Wann ist Diskriminierung erlaubt?

03.01.2007
Ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die Diskriminierung am Arbeitsplatz einschränkt, beantwortet der Münchner Rechtsanwalt Knut Müller im CW-Interview*.

CW: Was hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gebracht?

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Was bringt das AGG? Diese und andere Fragen hat der Arbeitsrechtler Knut Müller auch vor unseren Kameras beantwortet. wwww.computerwoche.de/videonr=285

MÜLLER: Das Gesetz hat nicht viel Neues, aber Transparenz in das Thema Diskriminierung gebracht. Es benennt acht Diskriminierungsmerkmale. So sind benachteiligende Handlungen etwa wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung und auch der sexuellen Identität verboten. Von wesentlicher praktischer Bedeutung ist das Diskriminierungsmerkmal "Alter". Die ersten Gerichtsverfahren laufen schon. Es geht darin um Altersgrenzen, wann Mitarbeiter aufhören müssen zu arbeiten. Es ist eine diskriminierende Regelung, wenn ich nur aufgrund meines Alters den Job verliere. Das Gleiche gilt, wenn man Menschen aufgrund ihres Alters den Zugang zur Beschäftigung verweigert.

CW: Oft gehen Firmen hier subtiler vor, wenn sie in Stellenanzeigen nach einem neuen Mitglied für das "junge, dynamische Team" suchen. Ist eine solche Formulierung schon diskriminierend?

MÜLLER: Wenn ein Unternehmen einen jungen, dynamischen Mitarbeiter braucht, darf es den selbstverständlich auswählen und einstellen. Umgekehrt gilt: Wer einen Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung sucht, darf junge Bewerber ablehnen. Das sind erlaubte Diskriminierungen, weil der Arbeitgeber sein Anforderungsprofil bestimmen darf.

CW: Können IT-Mitarbeiter über 40 Jahre, die aufgrund ihres Alters keine Fortbildung mehr erhalten, dagegen vorgehen?

MÜLLER: Hier sieht der Gesetzgeber Beschwerdestellen vor. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine solche Stelle einzurichten, bei der sich der Arbeitnehmer, der sich diskriminiert fühlt, beschweren kann. Der Arbeitgeber muss sich mit der Beschwerde befassen und ihr abhelfen, wenn er sie für berechtigt hält. Daneben kann sich der Arbeitnehmer nach wie vor beim Betriebsrat beschweren und Klagen einreichen. Die Darlegungslast ist allerdings sehr hoch: Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass er anders als andere Arbeitnehmer behandelt wird. Der Arbeitnehmer muss vortragen und belegen können, dass Fortbildungen ausschließlich an Mitarbeiter vergeben werden, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Gelingt dieser Vortrag, muss der Arbeitgeber beweisen, dass es sich hierbei um eine "zufällig" unterschiedliche Behandlung handelt. Gelingt dies nicht, ist die Diskriminierung festzustellen, gegebenenfalls Schadensersatz durch den Arbeitgeber zu leisten und die Fortbildung zu gewähren.

CW: Müssen Firmen Klagewellen amerikanischen Ausmaßes befürchten?

MÜLLER: Das glaube ich nicht. Das AGG wiederholt viele bekannte Regeln. Da wird sich auch in der Prozesssituation wenig verändern. Wir sehen bis heute kaum Klagebewegungen.

CW: Viele Unternehmen holen sich ja juristischen Rat in Sachen AGG. Welche gesetzlichen Regelungen sorgen für die größte Verunsicherung in den Unternehmen?

MÜLLER: Das gesetzliche Regelwerk sorgt für Verunsicherung, da unklar ist, ob das AGG den europarechtlichen Vorgaben genügt und den Arbeitgebern erstmals eine Schulungsobliegenheit aufgebürdet wird, deren Umfang ebenfalls ungeklärt ist.

CW: Ist diese Verunsicherung berechtigt?

MÜLLER: Die Verunsicherung ist in Bezug auf die europarechtlichen Bedenken gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berechtigt. Der Gesetzgeber bessert zurzeit dessen Regelungen nach. Es ist geplant, Paragraf 10, Nummer 6 und 7 (beide Regelungen betreffen Fragen der Berücksichtigung des Alters im Rahmen der Sozialauswahl) ersatzlos zu streichen. Damit entfallen sinnvolle Konkretisierungen in Bezug auf das Diskriminierungsmerkmal "Alter". Es entspricht der allgemeinen Meinung, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz damit in Bezug auf die noch enthaltenen Regelungen zur Sozialauswahl und zum Kündigungsschutz europarechtswidrig sind.

CW: Das Gesetz fordert vom Arbeitgeber ja eine umfassende Dokumentationspflicht ein. Was muss der Arbeitgeber im Alltag festhalten, was bedeutet das etwa für den Rekrutierungsprozess?

MÜLLER: Nicht der Gesetzgeber fordert vom Arbeitgeber eine umfassende Dokumentation. Die Dokumentationspflicht für den Arbeitgeber folgt letztlich daraus, dass mit Hilfe der Dokumentation versucht werden wird, den Haftungsbestimmungen des AGG zu entgehen. Der Arbeitgeber muss daher etwa im Rekrutierungsprozess das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle möglichst konkret beschreiben können und intern für seine Unterlagen dokumentieren, warum eine bestimmte Bewerbung abgelehnt worden ist. Jedoch ist es nicht empfehlenswert bestimmte Begründungen nach außen mitzuteilen.

CW: Würden Sie das Gesetz als arbeitnehmer- oder als arbeitgeberfreundlich bezeichnen?

MÜLLER: Es dient dem Persönlichkeitsrechtsschutz von Diskriminierung bedrohter Arbeitnehmergruppen. Dies allein macht das Gesetz noch nicht arbeitnehmerfreundlich, da jedem Arbeitgeber auch unabhängig vom AGG an einer rechtmäßigen und diskriminierungsfreien Behandlung seiner Arbeitnehmer gelegen ist. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte wird zeigen, ob die Regelungen zur Darlegungslast arbeitnehmer- oder arbeitgeberfreundlich ausgestaltet werden.

*Das Interview führte CW-Redakteurin Alexandra Mesmer.