

  • Agile, effiziente und Business-nahe Anwendungserstellung;

  • Kurze Implementierungszeiten;

  • Leichtgewichtige Integrationsmöglichkeit von individuellen oder Third-Party- Lösungen (Monitoring, BRM, Social Media etc.)

  • Moderne und Intuitive Benutzerschnittstellen;

  • Nutzungsabhängiges Abrechnungsmodell;

  • Elastizität sowohl von der Cloud-Plattform als auch dem BPM-System unterstützt.

Moderne Systeme nutzen Serviceschnittstellen, die vielfach Plattform-neutral angeboten werden. Zum Beispiel für den Zugriff auf Identity-Services - die zumeist On-Premise vorgehalten und gemanagt werden. Damit ermöglichen sie Human Task Management mittels der OASIS-Standards SAML (Authentication) und SPML (User & Group Provisioning).

Welcher Technologie sich das jeweilige BPM System im Kern bedient, verliert an Bedeutung. Die Systeme werden ja nicht vom Anwender selbst in voller Tiefe gewartet und betrieben (mit gewissenEinschränkungen bei Infrastructure as a Service). So lässt sich der Fokus des jeweiligen BPM-Systems zugunsten leichter Implementierung von Business-Anforderungen verschieben.

Verringern sich die Auswirkung auf die bestehende IT-Infrastruktur, werden Entscheidungen für eine Lösung deutlich unabhängiger und risikofreier sein. Aufgrund der geringen Aufwände und Kosten für den Einsatz einer BPM-Lösung, fallen die Hürden für deren Einsatz - gegebenenfalls auch parallel zu bestehenden Lösungen.

Management-Regeln als Basis der Evaluierung

Das Management sollte Regeln und Bedingungen für den Einsatz von Cloud-Anwendungen aufstellen; die bilden dann die Basis der Evaluierung und helfen so dabei, Entscheidungsvorlagen auf Projektebene zu erstellen. Der Aufwand für die Evaluierungsumgebungen fällt hier deutlich weniger ins Gewicht als bei klassischen On-Premise-Installationen.

Doch sollte das breitere Spektrum möglicher Lösungen nicht vergessen lassen, dass trotzdem jede Lösung einer gewissen Grundkenntnis im Umgang mit ihr bedarf. Da es sich bei BPM-Anwendungen im Allgemeinen um individuelle Implementierungen handelt, muss dieses Wissen das eines Endanwenders auch deutlich übersteigen. Allein dieser Aspekt verstärkt sicher den Wunsch nach einer überschaubaren und auf Standards basierenden BPM-Systemlandschaft.

Für offene komponentenbasierende Systeme gibt es ein großes Spektrum an Erweiterungsmöglichkeiten. Es gibt bereits sehr gute maßgeschneiderte Lösungen und Dienste, die nicht vom BPM-Anbieter selbst kommen müssen. Voraussetzung für deren Nutzung ist allerdings eine leichtgewichtige Integrationsmöglichkeit.

Die Implementierung der individuellen Anwendungen muss deutlich an Agilität und Tempo gewinnen. Viele technische Aspekte einer BPM-Anwendung können abstrahiert angeboten werden. So erlauben sie die Konzentration auf die Business-Anforderungen. Eine besondere Herausforderung stellt aber das Change-Management dar.

Änderungen der Prozesse

Prozessänderungen liegen in der Natur eines BPM. In vielen Fällen müssen - zumindest eine Zeit lang - unterschiedliche Versionen eines Prozesses parallel ausgeführt werden. Im Idealfall werden die dafür notwendigen Funktionen vom BPM-System selbst geliefert. Ein unter Umständen notwendiger paralleler Betrieb getrennter Instanzen (Tenants) lässt sich aber in Cloud Umgebungen leichter und schneller umsetzen.

Auch Lastspitzen, die sich beispielsweise aus Anwendungen mit einem starken saisonalen Bezug ergeben, können in Cloud-Umgebungen gut gemanagt werden - ohne die notwendigen Ressourcen ständig vorhalten zu müssen. Bedarfsorientierte Abrechnungsmodelle der Cloud- und BPM-System-Anbieter erleichtern eine Skalierung in beide Richtungen.

Die User-Akzeptanz wird nicht zuletzt stark von den jeweiligen Schnittstellen beeinflusst. Moderne und intuitive Benutzeroberflächen sind zwingend notwendig, erfordern jedoch ein hohes Maß an individueller Anpassung. Die Unterstützung unterschiedlicher UI-Implementierungen erhöht die Flexibilität des Anwendungsdesigns deutlich und erlaubt es, von künftigen Entwicklungen zu profitieren.

Die fachlichen Anforderungen an eine BPM-Anwendung hängen allerdings nicht davon ab, wie und wo die jeweiligen Systeme betrieben werden. Der Fachanwender fordert Funktionalität. Auch Cloud-basierende Systeme müssen die allgemeinen BPM Funktionen liefern.

Grundlegende Veränderung

Mit der Cloud wird BPM also nicht grundsätzlich neu erfunden. Cloud basierendeLösungen müssen sich, wie alle anderen BPM Systeme auch, dem gesamten Anforderungsspektrum stellen: Agilität, Funktionalität, Effizienz, Wartbarkeit und nicht zuletzt der Akzeptanz durch den Anwender.

Aber das Thema wird sich mit der Cloud grundlegend verändern. Beispielsweise kann die Erfüllung vor allem der nicht funktionalen Kriterien durch die Mittel der Cloud deutlich verbessert werden. Es lassen sich neue Lösungsansätze anwenden sowie Aufwand und Kosten senken.

Neue Geschäftsmodelle

Neue Geschäftsmodelle werden sich etablieren. So können Spezialanbieter beispielsweise branchenspezifische Lösungen als BPM Platform as a Service (PaaS) implementieren und als Business Process as a Service (BPaaS) im SaaS-Betrieb anbieten. Davon profitieren Anwendergruppen für die technisch unterstütztes BPM bisher zu komplex und kostenintensiv war.

Ein wesentliches Merkmal für die Effizienz und Akzeptanz ist die Offenheit und Orientierung an Standards, um aktuelle Technologien integrieren zu können (Mobile, Big Data, InMemory-Computing etc.).

BPM-PaaS Lösungen müssen den Fokus auf die fachlichen Anforderungen und deren einfache Implementierung legen, ohne die technischen Details aus den Augen zu verlieren. Der Fachbereich sollte mehr denn je in die Lage versetzt werden, die Prozessabläufe aktiv mitzugestalten. Wünsche wie "zero coding" oder Forderungen a la: "der Fachbereich modelliert die Anwendung selbst" werdenaber auch in diesen Umgebungen nur Teilaspekte abdecken können. (qua)