UMTS/Netzbetreiber und Carrier schieben sich schwarzen Peter zu

Warten auf die neue Ära im Mobilfunk

05.12.2003
Eigentlich sollten die Mobilfunknetze der dritten Generation (3G) längst in Betrieb sein. Doch die lahmende Konjunktur, Schuldenberge der Netzbetreiber und technische Probleme haben den UMTS-Start verzögert. Fachleute propagieren sogar schon den Sprung zu Techniken wie 4G-Netzen und Wireless LANs.Von Bernd Reder*

Das Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) sollte nach dem Willen seiner Erfinder Geschichte schreiben. Denn der Standard schlägt eine Brücke zwischen zwei Welten, die in der Telekommunikation bislang strikt getrennt waren: der klassischen Sprachkommunikation und dem Übermitteln von Daten. Doch der Eintritt in die neue Ära der Mobilkommunikation will nicht so recht gelingen, zumindest in Deutschland.

Während in anderen europäischen Ländern, wie etwa Großbritannien, Österreich und Italien, 3G-Services bereits verfügbar sind oder kurz vor der Einführung stehen, schieben die vier deutschen Betreiber den Start von UMTS immer wieder hinaus. T-Mobile beispielsweise rückte im August von dem Plan ab, rechzeitig zum Weihnachtsgeschäft den neuen Dienst und die dazu passenden Handys zu vermarkten. War noch im Januar die Rede davon, im dritten Quartal 2003 in 200 Städten mit 3G-Diensten an den Start zu gehen, revidierte T-Mobile-Vorstand René Obermann auf der Internationalen Funkausstellung 2003 in Berlin diese Absicht. Man könne derzeit keinen neuen Termin für den Start von 3G-Services in Deutschland nennen, so Obermann.

Netzbetreiber fordern Handy-Vielfalt

Ins gleiche Horn stieß Arun Sarin, CEO von Vodafone. "Solange UMTS-Dienste keine deutlichen Verbesserungen im Vergleich zu den vorhandenen 2,5G-Services auf Basis von GPRS (General Packet Radio Service) bieten, werden wir sie unseren Kunden nicht anbieten", sagte er im Oktober. Er ließ aber durchblicken, dass vermutlich erst im Herbst 2004 damit zu rechnen sei.

Die Verantwortung dafür, dass UMTS in Deutschland nicht so recht in Gang kommt, schieben sich die Netzbetreiber und die Hersteller von 3G-Endgeräten gegenseitig zu. So betonen Vodafone, T-Mobile, O2 und E-Plus immer wieder, dass vor der Einführung von 3G-Diensten zunächst entsprechende Handys oder digitale Assistenten mit UMTS-Modul in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen müssten. Rudolf Gröger, CEO von O2, fordert, dass der Kunde beim Start von UMTS die Wahl zwischen mindestens drei Endgeräten haben sollte. Diese müssten in Stückzahlen von jeweils 10000 bis 20000 Exemplaren bereitstehen.

Die Vorwürfe lassen die Hersteller von Endgeräten nicht auf sich sitzen. Motorola und NEC etwa verweisen darauf, dass sie die Geräte jederzeit in den geforderten größeren Stückzahlen produzieren könnten. Auch Nokias erstes 3G-Telefon, das "6650", ist nach Angaben der Firma seit Oktober über ausgewählte Großhändler in Deutschland erhältlich, genügt aber den Ansprüchen der Carrier nicht. Inzwischen stellten die Finnen mit dem Nokia "7600" ein weiteres Modell vor, das durch sein futuristisches Design ins Auge sticht.

Auch im Produktportfolio anderer Hersteller haben UMTS-Telefone Einzug gehalten. Siemens Mobile hat in Zusammenarbeit mit Motorola die zwei Geräte "U10" und "U15" entwickelt. Bereits verfügbar sind außerdem UMTS-fähige Telefone von Samsung, Sharp, Sanyo, Panasonic und etlichen anderen Anbietern. Sony Ericsson geht dagegen bedächtiger vor. Das japanisch-schwedische Gemeinschaftsunternehmen will sein "Z1010" erst Anfang 2004 auf den Markt bringen.

