Thema der Woche

Warum so viele Projekte in Vertrieb und Marketing scheitern

16.07.1999
Anbieter für Vertriebs-, Marketing- und Servicesoftware versprechen in ihren Hochglanz- broschüren blühende Landschaften: stärkere Bindung und höhere Zufriedenheit der Kunden sowie mehr Umsatz. Doch die Anwender sind skeptisch: Ein Großteil der Projekte scheitert, die Systembenutzer haben Angst vor Kontrolle durch das Management, und der wirtschaftliche Nutzen ist kaum meßbar. Über die Gründe dafür diskutierten Vertreter von CAS, Firepond, Siebel, SAP und Update Marketing sowie die Berater Wolfgang Martin, Meta Group und Wolfgang Schwetz mit CW-Redakteur Bernd Seidel.

CW: Warum scheitern so viele Customer-Relationship-Management-(CRM-)Projekte?

David Topping, Marketing Manager Europa, Update Marketing: Das Geschäftsmodell und die Idee von CRM sind neu im Vergleich zu dem, was bisher an Software oder Lösungen verkauft wurde: Früher ging es darum, mit Hilfe von DV-Systemen Kosten zu senken, heute stehen dagegen Forderungen wie Kundenbindung und -gewinnung sowie ein Umsatzplus auf dem Wunschzettel der Unternehmen. Außerdem spielen die Fachabteilungen in CRM-Projekten eine viel größere Rolle als bei traditionellen DV-Aufgaben. Sie sind die Initiatoren der Projekte und treiben sie voran.

Wolfgang Schwetz, Wolfgang Schwetz Unternehmensberatung: Die Zahlen, wonach 60 oder 70 Prozent aller CRM-Projekte scheitern, geistern zwar durch die Fachwelt, sind aber zu pauschal. Es stimmt jedoch, daß eine Reihe von Vorhaben hinter den Erwartungen zurückbleiben. Ein Grund dafür ist, daß sich viele Unternehmen vor der Einführung nicht über ihre Ziele im klaren sind - ja oft nicht wissen, was sie überhaupt wollen.

CW: Damit schieben sie den Schwarzen Peter den Anwendern zu - das ist wohl zu einfach. Mittlerweile sollten die CRM-Anbieter über genügend Erfahrung verfügen, um vor Projektstart mit den Kunden gemeinsam die Ziele festzulegen und auch darauf zu achten, daß die richtigen Leute mit im Boot sitzen.

Topping, Update Marketing: Wir müssen nicht nur die Leute in die Projektteams einbinden, die das Geld geben, sondern auch die, die später mit der Software arbeiten, die Endanwender - denn das sind unsere Kunden.

Stefan Sonntag, Manager Sales Consulting, Siebel Systems: Genau das muß man dem Kunden bereits in der Vorverkaufsphase klarmachen. Wir müssen natürlich auch auf mögliche Schwierigkeiten hinweisen, die eintreten, wenn er diesen Forderungen nicht nachkommt.

CW: Dann müßten Sie als Anbieter aus Vorsorgepflicht ein Projekt ablehnen - das wäre konsequent.

Wolfgang Martin, Program Director, Meta Group: Die Herausforderung für Hersteller und Berater lautet Schulung: Nur wenn alle Beteiligten konsequent trainiert werden, dürften wenige Projekte scheitern. Das sollte sich dabei auf drei Stufen abspielen: Zunächst müssen die für die Einführung Verantwortlichen ausgebildet werden. Diese sollten eine Art Vorbildfunktion einnehmen. Dann muß das Management hinsichtlich seines Führungsverhaltens geschult werden, und zu guter Letzt müssen die Endanwender trainiert werden.

CW: Wer soll das bezahlen?

Martin, Meta Group: Wenn die Kunden es nicht tun, schmeißen sie alles, was sie sonst in das Projekt investieren, zum Fenster hinaus. Nicht umsonst, so die Erfahrungen aus unseren Marktbeobachtungen, scheitern 75 Prozent aller Vertriebs- und Marketing-Projekte.

