Workgroup und Workflow/Grenzen der computergestuetzten Kommunikation

Warum sich die technologischen Visionen kaum realisieren lassen

05.04.1996

Kommunikation muesse effizient, verlaesslich, skalierbar und verfuegbar sein, definierte Oracle-Chef Franz Niedermaier juengst bei der Vorstellung eines neuen Groupware-Systems. Eine solche Technologie lasse Kommunikation zum wertschoepfenden Faktor reifen und sichere den Unternehmen die kuenftige Wettbewerbsfaehigkeit.

Was seit Anfang der 90er Jahre scheinbar immer mehr Promotoren des technologischen Fortschritts in den Bann zieht, muss schon ueberzeugend daherkommen. Das Hurra-Gebruell der Marketiers ist laengst verstummt und hat das Feld einer sachbe- zogenen Diskussion ueber das Fuer und Wider der computerge- stuetzten Kommunikation ueberlassen.

Kommunikation zieht die Welt in ihren Bann. Warum? Sie ueberwindet Grenzen von Raum und Zeit und dringt auch an jene Orte vor, wo das Recht auf ungehinderte Teilhabe an der oeffentlichen Diskussion noch in weiter Ferne ist. Kommunikation ist massgeblich an der Zerruettung ueberkommener politischer Systeme beteiligt, die halsstarrig am Status quo festhalten wollen.

"Kommunikation haelt die Dinge in Fluss", sagt die Kommunikationsforscherin Barbara Mettler-Meiboom von der Universitaet Essen. Wie die Expertin schreibt, widersetzt sich Kommunikation auf natuerliche Weise jedweder Inbesitznahme oder Funktionalisierung von aussen. Sie findet immer wieder neue Schlupfloecher, um sich vollstaendiger Kontrolle zu entziehen. Darin liege ihr Wesen, so Mettler-Meiboom, deshalb sei sie auch von wesentlicher Bedeutung fuer die Lebendigkeit von Kulturen, fuer die Freiheit von Menschen und auch fuer die Wettbewerbsfaehigkeit von Unternehmen.

Den ungehinderten Austausch von Informationen und Wissen braucht die globale Oekonomie vielleicht mehr denn je. Beschraenkungen und rigide strukturelle Kontrolle der Verstaendigungsprozesse innerhalb und ausserhalb der Wirtschaft sind Zeichen einer unwiderruflich zu Ende gehenden Aera.

Wenn IT-Manager heute ueber Kommunikation reden, dann meinen sie vor allem eines: die Distribution von Information ueber Netze. Wenn sich die IT-Industrie hingegen zu Wort meldet, dann will sie zuerst ihre Angebote "kommunizieren", "in den Markt druecken", und bedient sich dabei der jeweils vorherrschenden Trends und Formen. Kommunikation ist also en vogue, Mobilfunk und Internet fuehren den aktuellen Beweis.

Vielleicht hat es noch nie so viele Trendsetter gegeben, die der Industrie - ohne es bewusst zu wollen - als Wegbereiter zu neuen Maerkten und klingelnden Kassen dienen.

Kaufkraeftige Individualisten, die einen laessig-spielerischen Umgang mit Statussymbolen bevorzugen und die scheinbar grenzenlose Kommunikation in digitalen Netzen als Ausdruck des Zeitgeistes begreifen, sind umzingelt von Werbebotschaften der Industrie.

Wenn Anwender von Kommunikation reden, also diejenigen, die in Bueros oder Fertigungsstaetten einem Beruf nachgehen, dann sieht die Welt schon ganz anders aus. Das Paradies ist weit entfernt. Hier hat man sich analog zu Korridoren und Etagen eingerichtet in verschlungenen Wegen und Zwaengen, in einer hoechst sperrigen Realitaet. Kommunikation - nein danke.

<H4>Die schnoede Realitaet widerspricht den Visionen</H4>

Wo die Highflyer der Branche von grenzueberschreitender Verstaendigung und flexiblen Organisationsstrukturen palavern, verstehen dies die anderen als Angriff auf das muehsam ausbalancierte Machtgefuege in ihren Betrieben. Aerger von allen Seiten ist programmiert: Schlafende Hunde werden nun einmal wach, wenn man ueber ihre Knochen stolpert. Zwar wird laut allseitigen feierlichen Erklaerungen an einem Strang gezogen, doch nicht von allen Beteiligten in gleicher Richtung.

Ein ganzes Buendel von typischen Erscheinungsformen der innerbetrieblichen Realitaet legt schonungslos offen, wie sehr wohlmeinende Visionen und schnoede Tatsachen auseinanderklaffen:

-Technik und Vertrieb liefern sich einen staendigen Schlagabtausch. Die Technik liefere Produkte, die kaum zu verkaufen sind, sagen die einen. Der Vertrieb mache dem Kunden Versprechungen, die die Technik nicht einhalten koenne, entgegnen die anderen.

