Eric Benhamou rechnet für 2002 mit wirtschaftlicher Besserung

Warten auf den Urknall im Breitband

11.01.2002
Vor einem Jahr machte Eric Benhamou den Chefsessel bei 3Com für Bruce Claflin frei und fungiert dort seither nur noch als Chairman. Er leitet nun die Geschicke bei Palm, bis ein Nachfolger für den im November ausgeschiedenen Carl Yankowski gefunden ist. Die CW-Redakteure Jürgen Hill und Martin Seiler befragten ihn zur Wirtschaftsflaute und der Situation bei 3Com und Palm.

CW: 3Com blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Vor ein paar Jahren lagen Sie noch mit Cisco im Clinch um die Spitze im Netzwerkmarkt. Das sieht heute ganz anders aus. Was ist schief gelaufen?

BENHAMOU: Die ganze Industrie durchläuft zurzeit eine schwierige Phase, die noch nicht durchgestanden ist. Das hat uns sehr geschadet, aber auch alle anderen Hersteller im Bereich Networking sind betroffen. Aber blicken wir ein paar Jahre zurück. Die Probleme begannen 1997, 1998, als wir gerade den Merger mit US Robotics abgeschlossen hatten. Dieser Deal bestand im Prinzip aus drei Transaktionen. U.S. Robotics als Holding setzte sich aus Palm, dem Modemgeschäft und dem Carrier-Zugangsgerätebereich zusammen.

Das Modemgeschäft erwies sich als nicht besonders erfolgreich, wir mussten die Modem-Company später auslagern. Das lag daran, dass zum Zeitpunkt der Übernahme die Streitig-keiten um den 56-Kbit/s-Modemstandard in vollem Gang waren. U.S. Robotics verfügte mit X2 über eine sehr gute Technik, von der wir damals glaubten, dass sie sich durchsetzen würde. Es kam aber anders, die International Telecommunication Union (ITU) entschied sich für einen Kompromiss zwischen X2 und K56Flex (des Anbieters Rockwell, Anm. d. Red.).

CW: Woran lag das?

BENHAMOU: Der Standardisierungsprozess war sehr zäh, dadurch verloren wir unseren Wettbewerbsvorteil. Und da im Modemgeschäft die Margen sehr klein sind, rutschte dieser Unternehmensteil in die roten Zahlen. Deshalb haben wir diesen Geschäftsbereich wieder ausgegliedert und auf eigene Füße gestellt.

CW: Ein Erfolg war das aber nicht.

BENHAMOU: Nein, die Transaktion hat sich leider nicht so entwickelt, wie ich es gerne gesehen hätte. Dennoch war es das Risiko wert, denn es hätte auch anders kommen können. Hätte X2 sich als Standard durchgesetzt, wären wir als Anbieter von Modems in einer exzellenten Position gewesen und hätten zudem eine sehr gute Ausgangssituation für den Breitbandmarkt gehabt.

CW: Und was war mit Palm?

BENHAMOU: Ich sah den Hauptreiz damals darin, dass es das erste auf den Consumer ausgerichtete Produkt war, das seinerzeit aus der doch eher auf Business-Lösungen fokussierten Netzwerkindustrie aus dieser Branche kam. Es war innovativ und hatte aus meiner Sicht großes Potenzial. Mein Wunsch war es, das dahinter stehende Know-how Teil von 3Com werden zu lassen, weil ich mir ausrechnete, dass der direkte Wettbewerb mit Cisco nicht das Richtige für unser Unternehmen war. Stattdessen sollten wir einen eigenen Weg einschlagen, und für mich schien dies die geeignete Marschroute zu sein. Die Marke 3Com stand schon immer für unkomplizierte, preisgünstige aber doch hochwertige Produkte. Das bedeutete eine gute Vorausetzung für den Vorstoß in das Endkundensegment. Palm gab uns einen ersten Geschmack davon, was es heißt, Produkte in großen Stückzahlen über den Einzelhandel zu verkaufen. Das stellte sich als Riesenerfolg heraus, der meine Erwartungen weit übertraf. Und was man auch nicht vergessen sollte: Der Erlös, den wir mit dem Börsengang von Palm erzielten, übertraf den Kaufpreis für U.S. Robotics um ein Vielfaches.

CW: 3Com steht über den Geschäftsbereich Commworks ja auch mit einem Bein im Carrier-Zugangsgeschäft. Wie sieht die Situation da aus?

BENHAMOU: Commworks hat sich zwar ziemlich gut entwickelt, wurde aber im letzten Jahr vom Einbruch des Markts für Carrier-Equipment getroffen. Diesen Bereich erwischte es bekanntermaßen schlimmer als alle anderen im IT-Sektor. Dennoch konnte Commworks seine Position sogar leicht verbessern. Wir gehen daher davon aus, dass wir uns in einer starken Position befinden, wenn sich dieser Markt wieder fängt. Der Fokus von Commworks liegt auf VoIP und Funklösungen für den Weitverkehrsbereich.

