Enterprise Application Integration/Auf die Zahl der Schnittstellen kommt es an

Wann sich eine EAI-Lösung rechnet

27.09.2002
Die Entscheidung für oder gegen die Anschaffung eines EAI-Tools fällt letztlich anhand einer Wirtschaftlichkeitsrechnung. Erleichtert wird diese Vorarbeit durch Erfahrungswerte darüber, wie viele Schnittstellen implementiert werden müssten und zu welchen Kosten, damit sich der Einsatz eines EAI-Produkts lohnt. Von Matthias Lehr und Ralph Nelius*

Es gibt heute wohl kaum einen IT-Leiter (CIO), der sich nicht vor die Frage gestellt sieht, ob er eine EAI-Lösung einführen soll oder nicht. Angesichts des wachsenden Kostendrucks und der steigenden Anforderungen an eine flexible und wettbewerbsfähige IT-Landschaft gilt es, eine bedeutsame und richtungsweisende Entscheidung für die Zukunft zu treffen.

Nach welchen Kriterien lässt sich diese Frage entscheiden? Für EAI werden zwar viele technische und organisatorische Vorteile ins Feld geführt. Den Ausschlag für eine fundierte und vor allem auch von anderen Verantwortlichen außerhalb des IT-Bereiches nachvollziehbare Entscheidung gibt letzten Endes nur die wirtschaftliche Perspektive. Voraussetzung für die Einführung eines EAI-Tools muss ein aussagekräftiger Geschäftsvorfall (Business Case) sein, in dem ein hinreichender Return-on-Investment nachgewiesen wird.

Im Folgenden wird erläutert, wie sich die Wirtschaftlichkeit einer EAI-Lösung als Voraussetzung für einen Business Case ermitteln lässt. Dabei beschränkt sich die Betrachtung auf Integrations-Server, wie sie beispielsweise von Seebeyond (E-Business Integration Suite), Tibco (Active Enterprise Suite) oder Vitria (Businessware) angeboten werden. Diese Produkte stellen aufgrund ihrer hohen Lizenzgebühren eine erhebliche Investition dar.

In einen Business Case dürfen nur belastbare Annahmen einfließen, also Werte, die sich mit einer hinreichenden Sicherheit ermitteln und prognostizieren lassen. Diese Vorbedingung erfüllen IT-Kosten, das heißt Aufwände für Implementierung, Betriebsführung und Wartung von Anwendungen und Schnittstellen. Indirekte Kosteneinsparungen durch Prozessoptimierung und -automatisierung, die sich durch die Einführung einer EAI-Lösung ebenfalls ergeben können, werden zwar immer wieder als Argument für EAI angebracht. Die Prozesskosten zu prognostizieren und beziffern gleicht jedoch in der Regel so sehr einem Blick in die Glaskugel, dass sie für die Argumentation pro oder contra einer EAI-Lösung höchstens ergänzend herangezogen werden können.

Business Case als Grundlage

Voraussetzung für die Erstellung einer aussagekräftigen Wirtschaftlichkeitsrechnung ist ein unternehmensweiter IT-Bebauungsplan, mit dessen Hilfe unter anderem die Anwendungs- und Schnittstellen-Landschaft optimiert wird. Der genaue Überblick über die geplante Entwicklung der Schnittstellen bildet die Grundlage, um den Business Case EAI zu erstellen. In diesem werden die Einsparpotenziale, die sich durch den Einsatz eines EAI-Tools im Vergleich zu herkömmlichen Techniken ergeben, dem Mehraufwand gegenübergestellt, die das EAI-Tool verursacht.

Treiber der Einsparungspotenziale ist die Anzahl der Schnittstellen. Im Vergleich zur Implementierung von herkömmlichen Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen sind die mit einem EAI-Tool eingeführten Schnittstellen deutlich günstiger. Dies ergibt sich aus dem geringeren Aufwand für Implementierung, Wartung und Betriebsführung.

Geplante und bestehende Schnittstellen müssen dabei differenziert betrachtet werden. Im Allgemeinen lohnt sich die Implementierung von geplanten Schnittstellen anhand eines EAI-Tools. Ist eine Schnittstelle bereits implementiert und in Betrieb, müssen die über das EAI-Tool möglichen Einsparungen mit dem bereits geleisteten Implementierungsaufwand plus der Arbeit inklusive Risiko einer Neuimplementierung verglichen werden.

