Ein Insider räumt mit Illusionen auf

Warum hat es die Standard-Software so schwer?

05.03.1976

In Deutschland verzeichnete der verbreitetste Software-Katalog, der ISIS-Report von Infratest, in der Ausgabe Nr. 9, 1974/75 schon etwa 140 Software-Anbieter mit fast 1000 Produkten. Fachpresse, Software-Anbieter und Benutzer sprechen in vielen Variationen von der Notwendigkeit zur Rationalisierung, insbesondere auch in bezug auf das immer neue Erfinden längst vorhandener Programme. Schaut man aber zum Beispiel im ISIS-Katalog die Zahl der Installationen der Produkte an, so kommt man dann spätestens zur Erkenntnis, daß es um die Verbreitung von Standard-Software nicht so weit her ist.

Wenn in einem Unternehmen ein Produkt oder eine Produktengruppe "nicht geht", dann können einige Bereiche daran beteiligt sein: die Art des Produktes, das Image des Herstellers, das Marketing, die entstandene Käufermeinung über das Produkt und schließlich das Bewußtsein und die Situation des potentiellen Kunden selber.

Müde Absatzziffern bei Standard-Software

Wenn noch vor wenigen Jahren bei uns (einem Softwarehaus mit einigen Standardpaketen im Angebot) Kundenkontakte bezüglich Standardsoftware fast immer entweder als Ergebnis unserer werblichen Bemühungen oder aufgrund einer Empfehlung eines alten Kunden zustande kamen, so hat sich das inzwischen deutlich gewandelt. Uns erreichen häufig vervielfältigte Rundschreiben mit offensichtlich größerem Verteiler, in denen der Anwender eine Ausschreibung startet und mehr oder minder präzise seine Wünsche äußert. Der größere Teil der Anfragen ist in der Fragestellung klar und zielgerichtet, offensichtlich steht ein kompetenter Fachmann dahinter, wie sich häufig in Telefonkontakten bestätigt. In anderen Fällen allerdings entsteht eher der Eindruck, daß z. B. "von höherer Stelle" im Unternehmen eine Ausschreibung gefordert wurde, der man nun entweder lustlos oder mit Einsatz eines weniger kompetenten Mitarbeiters nachkommt.

Gespräche mit anderen Softwarehäusern weisen denselben Trend auf. Fazit: nur besonders aktive Anwender wenden sich inzwischen gezielt, mit all dem Aufwand des Produktenvergleichs, der Beschaffung von Standard-Software zu; aber die meisten halten sich nach wie vor fern, wie aus den milden Absatzziffern zu erkennen ist (die noch dazu gelegentlich kühn nach oben frisiert sind).

Wenn ich mir nun den ISIS-Software Report betrachte als das bei uns in Deutschland wohl meistgebrauchte Nachschlagewerk, so befallen mich doch einige Zweifel, ob sich für die meisten Anwender damit - nur von den Anforderungen der Vorselektion her betrachtet - so schön arbeiten läßt, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Das Angebot in manchen Sachbereichen, z. B. "Datenbanksysteme, Information-Retrieval, Dateiverwaltung und -auswertung" ist mit 62 (im neuesten Katalog schon 82) Angeboten recht umfänglich, die "Materialwirtschaft..." hat 28 Einträge, die "Fertigungsplanung..." immer noch 15. (siehe auch CW-Tabelle, Seite 12).

Schaut man die Texte bei den einzelnen Produkten näher an (zwischen etwa 10 und 20 Zeilen), so bleibt meist nicht viel mehr übrig als die Sammlung der Reizworte des jeweiligen Sachgebiets - und der suchende Anbieter muß schon viel Fachkenntnis, Vertrautheit mit der meist unscharfen Terminologie und den werblichen Formulierungen haben, um selber auch nur die für ihn interessanten Produkte erkennen zu können. Und das setzt voraus, daß der suchende Anwender überhaupt in der Lage ist, sein Problem so allgemein zu formulieren, daß er Standard-Produkte (die ja meist recht allgemein, eben als 'Standard' dargestellt werden müssen) überhaupt als für sich interessant erkennen kann. Das mag erstaunlich klingen, aber wie soll ein Mitarbeiter des Anwenders, der in der in seinem Unternehmen üblichen Terminologie sein Problem nur in den, Worten des Anwendungsfalls formulieren kann, mit z. B. betriebswirtschaftlichen oder EDV-technischen Abstrakta klarkommen, mit denen er sich nie ausführlich befassen konnte oder mußte? Gerade diese Situation führt immer wieder dazu, daß Meinungen wie "bei uns sind die Probleme viel zu speziell für eine allgemeine Lösung" geäußert werden (die natürlich manchmal auch sehr richtig sind!).