CW: Welche Bedeutung messen Sie dem Thema DSL bei?

BENHAMOU: DSL ist eine sehr wichtige Breitbandtechnologie. Unglücklicherweise verbreitet sie sich nur langsam. Das liegt aber nicht am mangelnden Interesse der Kunden, sondern an dem unfreundlichen regulatorischen Umfeld, das den Wettbewerb in diesem Bereich bislang nicht ausreichend förderte. Es hängt natürlich auch damit zusammen, dass der Einsatz der Technologie im Vergleich zu anderen Verfahren etwas komplizierter ist.

Ich bin der festen Überzeugung, dass hier ei-nes der Probleme unserer Industrie liegt: Breitband wächst nicht in dem Tempo, wie wir das erwartet hatten, und das hemmt eine Reihe weiterer Entwicklungen. Ich denke an reiche Multimedia-Inhalte oder neue Anwendungen. Das Internet wird dadurch auf sehr einfache Dinge reduziert. Ich weiß wovon ich rede, denn ich habe beim Broadband Advisory Board der US-Regierung mitgearbeitet. Am 11. September war ich gerade unterwegs nach Washington, um unseren Gesetzgebern Pläne zu unterbreiten, wie sich das Thema Breitband wieder aktivieren lässt. Das ist ein ernstes Problem, das auch Europa betrifft. Nur in Korea sieht es etwas besser aus: Dort liegt die Durchdringungsrate für Breitbandtechniken zwischen 40 und 50 Prozent.

CW: Was sollte aus Ihrer Sicht getan werden, um hier Abhilfe zu schaffen?

BENHAMOU: Ich glaube, das Problem liegt hauptsächlich in der Regulierung. Auch in Europa verläuft die lokale Regulierung nicht reibungslos, außerdem werden im Zusammenhang mit der DSL-Implementierung viel zu viel Steuern erhoben, was die Verbreitung hemmt. Zusätzlich bremsen administrative Vorgänge, etwa bei Genehmigungen, die Technik. Und es fehlt natürlich an attraktiven Inhalten für Breitband wie Video- oder Music-on-Demand. Das kommt unter anderem vom Urheberrechtsschutz und dem ganzen Thema der digitalen Rechteverwaltung. Es liegt also nicht nur an der Technologie, sondern auch an der Politik. Napster hat gezeigt, dass Breitband-Traffic erzeugt wird, wenn nur genügend attraktive Inhalte zur Verfügung stehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich müssen die Rechte der Autoren gewahrt blei-ben, aber gleichzeitig darf der Schutz nicht so stark sein, dass es für die Anwender unmöglich wird, an die Inhalte zu kommen. Hier muss man Lösungen finden, die einen Kompromiss ermöglichen.

CW: Sie sagten, der Palm sei eine gute Gelegenheit für den Einstieg in das Endkunden-Business gewesen. 3Com versuchte sein Engagement in diesem Bereich ja auch über Produkte wie das Surf-Pad "Audrey" oder das Web-Radio "Ker-bango". Woran lag es, dass dies scheiterte?

BENHAMOU: Ich denke, dass Audrey eine großartige Internet-Appliance war. Unglückli-cherweise stimmte das Timing nicht. Wir ha-ben das Produkt vorgestellt, als wir glaubten, das Endkundengeschäft werde wachsen, aber das geschah nicht. Es war das Quartal, in dem der wirtschaftliche Abschwung einsetzte, was den gesamten Home-Networking-Markt für mindestens zwei weitere Jahre komplett zum Erliegen brachte. Es war eine schwere Ent-scheidung, aber wir zogen uns aus diesem Segment wieder zurück, alle taten das. So viele andere stellten ähnliche Appliances vor: Compaq, Intel, Sony und Gateway, aber der Markt war nicht mehr da.

CW: Wo sehen Sie die Zukunft von 3Com für die nächsten zwei bis fünf Jahre, und wie positionieren Sie sich gegenüber Herstellern wie Cisco, Lucent oder Nortel?

BENHAMOU: Ich glaube, dass diese Unter-nehmen nicht mehr nahe bei uns sind. Es gibt nur wenig Überschneidungen zwischen dem, was sie und wir tun. Bei Cisco beschränkt sich das auf Netzkomponenten für kleine und mit-telständische Unternehmen. In diesem Seg-ment ist Nortel nicht mehr aktiv, und Lucent ist ganz ausgestiegen. Wir haben uns auf die Bereiche zurückgezogen, in denen wir stark sind, Segmente, die profitabel sind und guten Return on Investment bringen. Dazu gehört heute definitiv nicht das Geschäft mit Privatkunden. Ebenso ist der Carrier-Markt für uns bis auf die genannten Bereiche, in denen Commworks aktiv ist, kein Thema.