Nur neue Schnittstellen zählen

Eine Neuimplementierung lohnt sich deshalb in der Regel nur, wenn Schnittstellen hinsichtlich Betrieb und Wartung sehr teuer sind beziehungsweise wenn das Risiko gering ist. Arthur D. Little hat die Erfahrung gemacht, dass die Neuimplementierung bereits bestehender Schnittstellen einen Zusatznutzen darstellt, dieser aber aufgrund des Risikos nicht als Hauptnutzen einer EAI-Einführung herangezogen werden sollte. Die Wirtschaftlichkeit eines EAI-Tools sollte daher nicht auf der Grundlage existierender, sondern nur auf Basis zukünftig geplanter Schnittstellen beurteilt werden. Zur Aufwandsabschätzung muss außerdem eine Ramp-up-Phase berücksichtigt werden, denn auch mit Hilfe eines EAI-Tools erfordert die Implementierung einer Schnittstelle Zeit und Ressourcen.

Die Kosten einer Schnittstelle werden maßgeblich von zwei Faktoren bestimmt: Art der Schnittstelle und Häufigkeit der Datenübertragung. Für die Analyse hat es sich bewährt, drei Arten von Schnittstellen zu unterscheiden:

-die Online-Schnittstelle (auf der so genannten Anwendungsebene des Integrationsmodells einschließlich Datentransformation),

-die Offline-Schnittstelle (Datenaustausch einschließlich Datentransformation im Batch-Verfahren) und

-die reine Daten-Schnittstelle ohne Datentransformation.

Die daraus abgeleitete Komplexität hat unmittelbaren Einfluss auf die für Implementierung, Betrieb und Wartung anfallenden Kosten.

Zwei Projektbeispiele

Die Häufigkeit der Datenübertragung beeinflusst den Aufwand der Betriebsführung einer Schnittstelle. Hier können stündliche, tägliche, wöchentliche oder noch seltenere Datenübertragungen unterschieden werden. Vereinfachend wird eine Halbierung der Administrationsaufwände zwischen den einzelnen Häufigkeitsstufen angenommen.

Zwei Projektbeispiele aus der Beratungspraxis von Arthur D. Little geben einen Überblick über die mögliche Größenordnung der Einsparungen:

Für die Implementierung einer Schnittstelle ergeben sich im konkreten Fall eines großen deutschen Energieversorgers Einsparungen zwischen 1000 Euro (reiner Datenaustausch mit niedriger Komplexität) und 14000 Euro (Online-Schnittstelle mit hoher Komplexität). Gewichtet mit der Anzahl der Schnittstellen pro Schnittstellenart resultiert daraus eine durchschnittliche Einsparung von 6000 Euro. Diese Größenordnung wurde im Fall eines führenden europäischen Transportdienstleisters bestätigt.

Bei der Betriebsführung einer Schnittstelle lag die Bandbreite im Fall des Energieversorgers zwischen 500 Euro pro Jahr (reiner Datenaustausch) und 15000 Euro (Online-Schnittstelle mit täglicher Nutzung). Gewichtet ergab sich eine durchschnittliche Einsparung pro Schnittstelle von 6000 Euro pro Jahr. Aufgrund eines höheren Anteils an manuellen Tätigkeiten und Medienbrüchen aufgrund eines geringeren Automatisierungsgrades beim Transportdienstleister belief sich dort die entsprechende Einsparung auf 14000 Euro pro Jahr und Schnittstelle.

Bezüglich der Wartung einer Schnittstelle ergab sich eine Spannbreite von jährlich 13000 bis 16000 Euro pro komplexer Online-Schnittstelle sowie 3000 Euro bei reinem Datenaustausch. Wiederum gewichtet beträgt der Durchschnittswert 8000 Euro im Jahr. Da das Transportunternehmen seine Wartungsleistungen ein wenig günstiger einkaufen kann, wird hier eine durchschnittliche Einsparung von 7000 Euro erreicht.

Den Einsparungen gegenüber stehen die Investitionen für den Integrations-Server. Um die Kosten der Tool-Implementierung abzuschätzen, sind im Kalkulationsmodell die Projektaufwände zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich um Personalkosten beziehungsweise externe Beratungsleistungen, die zur Auswahl und Implementierung des EAI-Tools notwendig sind. Hier schwanken die Erfahrungswerte zwischen 200000 und 250000 Euro (ohne die Implementierung der Schnittstellen).

Die Aufwände für die Betriebsführung eines EAI-Tools setzen sich aus den Abschreibungen für Netzwerk, Hardware und fixen Lizenzgebühren sowie den Kosten für Tool-Administration und Rechenzentrum (etwa Miete beziehungsweise Abschreibungen, Brandschutz und Instandhaltung) zusammen.