Dass viele Anwender der neuen Technik mit einer gewissen Skepsis begegnen, hat mehrere Gründe. So herrscht zum Beispiel Verunsicherung darüber, welche der vielen für den mobilen Datentransport propagierten Techniken denn nun die "richtige" ist. Mit Enhanced Data Rates for GSM Evolution (Edge) und GPRS stehen nämlich zwei Verfahren zur Auswahl, die theoretisch Datenraten von mehr als 400 Kbit/s bieten. In der Praxis sind jedoch meist nur Dienste mit einem Nettodurchsatz von 30 bis 40 Kbit/s verfügbar.

GPRS macht UMTS Konkurrenz

"Alle führenden Mobilfunk-Carrier in Westeuropa haben GPRS-Dienste gestartet", sagt Ariel Dajes vom britischen Marktforschungsinstitut Analysys. "Die Kunden können darüber beispielsweise Multimedia-Nachrichten versenden oder online spielen." Vodafone mit "Vodafone live" und T- Mobile mit "T-Zones" haben Angebote entwickelt, die auf diese Übertragungstechnik ausgelegt sind. Sie richten sich in erster Linie an junge Leute und technikverliebte Anwender. Hinzu kommen Services, die auf Firmenkunden zielen, etwa Datendienste, mit denen Mitarbeiter von unterwegs aus über gesicherte Verbindungen, den Virtual Private Networks (VPN), auf das Firmennetz zugreifen oder über das Internet E-Mails abrufen können. Die Beratungsgesellschaft Gartner ist der Auffassung, dass der Umsatz mit Datendiensten auf Grundlage von GPRS in Westeuropa im Jahr 2007 ein Volumen von mehr als 18 Milliarden Dollar aufweisen wird. Auf 3G-Services entfallen Gartner zufolge im selben Jahr etwa vier Milliarden Dollar.

Trotz der sicher ungewollten Konkurrenz durch GPRS wird sich UMTS nach Auffassung aller Experten durchsetzen. "Der Umschwung zugunsten von 3G in Westeuropa setzt 2006 ein", prognostiziert Katrina Bond von Analysys. Das Marktforschungsinstitut erwartet, dass 2008 mehr als 60 Prozent der 200 Millionen in Westeuropa eingesetzten Handys UMTS unterstützen.

Evolution statt Revolution

Bis es so weit ist, muss 3G jedoch noch einige technische Hürden nehmen. Speziell die Interoperabilität von Handys, Basisstationen und Vermittlungssystemen bereitet den Herstellern immer noch Kopfzerbrechen. Daran ist die International Telecommunication Union (ITU) nicht ganz unschuldig. Die Organisation, die für Standards im Bereich Telekommunikation zuständig ist, wollte vermeiden, dass es bei der Weiterentwicklung von Mobilkommunikationssystemen der zweiten Generation (2G) hin zu 3G-Systemen zu einem technologischen Bruch kommt. Evolution statt Revolution, lautete die Devise.

Deshalb hat die ITU die Basisnorm IMT-2000 von UMTS so ausgelegt, dass sie eine Brücke zum GSM-Standard schlägt. Die Urversion der Norm stammt aus dem Dezember 1999. Seitdem wurden jedoch fünf Erweiterungen vorgenommen, um neue Funktionen zu integrieren. Diese Ergänzungen stellen die Hersteller vor Probleme. Sie müssen nicht nur ihre Produkte an die neuen Versionen anpassen, sondern zusätzlich auch die Testprozeduren modifizieren. Das kostet Geld und Zeit.