"Flugfähige Wollmilchsau"

Ohne jetzt gleich eine Checkliste zum Umgang mit Software-Häusern entwickeln zu wollen, ist wohl ein Teil der Fragen nach den geringen Umsätzen mit Standard-Software an die Software-Häuser zu stellen. Immer wieder wird sogenannte Standard-Software angeboten, die diese Bezeichnung gar nicht verdient. Mancher Unternehmensberater hat schon den Versuch unternommen, ein für einen Kunden erstelltes Paket als Standard-Software weiter zu vermerkten, und dazu die fromme Notlüge von den "notwendigen Modifikationen" ins Feld geführt, die dann oft teurer sind als das Paket selber. Oder das angebotene Produkt ist unsorgfältig ausgetestet. Oder es zeigt sich, daß die sogenannten Standardprodukte durch Einführung spezieller Konventionen und Vorgehensweisen die Tendenz haben, insbesondere kleinere und mittlere Anwender in eine dauernde Abhängigkeit vom Software-Haus zu bringen. Man könnte noch mehr solcher Aspekte nennen; alle haben gemeinsam, daß sie dem Verkäufer ein schlechteres Image verleihen, als er es vielleicht verdient hat. Mir sind manche Benutzer bekanntgeworden, die aufgrund eigener oder kolportierter schlechter Erfahrungen "Nie vom Software-Haus" sagen und statt dessen alles vom Hardware-Hersteller kaufen, auch wenn das mitunter erkennbar teuer und auch ineffizienter sein mag.

Seitens der Software-Anbieter kommt noch hinzu, daß oft selbst gute Produkte in einer ziemlich unverständlichen Weise beschrieben werden, so daß der Anwender resigniert oder sich aufgrund von Mißverständnissen zurückzieht. Andere sogenannte "Produktbeschreibungen" sind so sehr auf Silberfolie, Hochglanz und Lobreden abgestellt, daß der Leser entweder der bunten Verführung (wohl selten) erliegt oder aber schon bei der Anpreisung der vorgestellten "flugfähigen Wollmilchsau" zurückschreckt.

Bloß keine Personaleinsparungen

Ein weiteres Hindernis liegt in den Unternehmen selber - besser vielleicht einer ganzen Palette von Hindernissen. Wie will zum Beispiel ein Leiter der Programmierung in Zukunft argumentieren, wenn eine Fachabteilung selber ein Programmpaket anschleppt und womöglich sogar reibungslos (das heißt ohne Fehler etc.) damit arbeiten kann, während es in der Vergangenheit meist Komplikationen gab? Er müßte vielleicht auf einige Mitarbeiter verdichten, wenn weitere Fachabteilungen es genauso machten. Wie viele Leiter der Datenverarbeitung bzw. der Programmierung gibt es, die die Größe haben, sich ganz indifferent als "Titelverwalter für Software" aufzufassen, und die ihre Größe nicht nach der Zahl ihrer Lieben messen - und: Wie viele der EDV- und Programmierungs-Leiter haben einen Vorstand, der willens ist, sie nach der Leistung und nicht nach der Abteilungsgröße zu messen?

Dann: Welcher DV-, Programmierungs- und Rechenzentrumsleiter läßt sich gern in die Karten schauen, noch dazu von einem Betriebsfremden, der vielleicht sogar noch einen exzellenten fachlichen Ruf hat? Wenige sind so selbstbewußt, und viele wissen nicht, daß Software-Häuser bei allem Branchenklatsch über kaum etwas mehr schweigen als über bei ihrem Kunden entdeckte Schwächen (es sei denn, sie arbeiten im Auftrag des Vorstandes).

Ein weiteres Problem ist die Budgetierung der DV, die meist die Kontinuität der Personalbeschäftigung an erste Stelle setzt. Für den Ankauf von Software ist zumindest für die zentrale Programmierabteilung meist kein Ansatz vorhanden. Titel aus den Fachabteilungen sind häufig leichter frei zu machen; ein scharfes Mitzeichnungsrecht der zentralen EDV- bzw. Programmierabteilung stellt jedoch häufig deren Interesse am Nicht-Fremdkauf sicher. Und hat sich die Fachabteilung dann doch durchgesetzt, so wird ihr dann häufig anschließend von der EDV-Seite bewiesen, wie wenig lauffähig das angeschaffte Produkt war (wobei es nicht immer am Produkt gelegen haben soll).

Herstellerbindung erzwingen

Nicht zuletzt: Oft übt der Hersteller der Anlage direkt oder indirekt Druck gegen fremde Software aus, da sich der Kunde auf diese Weise angewöhnen könnte, selber Entscheidungen zu treffen. Eines Tages könnte dann der Unternehmensberater vielleicht zu

weit gehende Ratschläge geben, oder die installierte Standardsoftware könnte etwas zu herstellerunabhängig sein und so allmählich einen Herstellerwechsel leichter erscheinen lassen.

Das heißt: Innerhalb der Unternehmen bestehen in der Regel einfach aus der üblichen betrieblichen Situation heraus mehr Kräfte gegen als für Standard-Programme. Eine oft zwangsweise kostenbewußt gewordene Geschäftsleitung, ein "querköpfiger" Fachabteilungsleiter der ausbricht oder eine neue Person in einer Schlüsselstellung sind häufig der erste Schritt zu einer Entwicklung im Softwarebereich, die schließlich zu einer gezielten Marktsichtung mit Ausschreibungen und Auswahl führen. Dann wird es auch erst sinnvoll, sich um die "Checkliste beim Kauf von Software und zum Umgang mit Software-Häusern" ernsthaft zu bemühen.

Vielmehr werden - auch bei anhaltender Tendenz zugunsten der Standard-Software noch etliche Jahre ins Land gehen, in denen Softwarepakete dem Anwender direkt, am besten aus der Kenntnis der betrieblichen Situation heraus, angeboten werden müssen.

* Dr. F.-D. Peschanel ist Geschäftsführer der Firma GfS, Gesellschaft für Systementwicklung mbH, München und Köln