CW: Anbieter ziehen sich gerne auf schwammige Leitsätze wie "CRM ist ein Geschäftsmodell" oder eine "Philosophie" zurück, wenn sie den Nutzen ihrer Lösungen nicht konkret erklären können. Was ist denn die Grundidee von CRM?

Martin, Meta Group: CRM ist nichts anderes als das Ziel, bestehende Kunden zu halten und neue zu gewinnen. Dabei sollte der Return on Customer, also das Verhältnis von dem, was ein Unternehmen in einen Kunden investiert, und dem, was es später wieder herausbekommt, möglichst einträglich gestaltet werden.

Unterstützt werden diese Bestrebungen durch eine Vielzahl von Lösungen, zu denen neben kundenzentrischen Anwendungen für Vertrieb, Service und Marketing auch Analyse-Anwendungen wie Data-Warehouses gehören. Ein weiterer Bestandteil von CRM ist die Integration der kundennahen Applikationen (Front-Office) in die bestehenden Enterprise-Re- source-Planning-(ERP-)- Systeme (Back-Office). Unternehmen sollte auch verdeutlicht werden, daß es bei CRM nicht darum geht, die internen Beziehungen zu managen, sondern die externen.

CW: Dreistufiges Training, Vermittlung der Philosophie - das klingt nach sehr viel Überzeugungsarbeit, langen Projekten und geringem Return on Investment (ROI). Manager wollen aber harte Fakten, auf Basis derer sie sich für den Kauf eines Systems entscheiden.

Schwetz, Wolfgang Schwetz Unternehmensberatung: Anstatt die strategischen Vorteile zu erkennen, die sich durch CRM-Lösungen ergeben können, versuchen Anwender viel zu sehr, den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit von CRM quantitativ auszudrücken. Da sich die mit CRM-Systemen erlangten monetären Vorteile aber nur sehr schwer bestimmen lassen, verzichten viele Geschäftsführer auf den Einsatz.

Qualitative Faktoren wie Informationen per Knopfdruck zur Verfügung zu haben oder daß die Rechte im Vertriebsapparat endlich weiß, was die Linke macht, reichen dem Management angesichts der hohen Investitionen nicht.

Andreas Enders, Leiter Marketing, CAS: In Heller und Pfennig läßt sich der Einsatz von CRM kaum bewerten. Ziel der Unternehmen sollte es deshalb sein, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen oder den Nachteil auszugleichen, wenn ein Konkurrent bereits eine Lösung für eine höhere Kundenbindung gefunden hat.

Die Anbieter scheitern bei dem Versuch, den Kunden im voraus den Nutzen vorzurechnen. Wir erstellen zwar komplexe Rechenmodelle mit zahlreichen Randbedingungen und Prämissen, aber die reichen nicht aus, da zum einen das Umfeld bei den Kunden sehr verschieden ist und zum anderen die Randbedingungen sich im laufenden Projekt ändern. In der Nachbetrachtung ist es allerdings meßbar, ob sich die Kundenzufriedenheit erhöht hat, und auch der wirtschaftliche Nutzen läßt sich dann bestimmen.

Arnim Jost, Bereichsleiter Beratung, SAP Labs Mannheim: Der Clou bei CRM ist, daß die Beteiligten aus Vertrieb, Marketing und Service umfassend informiert sind und diese Informationen dann gewinnbringend umgesetzt werden. Die Leute können Kunden besser beraten, da sie über mehr Hintergrundwissen verfügen.

CW: Der Einsatz von CRM läßt sich also nicht quantitativ bewerten. Das ist ein altbekanntes Spiel. Anbieter von Systemen zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS) und später zum Enterprise Re- source Planning (ERP) haben ihren Kunden auch einen höheren Umsatz, mehr Datentransparenz und einen raschen ROI versprochen, doch ist daraus nichts geworden. Warum sollten die Anwender den CRM-Anbietern mehr Glauben schenken?