Auch Probleme mit dem so genannten Handover, die in Feldversuchen mit UMTS-Netzen auftraten, sind teilweise auf Unterschiede beim Umsetzen der IMT-2000-Spezifikationen zurückzuführen. Das Handover ist das Weiterreichen von Verbindungen und Services. Es ist dann erforderlich, wenn ein Anwender mit seinem Handy von einer Funkzelle in eine andere wechselt oder wenn er während eines Gesprächs oder Datentransfers von einem GSM- oder GPRS-Netz in ein Gebiet mit UMTS-Funkabdeckung wandert.

Experten zufolge kommt es auch immer wieder zu Unverträglichkeiten zwischen Handys und UMTS-Netzinfrastrukturen, weil die Hersteller Kompressionsmodi implementieren, die leicht voneinander abweichen. Schwierigkeiten treten vor allem dann auf, wenn in einem UMTS-Netz Komponenten unterschiedlicher Hersteller eingesetzt werden. Deshalb sind die Netzbetreiber dazu übergegangen, Basisstationen und Vermittlungssysteme aus einer Hand zu beziehen. Vodafone und T-Mobile behaupten mittlerweile, sie hätten die Probleme mit dem Handover im Griff. Hinter vorgehaltener Hand ist jedoch zu hören, dass immer noch Schwierigkeiten auftreten.

Angesichts des Zeitverzugs bei UMTS werden Stimmen laut, die dafür plädieren, 3G quasi zu überspringen und sofort auf 4G-Techniken umzuschwenken. Bis die entsprechenden Netze und Endgeräte verfügbar seien, so ihre Argumentation, könne man sich mit 2,5G-Techniken wie GPRS behelfen. 4G-Netze zeichnen sich durch deutlich höhere Übertragungsraten von bis zu 100 Mbit/s aus. Sie sollen auf der Version 6 des Internet Protocol (IP) aufsetzen; Sprache und Daten werden über diese Infrastrukturen in Form von Paketen transportiert. Im Vergleich zu 2,5G oder 3G unterstützen die Mobilfunknetze der vierten Generation zudem Quality-of-Service-Klassen. Sie sind vor allem für zeitkritische Anwendungen ein Muss, etwa das Übertragen von Bewegtbildern, den Transport von Sprache über IP-Netze (Voice over IP) und die Videotelefonie.

Maßgeschneiderte Benutzerservices

Ein weiteres Merkmal von 4G-Netzen ist, dass sie auf den einzelnen Nutzer zugeschnittene Dienste bereitstellen. Die Grundlage dafür bilden Benutzerprofile. In ihnen ist unter anderem festgelegt, welche Services und Verbindungstypen ein User bevorzugt, welches Endgerät mit welchen Eigenschaften er gerade benutzt und auf welche Weise die Abrechnung der Dienste erfolgen soll. Der Anwender, so die Vision der 4G-Protagonisten, wird sich darauf konzentrieren können, Services zu nutzen. Die Frage, welche Infrastruktur "darunter" liegt oder wie die Dienstleistungen abzurechnen sind, soll ihn nicht tangieren.

Plattform für mobile und ortsfeste Dienste

Die Trennung von Diensten und Infrastruktur ist auch für das UMTS-Forum eine zentrale Eigenschaft des "Netzwerks des Jahres 2010". Die Vereinigung von Firmen und Forschungseinrichtungen geht davon aus, dass Mobilfunktechniken, klassische drahtgebundene Netze sowie WLANs oder Wireless-Techniken, die künftig im Ortszugangsbereich zum Zuge kommen, mittelfristig zu einer Plattform für mobile und ortsfeste Dienste zusammenwachsen.

Erste Ansätze, die in diese Richtung weisen, sind bereits heute erkennbar. So stellte die Mobilfunksparte des schweizerischen Carriers Swisscom im Oktober 2003 ein Modell vor, das dem Benutzer einen mobilen Breitbandzugang über UMTS, WLAN und GPRS bietet. Zusammen mit der belgischen Firma Option entwickelten die Schweizer eine Einsteckkarte für mobile Rechner im PCMCIA-Format, die alle drei Übertragungsverfahren unterstützt. Nach Angaben von Swisscom kann der Benutzer zwischen einem UMTS-Netz und einem WLAN wechseln, ohne dass dabei eine Applikation abbricht und neu gestartet werden muss. Die Abrechnung der Dienste erfolgt zentral über Swisscom.