Lizenzkosten meist fix

Auf dem Markt existieren unterschiedlichste Lizenzmodelle. Die Erfahrung von Arthur D. Little zeigt, dass die Modelle mit fixen Lizenzkosten pro eingesetzter Hardwarekapazität (in der Regel Prozessoreinheiten) vorherrschen. Beide können mit einer Einmalzahlung zu Beginn der Implementierung abgeschätzt werden. Der Betrag von 400000 Euro für eine Implementierung mit 80 bis 100 Schnittstellen hat sich als grobe Richtgröße bewährt. Bei einer Abschreibungsdauer von vier Jahren für Lizenz-, Hardware- und Netzwerkaufwände ergibt sich somit ein Betriebsführungsaufwand für ein EAI-Tool zwischen 120000 und 180000 Euro pro Jahr.

Die Wartung eines EAI-Tools kann mit 25000 Euro pro Jahr für das Einspielen von Bugfixes und anderen Aufgaben veranschlagt werden.

Im Kalkulationsmodell ist weiterhin die technologische Weiterentwicklung des EAI-Marktes durch das Einplanen von Release-Wechseln des Integration-Servers zu berücksichtigen. Hierbei werden jeweils Hardware und Netzwerk neu angeschafft und eine neue Version des EAI-Tools implementiert. Die Frequenz der Release-Wechsel sollte einmal in drei Jahren am oberen Ende der praxisrelevanten Bandbreite gewählt werden.

EAI-Investition hat sich gelohnt

Die Investitionsrechnung bei der Betrachtung dieses Business Case wurde mittels der Kapitalwertmethode durchgeführt: Eine Wirtschaftlichkeit ist demnach gegeben, wenn der Kapitalwert der Summe aus Investitionen und Einsparungen größer null ist. Bei der Gegenüberstellung der Aufwände für die EAI-Tools und der Einsparungen bei den Schnittstellen ergab sich im Fall des Energieversorgers ein Kapitalwert von rund 1 Million Euro. Betrachtet wurden 70 Schnittstellen und ein Zeitraum von fünf Jahren. Im Fall des Transportdienstleisters beträgt der Kapitalwert 3,3 Millionen Euro, wobei 100 Schnittstellen ebenfalls auf fünf Jahre angesetzt wurden.

Aufgrund der relativ hohen Kosten, die durch das EAI-Tool entstehen, lohnt sich dessen Implementierung unter dem Aspekt der Einsparungen bei den Schnittstellen nicht immer. Arthur D. Little hat festgestellt, dass mindestens 40 Schnittstellen mit Hilfe des EAI-Tools implementiert werden sollten, um einen positiven Kapitalwert innerhalb der ersten drei Jahre zu erreichen. In einzelnen Fachbereichs-Projekten wird man selten auf diese Anzahl an Schnittstellen kommen, sodass hier die Entscheidung eher gegen den Einsatz eines EAI-Tools ausfällt. Hat der CIO jedoch das gesamte Unternehmen im Auge, ergibt sich sehr wahrscheinlich eine andere Situation pro EAI-Tool.

Im Gesamtkontext des Unternehmens kann dagegen die Entscheidung pro EAI sinnvoll sein, da die notwendige Anzahl an Schnittstellen mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht wird. (ue)

*Matthias Lehr und Ralph Nelius sind Consultants im Wiesbadener Büro von Arthur D. Little.

Angeklickt

Die Entscheidung pro oder contra EAI sollte auf Basis eines Business Case getroffen werden. Der Artikel zeigt auf, wie diese Entscheidungssituation strukturiert und in ein Kalkulationsmodell umgesetzt werden kann. Nach Erfahrung von Arthur D. Little rechnet sich der Einsatz von EAI nur dann, wenn in naher Zukunft relativ viele neue Schnittstellen benötigt werden. Wichtigste Voraussetzung zur Ermittlung der wirtschaftlichen Auswirkungen von EAI sind ein aussagekräftiger IT-Bebauungsplan sowie - im Falle einer dezentralen IT-Organisation - ein auch für die Fachbereiche attraktives Verrechnungsmodell.

Abb: Wirtschaftlichkeit eines EAI-Tools

Eine positive Bilanz: Gegenübergestellt sind die Einsparungen EAI-gestützter Schnittstellen im Vergleich zu herkömmlichen Techniken sowie der mit EAI einhergehende Mehraufwand. Quelle: Arthur D. Little