Peter Trix, Alliances Manager Central Europe, Firepond: Ich vermisse in der Diskussion das Thema Akzeptanz: Jede ROI-Rechnung steht und fällt mit der Akzeptanz des Systems durch den Verkäufer. Wenn dieser durch die Lösung keinen persönlichen Mehrwert erhält, wird es zu einem monetären Nutzen für das Unternehmen erst gar nicht kommen. Hier werden bei den Projekten doch die meisten Fehler gemacht. Die Einführung von Vertriebs- und Marketing-Software wird aus der veralteten Sicht der Geschäftsprozeßoptimierung angegangen, also Kosten senken und Prozesse effizienter gestalten. Bedacht wird aber nicht, daß der Verkäufer sich nicht so eng in die Unternehmensprozesse einbinden lassen will und sich statt dessen viel stärker auf den Kunden konzentrieren möchte.

Erst wenn ich den Verkäufer von dem System überzeugt habe, kann man es auch dem Unternehmen verkaufen. Doch das Management läßt sich allzugern von Argumenten beeinflussen, die auf die Kontrolle der Vertriebskanäle oder eine exakte Umsatzplanung abzielen.

CW: Welches Management hat denn schon die Vertriebsmitarbeiter gefragt, bevor es eine Lösung gekauft hat? Solche Entscheidungen werden doch auf dem Golfplatz gefällt - schließlich sind sie ja strategisch.

Schwetz, Wolfgang Schwetz Unternehmensberatung: Den Vertriebsmitarbeitern braucht man das System nicht schmackhaft zu machen, sie drängen sogar darauf, solch ein Werkzeug zu bekommen, und warten, daß sich das Management endlich entscheidet. Das Problem liegt beim Vertriebsleiter: Viele CRM-Projekte werden abgebrochen, weil der Vorgesetzte auf einmal feststellt, wie transparent seine Arbeit für die Geschäftsleitung wird. Dann identifiziert er sich mit dem Thema nicht und arbeitet lieber weiter mit Papier und Bleistift.

Der Vertriebsmitarbeiter hat zudem Angst, von seinem Vorgesetzten gegängelt zu werden. Dieser gibt zwar vor, den gläsernen Kunden zu wollen, doch das nimmt ihm sein Mitarbeiter nicht ab. Die Vertriebsleitung muß den Führungsstil ändern: Die Transparenz der Informationen durch die CRM-Systeme sollte nicht dazu verwendet werden, die Peitsche zu schwingen, sondern muß dem Außendienst helfen.

Martin, Meta Group: Die Akzeptanz beim Endanwender läßt sich steigern, wenn die Nutzung der Software belohnt wird, etwa durch finanzielle Anreize.

CW: Der Erfolg von CRM ist an eine Reihe von Randbedingungen und Aufgaben geknüpft: Das Management der Anwenderbetriebe muß dahinterstehen und sein archaisches Führungsverhalten ablegen, die Organisation sollte angepaßt und die User irgendwie vom Nutzen überzeugt werden, ob finanziell oder mit teuren Schulungen. Bis jetzt müssen nur die Anwender etwas leisten.

Topping, Update Marketing: Wenn Projekte schiefgehen, ist dies aber die Schuld der Anbieter. Wir erklären die Ziele von CRM zuwenig und liefern zudem keine effektiven Projekt-Management-Systeme, mit denen sich die Einhaltung der Ziele kontrollieren läßt. Wir sollten stärker zwischen dem Management und den Anwendern auf Kundenseite vermitteln, denn es gibt immer unterschiedliche Interpretationen dessen, was von einem Projekt erwartet wird. So sind Argumente wie Kontrolle und mehr Umsatz natürlich für die Geschäftsleitung schlagend. Doch wenn die Benutzer mehr Kontrolle und mehr Arbeit hören, kommt das bei ihnen ganz anders an.

Enders, CAS: Für uns Anbieter muß es ein Ziel sein, nicht nur das Projekt oder ein Stück Software zu verkaufen. Wir müssen den Kunden als langfristigen Partner betrachten. Mit diesen Argumenten verkaufen wir ja schließlich auch unsere Systeme: Ziel ist es doch, daß unsere Kunden wiederum ihre Kunden langfristig binden, genauso müssen wir an die Projekte herangehen. Es reicht bei weitem nicht aus, ein Stück Software und vage Visionen zu verkaufen, nach dem Motto, so könnte es in ein paar Jahren aussehen.