Marktreife 4G-Technik noch nicht in Sicht

Erste Tests mit 4G-Netzen laufen bereits. So betrieb der japanische Carrier NTT Docomo bereits im Oktober 2002 Versuche mit 4G. Dabei gelang es, Daten mit 100 Mbit/s zu übertragen. Zudem arbeiten Fachleute an einer Erweiterung von Wideband Code Division Multiple Access (W-CDMA/3GSM), der UMTS-Version, die vor allem in Europa und Teilen Asiens zum Einsatz kommt. Das Verfahren heißt High Speed Downlink Packet Access (HSDPA) und setzt auf der Version 5 der IMT-2000-Norm auf. Mit HSDPA lassen sich über mobile Geräte Daten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 14,4 Mbit/s herunterladen.

Allerdings warnte Keiji Tachikawa, der Präsident und CEO von NTT Docomo, davor, die Rolle von 4G-Techniken zu überschätzen. "Ich rate der Öffentlichkeit dringend, 4G zunächst einmal zu vergessen." Seiner Ansicht nach wird es mindestens zehn Jahre dauern, bis Mobilfunksysteme der vierten Generation so weit ausgereift sind, dass sie im Alltagsbetrieb eingesetzt werden können. Diese Botschaft werden die UMTS-Aspiranten hierzulande gerne hören. Denn bis sich die Investitionen in ihre 3G-Netze ausgezahlt haben, dürften mindestens acht bis zehn Jahre vergehen. Der schnelle Sprung zu 4G käme ihnen daher mit Sicherheit höchst ungelegen. (pg)

*Bernd Reder ist freier Journalist in München.

UMTS: Fass ohne Boden?

Das Universal Mobile Telecommunications System ist für die Netzbetreiber ein kostspieliges Vergnügen. Die ursprünglich sechs Mobilfunkbetreiber, die im Juli 2000 in Deutschland Lizenzen ersteigerten, legten dafür umgerechnet rund 51,5 Milliarden Euro auf den Tisch. Die vier verbliebenen Unternehmen müssen für den Aufbau eines 3G-Netzes nach Schätzung von Fachleuten etwa zehn Milliarden Euro veranschlagen. Die Kosten für das Akquirieren von Kunden und den Unterhalt des Netzes werden auf etwa sieben bis zehn Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Angesichts dieser exorbitanten Summen wollen mehrere Firmen bei der Europäischen Union eine Lockerung der Lizenzbestimmungen durchsetzen. Dazu zählen T-Mobile, France Télécom, British Telecom, Ericsson und Philips.

Datendienste auf dem Vormarsch

Datendienste sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz der Hoffnungsträger par excellence für die Betreiber von Mobilfunknetzen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der schweizerischen Beratungsgesellschaft Prognos. Bis 2007 rechnen die Experten mit einem jährlichen Umsatzzuwachs von vier bis fünf Prozent bei so genannten Non-Voice-Diensten. In vier Jahren werden Prognos zufolge die Mobilfunkanbieter hierzulande rund 30 Prozent ihres Umsatzes mit Datenservices erzielen. Dazu zählen SMS (Short Message Service)- und MMS-Dienste (Multimedia Message Service), Informations- und Unterhaltungsangebote wie Mobile Games, aber auch mobile Office-Lösungen für Geschäftskunden.

Abb: Handy-Techniken im Wandel

In den kommenden fünf Jahren entwickelt sich GPRS in Europa zur dominierenden Handy-Technik. UMTS-Mobiltelefone werden den Prognosen von Forrester Research zufolge erst im Jahr 2008 Boden gutmachen. Quelle: Forrester Research 2003