CW: Wie wichtig sind für Sie die Unternehmenskunden?

BENHAMOU: Wir haben nicht die Absicht, das Highend-Segment des Unternehmensmarkts zu bedienen. Wir hätten zwar das Know-how, um entsprechende Produkte zu liefern, aber die dafür notwendige Infrastruktur im Hinblick auf Sales, Service und Support ist zu aufwändig. Deshalb fiel die Entscheidung, unsere Bandbreite zu verringern.

CW: Was bringt die Zukunft?

BENHAMOU: Ich denke, dass die Aussichten für die nächsten ein, zwei Jahre gut sind, weil wir unsere interne Restrukturierung abgeschlossen haben. 2001 war für die ganze Branche ein hartes Jahr, aber wir waren unter den Ersten, die darauf reagiert und einen Restrukturierungsprozess eingeleitet haben. Das Unternehmen hat sich in den letzten zwölf Monaten stark verändert. Wir haben eine angemessene Größe, wir müssen niemand mehr entlassen und kehren hoffentlich bald zur Profitabilität zurück. Wenn das geschieht, haben wir auch wieder Griff im Markt. Wir sind sehr früh in den Tunnel hineingeraten und werden auch zu den ersten Unternehmen gehören, die wieder herauskommen.

CW: Können Sie konkretisieren, wann 3Com wieder Fuß fasst?

BENHAMOU: Lassen Sie mich zunächst auf die Situation der Industrie insgesamt eingehen. Wir sollten differenzieren zwischen dem Unternehmensumfeld und dem Carrier-Bereich. Letzterer hat mit ernsthaften Problemen zu kämpfen. Das wird noch eine Weile so bleiben. Jahrelang war es so, dass die Carrier jedes Jahr einen vorhersehbaren Betrag ihres Umsatzes - etwa 15 Prozent - in neues Equipment investierten. Das schoss plötzlich in die Höhe, auf etwa 30 Prozent. Die Industrie gab viel mehr aus, als sie sich eigentlich leisten konnte. Alle hätten sehen müssen, dass dies zu einem Problem führen würde, aber wir befanden uns in einer anderen Gangart. Niemand rechnete damit, dass die Korrektur so ernst ausfallen würde. Jetzt haben wir das erste Jahr dieser Korrektur hinter uns, und es ist möglich, dass es im Carrier-Markt noch ein weiteres Jahr dauert, bis dieser Exzess wieder kompensiert ist.

CW: Und im Unternehmensumfeld?

BENHAMOU: Hier verhält es sich etwas anders, obwohl es auch in diesem Bereich einen ernsthaften Abschwung gab. Kurz vor dem 11. September sah es so aus, als hätten wir den Tiefpunkt erreicht, erste vorsichtige Zeichen einer Besserung deuteten an, dass wir 2002 wieder etwas Wachstum sehen könnten. Ich glaube daran noch immer, obwohl die Attentate von New York und Washington die Situation noch einmal verschlimmerten. Die dadurch verursachte Verzögerung der wirtschaftlichen Entwicklung wird aber kein Jahr ausmachen, sondern eher im Bereich von sechs Monaten liegen.

CW: Wie geht es für Palm weiter?

BENHAMOU: Nach einem schwierigen Jahr 2001 erwarte ich für Palm eine strahlende Zukunft. Die Probleme in diesem Jahr hatten vor allem zwei Ursachen: Es gab einerseits einen Marktabschwung im PDA-Segment, zudem beging das Palm-Team einige Management-Fehler. Dazu gehörte, Produkte anzukündigen, ohne dass die hierfür erforderlichen Produktionskapazitäten vorhanden waren. Ferner verzögerte sich die Einführung einiger neuer Features für unser Betriebssystem Palm OS.

CW: Das war jetzt eher Vergangenheitsbewältigung. Die eben skizzierte strahlende Zukunft würde uns schon noch detaillierter interessieren.

BENHAMOU: Ich rechne ab 2002 im Hand-held-Markt wieder mit einem größeren Wachstum, vor allem bei den Smartphones, die ebenfalls ein Betriebssystem benötigen. Zu den wenigen Unternehmen, von denen die Hersteller ein solches Betriebssystem kaufen können, zählt dann die Software-Company von Palm.

CW: Palm ist aber nicht der einzige Anbieter in diesem Bereich. Weshalb sollte ein Smartphone-Hersteller gerade bei Ihnen kaufen?