CW: Analysten zufolge spielen CRM-Systeme ihre Stärken erst richtig aus, wenn die Aktivitäten von Vertrieb, Service, Marketing und Analyse integriert sind. In der Praxis ist das aber noch Zukunftsmusik.

Sonntag, Siebel: Sehr oft steigen Unternehmen mit Vertriebsprojekten in CRM ein. Auswertungen im Marketing sind überhaupt erst sinnvoll, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg operative Daten gesammelt wurden, daher folgen entsprechende Vorhaben für diesen Unternehmensbereich in einem Abstand von ein bis anderthalb Jahren.

CW: Sollten Anwender darauf achten, daß ihr Lieferant in allen drei Bereichen Lösungen hat, die miteinander integriert sind?

Martin, Meta Group: Nicht zu vergessen bitte die Anbindung von Analyse-Applikationen wie Data-Warehouses und der Anschluß an das ERP-System.

CW: Mit solch einem Vollsortiment möchte ja die SAP aufwarten.

Martin, Meta Group: Aber noch haben die Walldorfer kein Produkt.

Trix, Firepond: Vor fünf Jahren war das Thema Integration in der Tat noch sehr schwierig. Wer allerdings heute ein System ohne progammierbare Schnittstellen auf den Markt bringt, wird nicht überleben. Mit einer Best-of-breed-Lösung kann man sich durchaus gut positionieren.

Martin, Meta Group: Wir beobachten sogar, daß sich Kunden die für sie am besten zugeschnittene Lösung kaufen und sie mit anderen DV-Systemen verbinden. Zudem entsteht ein Markt für Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Produkte, die die unterschiedlichen Systeme wie Back- und Front-Office mittels Standardbausteinen ohne großen Programmieraufwand koppeln.

Jost, SAP: Die Integration der CRM-Komponenten ist aus unserer Sicht natürlich ein wichtiger Faktor. Allerdings beschränkt sich die SAP nicht auf die technischen Komponenten der Kopplung. Gerade das Verständnis und aufeinander Abstimmen der unterschiedlichen Prozesse von ERP- und CRM-Systemen ist wichtig, um das Geschäft durchgehend zu unterstützen, und da ist es natürlich von Vorteil, wenn man ein komplettes Angebot im Hause hat.

Enders, CAS: Es gehört zu unserem täglichen Geschäft, unser CRM-System mit Backend-Anwendungen wie etwa von SAP zu verbinden. Diese Integration haben wir drauf, und das gilt auch für die anderen Anbieter hier am Tisch.

CW: Doch viele Anwender wollen integrierte Systeme und Service aus einer Hand.

Martin, Meta Group: Aber dieser Trend kippt.

Jost, SAP: Es ist in der Tat ein großer Wunsch vieler Anwender, das Thema CRM mit einem Partner anzugehen, der auch weiß, was im ERP-System einzustellen ist. Aber auch wir haben erkannt, daß es immer Spezialprogamme von Drittanbietern geben wird, die über Interfaces anzubinden sind, da wir diese Funktionen nicht liefern können.

Topping, Update Marketing: Um dem Sicherheitsdenken der Anwender gerecht zu werden, ist es eher entscheidend, mit dem richtigen Implementierungspartner aufzutreten, der es versteht, die besten Lösungen für jedes Problem zu integrieren. Dazu braucht man kein Produkt aus einer Hand, denn die Integratoren sind durchaus in der Lage, die unterschiedlichsten Produkte sowohl technisch als auch von den Geschäftsprozessen her zu verbinden.

CW: Wie stehen die Chancen für die deutschen CRM-Anbieter?

Schwetz, Wolfgang Schwetz Unternehmensberatung: Die Wachstumschancen für die deutschen mittelständischen Anbieter liegen in der Ausrichtung auf Branchen oder Industriebereiche. Sicherstellen müssen die Kleinen allerdings, daß sie technisch auf dem Stand der Dinge bleiben. Aus meiner Sicht wird es ein Drittel der rund 120 hiesigen Anbieter mittelfristig nicht schaffen.

Martin, Meta Group: Die Theorie sagt, daß in einem gesättigten Markt - von dem im CRM-Umfeld noch lange nicht die Rede sein kann - nur sieben Anbieter überleben. Das zu den Chancen.