-Die Produktion empfindet die Taetigkeit des Qualitaetswesens als unberechtigte Einmischung oder gar als Schikane.

-Techniker schauen auf Kaufleute herab, dasselbe gilt umgekehrt.

-Angestellte im Anzug fuehlen sich den Maennern im Blauen Anton ueberlegen, waehrend die Existenzberechtigung der Schreibtischtaeter vice versa in Zweifel gezogen wird.

-Zwischen Zentrale und Niederlassungen oder Zweigwerken bestehen Spannungen, die alles andere als von einem Miteinander gepraegt sind.

Darueber hinaus praegen vielfaeltige Ressentiments den kommunikativen Binnenverkehr und fuehren zu einer Blockbildung, die einerseits eine wichtige Orientierungsaufgabe leistet. Andererseits verurteilt die Fraktionierung die Kommunikationsplaene ahnungsloser Enthusiasten zum Scheitern.

Blockbildung, Eskalation und Feindbild - wer spricht hier von Mobbing? - charakterisieren die Realitaet in Unternehmen. Nach Ursachen zu forschen, draengt sich geradezu auf:

-Konzeptionslosigkeit in der Fuehrungsetage, dazu permanente personelle Veraenderungen;

-unverstaendliche Entscheidungen, Unternehmensziele sind nicht vorhanden oder werden nicht verstaendlich gemacht;

-unrealistische Zielvorgaben statt Zielvereinbarungen ueben massiven Druck von oben nach unten aus;

-Bildung von Hackordnungen unter den Funktionstraegern, von der Fuehrung gebilligt;

-machtpolitische Raenke, die zu vertikaler Blockbildung oder gar Spaltung fuehren;

-fehlender oder unzureichender Informationsfluss von oben nach unten;

-Elitedenken ("Wir sind in unserem Bereich die wichtigsten, groessten und tuechtigsten") sowie

-Vernebelungsaktionen zur Vertuschung eklatanter Fehlleistungen oder mangelnder Qualifikation.

Derlei ist beileibe nicht die beste Voraussetzung fuer die Einfuehrung neuer Unternehmenskonzepte. Den schwierigen Weg zur dezentralen Organisation, der lebensnotwendigen Voraussetzung einer auf Vernetzung und nicht Hierarchie gruendenden Kultur, kann man nicht ueber Nacht beschreiten. Auf allen Ebenen lauert eine Guerilla, die jeden Ansatz von Veraenderung mit allen Mitteln torpediert.

Oft genug sind es die "alten Hasen", gestandene Betriebsangehoerige, die schon viele Versuche, den ganzen Laden umzukrempeln, scheitern sahen und deshalb weniger aus Angst vor Machtverlust, sondern eher aus Erfahrung Sand ins Getriebe des "Innovation-Managements" streuen. Selbstverstaendlichkeiten, mit denen man viele Jahre gelebt hat, werden - "diese Greenhorns!" - ploetzlich in Frage gestellt. Das Bermudadreieck aus Konfrontation, Sabotage und Resignation erstickt viele gutgemeinte Ansaetze im Keim.

<H4>Nicht alle Mitarbeiter wollen grenzenlose Kommunikation</H4>

Unter solchen Vorzeichen hat es die Teamarbeit schwer. "Nicht alle Mitarbeiter wollen ueberall und zu jeder Zeit miteinander kommunizieren", lautet das Resuemee mehrjaehriger Forschungsarbeit des Ingenieurwissenschaftlers Klaus Henning von der Rheinisch- Westfaelischen Technischen Universitaet in Aachen. In Anlehnung an die Losung "Freie Fahrt fuer freie Buerger", die geradewegs in die Sackgasse gefuehrt hat, ist Henning dem Anspruch "Freie Kommunikation fuer alle" nachgegangen.

In zahlreichen Untersuchungen weist er nach, dass die neuen Technologien in wesentliche Kommunikationsbezuege des Menschen eingreifen und diese ersetzen. Ob es sich dabei um die zunehmende Losloesung der Sprache vom Sprecher handelt, wobei zum Beispiel Gestik und Umgebung ausgeblendet werden, oder um die Computerisierung von Fertigungsphasen, wo menschliche Handreichungen zurueckgedraengt werden, die Technisierung des kommunikativ-sozialen Umfelds des Menschen durch Hard- und Softwaresysteme birgt immensen gesellschaftlichen Zuendstoff. "Die Entwicklung der Sprache", bilanziert Henning, "ist die grundlegende Kulturleistung des Menschen. Durch Sprechen und Hoeren entfaltet der Mensch seine Persoenlichkeit."