BENHAMOU: Sicher, wir stehen in Konkurrenz zu anderen Anbietern. Palm ist in meinen Augen aber besser positioniert. Nehmen Sie nur Microsoft. Wenn ich heute mit Handy-Herstellern spreche, dann sind diese besorgt, Software bei Microsoft kaufen zu müssen. Schließlich will Microsoft ja nicht nur das Betriebssystem für die Smartphones herstellen, sondern auch den Content, die Software für das Netz und die Betriebssysteme für die Enterprise-Server liefern.

CW: Mit anderen Worten: Microsoft versucht mit .NET die gesamte Infrastruktur zu beherrschen?

BENHAMOU: Ja, richtig. Es ist offensichtlich, dass sie in ihren Datenbanken alle nur denkbaren Informationen etwa über die Abonnenten eines Dienstes speichern wollen. Handy-Hersteller, die mit Microsoft Geschäfte machen, begeben sich auf ein Minenfeld. Mit .NET beschneidet der Softwaregigant die Margen der Produzenten und beraubt sie der Möglichkeit, mit eigenen Mehrwertdiensten neue Geschäftsfelder zu erschließen.

CW: Blieben als Alternativen noch Nokia und Symbian?

BENHAMOU: Nokias Geschäftsgebaren ist zwar nicht mit Microsofts zu vergleichen, aber die Finnen stehen in Konkurrenz zu ihren eigenen Kunden: Auf der einen Seite wollen sie ihr Netzequipment an alle Wireless-Service-Provider verkaufen und erwarten von ihnen, Nokia-Handys weiterzuverkaufen. Auf der anderen Seite versucht Nokia, auf dieser Plattform Content und Dienste zu vermarkten.

CW: Mit der Open Mobile Architecture (OMA) und der Partnerschaft mit Borland, um deren Entwicklungsplattform auf Symbian zu portieren, engagiert sich Nokia aber sehr aggressiv im Zukunftsmarkt der Smartphones.

BENHAMOU: Diese Bemühungen bestreite ich gar nicht. Nokia befindet sich aber erst dort, wo wir vor vier Jahren standen. Sie sind sehr spät gestartet, und ihr Betriebssystem ist nicht besonders verlockend. Palm dagegen verfügt nach der Übernahme von Be über die besten OS-Experten. Ihr Know-how fließt in die nächste Generation unseres Betriebssystems ein.

CW: Und das genügt, um als eigenständiges Unternehmen gegen Konkurrenten wie Microsoft zu bestehen?

BENHAMOU: Sie spielen auf die Gerüchte über eine Fusion mit Handspring an. Solche Geschichten kommentieren wir grundsätzlich nicht. Aber ich versichere, dass sie nicht von Palm stammen. Ich weiß nicht, ob sie bei Handspring entstanden oder dem Kopf irgendeines Analysten entsprungen sind. Grundsätzlich gibt für mich eine solche Fusion keinen Sinn.

CW: Auch nicht als Gedankenspiel?

BENHAMOU: Nein, denn es ist schon schwer genug, eine Akquistion erfolgreich abzuwi-ckeln, wenn sich die beiderseitigen Produktangebote nicht überlappen. Im Falle von Handspring wäre das aber der Fall.

Palm: Verlust geringerPalm hat im zweiten Quartal seines laufenden Geschäftsjahres (Ende: 30. November 2001) einen etwas geringeren Verlust als von Analysten erwartet ausgewiesen. Das Nettodefizit lag bei 25,2 Millionen Dollar - im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte der PDA-Hersteller noch einen Gewinn von 20,3 Millionen Dollar erzielt. Der operative Verlust - abzüglich einmaliger Belastungen und Zugewinne - betrug 36,6 Millionen Dollar.

Obwohl Palm 1,5 Millionen Handheld-Rechner absetzte - das sind immerhin 36 Prozent mehr als im ersten Quartal -, bedeutet der Quartalsumsatz in Höhe von 290,6 Millionen Dollar gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 44 Prozent.

3Com: Kosten gesenktDer Netzwerkausrüster 3Com konnte seinen operativen Verlust im zweiten Geschäftsquartal, das am 30. November 2001 zu Ende ging, von 142,4 Millionen im gleichen Zeitraum des Vorjahres auf 103,7 Millionen Dollar verringern. Die Einnahmen sanken zwar im Vergleich zum Vorjahr drastisch - von 789 Millionen auf 394 Millionen Dollar. Gegenüber dem vorherigen Quartal konnte sich 3Com aber um vier Millionen Dollar verbessern. Auch die Restrukturierungsmaßnahmen zeigen laut CEO Bruce Claflin Wirkung. Durch den drastischen Stellenabbau von September bis Ende November und die Zusammenlegung von drei Produktionsstätten sei es im Berichtsquartal gelungen, die laufenden Kosten im Jahresvergleich um 865 Millionen Dollar zu senken.