<H4>Misstrauische Manager ersticken frische Ideen</H4>

Um nicht in einer allgemeinen Kommunikationssackgasse zu enden, plaedieren Wissenschaftler wie Mettler-Meiboom und Henning deshalb auch fuer die Gestaltung von menschengerechten Systemen. Eine Voraussetzung dazu ist zweifelsohne der Abschied vom Management des Misstrauens. Fuehrungspersoenlichkeiten eines neuen Stils sind ebenso gesucht wie die Einsicht, dass rationale Fuehrungssysteme an die Grenzen ihres Handlungsspielraums gestossen sind.

Eine Unternehmenskultur, die von flexiblen Kommunikationskanaelen und unkonventionellen Verstaendigungsformen gepraegt ist, wird zwar ohne Klarheit und Eindeutigkeit schaffende Ordnung nicht auskommen. Mechanistische Fuehrungssysteme allerdings, die Potentiale und Ideen verkuemmern lassen, duerften bei wachsender Dynamisierung des Marktumfeldes ihr Pulver verschossen haben.

Vielen Unternehmen ist unter dem Einfluss staendigen Handlungs- und Gestaltungsdrucks nicht bewusst, dass eine gewuenschte Korrektur der Unternehmenskultur allein Resultat eines langfristigen Entwicklungsprozesses sein kann. Um Veraenderungsstrategien nicht zu blosser Dekoration verkommen zu lassen, muss die Fuehrung harte Arbeit leisten: Veraenderung muss vorgelebt, muss erklaert und begruendet werden. Niemand aendert sein Verhalten, wenn er nicht durch erlebte Beispiele von der Richtigkeit der Vorgabe ueberzeugt sein kann.

Diesem umfangreichen und komplexen Anforderungskatalog muessen sich alle technischen Angebote stellen, die Information und Kommunikation verbessern sollen. Weil Kommunikation ein sensibles Thema ist, wird es jede Software zur Erleichterung oder gar zur erstmaligen Realisierung von Teamarbeit zunaechst schwer haben.

Welche Entwicklungsschmiede kann schon die Fuelle der erforderlichen Qualifikationen und Erkenntnisse fuer sich reklamieren? Die Pioniere von Groupware, E-Mail und - mit Abstrichen - auch Video-Conferencing sollten sich nicht zu weit auf das Feld der Organisationsentwicklung vorwagen. Vom Wissen um die tatsaechlichen Probleme in Unternehmen fehlt ihnen - das zeigen die meisten Konzepte ueberaus deutlich - jede Spur. Technik ist ihr einziges Instrument und Argument.

<H4>Pioniere der Technik sehen nur auf einem Auge</H4>

Mettler-Meiboom: "Da werden Zu- und Abgaenge geschaffen; da wird Kommunikation selektiert, gebuendelt, zentriert, zeitoptimiert und hierarchisiert; da werden Kommunikationsspeicher und Kommunikationsverteilsysteme geschaffen; da wird Kommunikation auf grosse Strassen konzentriert und Supervernetzungsstrukturen erzeugt; und da werden nunmehr maschinelle computerunterstuetzte Anweisungen entwickelt, die festlegen, wie, wann, wo und womit Kommunikation in diesen technisch hergestellten Kommunikationsstrukturen stattzufinden hat."

Eine technisch noch so brillante Software wirkt sich schaedlich aus, wenn sie veraltete Arbeitsablaeufe abbildet. Kommunikationsstrukturen eines buerokratischen, versaeulten und hierarchisch strukturierten Betriebes mit DV zu zementieren geht an der Forderung nach flachen Hierarchien und bereichsuebergreifenden Problemloesungen vorbei.

Die Technisierung von Kommunikationsprozessen entfernt sich von der Alltagswirklich- keit. Sie schraenkt Kreativitaet und menschliches Kontextwissen ein. Unkritisch implementierte technische Problemloesungswege fuehren in die Irre.

Kurz & buendig

Die einseitige Betonung technologischer Aspekte bei der Entwicklung und Vermarktung von Systemen fuer die Kommunikation in Unternehmen kann nur wenig zur Problemloesung beim Anwender beitragen. Trotz des unbestrittenen Erfolgs der Pioniere und der zunehmenden Nachfrage der Anwender nach Groupware-Systemen bleiben viele grundsaetzliche Fragen ausgeklammert: Technische Kompetenz einerseits und Alltagswirklichkeit andererseits liegen nach wie vor weit auseinander.

*Winfried Gertz ist freier Jounalist in Muenchen.