Arbeitnehmer finanzieren neue "Electronic AG":

Walther-Modellversuch mit Gemischtwarenladen

19.01.1979

STUTTGART/GERSTETTEN - Das Wundmal des Pleitegeiers "i. K." (in Konkurs) hatten die 400 verbliebenen Mitarbeiter der 1974 in Konkurs gegangenen Walther Büromaschinen GmbH (Gerstetten) längst umgedeutet: "Im Kommen" heiße das. Doch erst zu Weihnachten 1978 ging das Aufatmen durch die Alt-Waltheraner. Da stand fest, daß die am 8. 12. 1978 gegründete Walther Electronic AG für 6,5 Millionen Mark Personal und lastenfreie Aktiva der wegen Familienstreitereien und Mißmanagement fallierten GmbH übernehmen werde, um vielleicht auf der Schwäbischen Alb einen elektronischen Phönix aus der feinmechanischen Asche steigen zu lassen.

Das Besondere an der neuen AG: Von ihren fünf Millionen Mark Grundkapital stammen 3,4 Millionen Mark aus dem Sozialplan der Vorgängerfirma. Um wenigstens einen Teil der Arbeitsplätze retten zu können, hatte der bremische Konkursverwalter, Rechtsanwalt und Notar Hans Richard Schulze (der seinerzeit Borgward abgewickelt hat) in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom Betriebsrat die Zustimmung bekommen, die Abfindungsansprüche der 1200 (von einst 1600) Arbeitnehmer nur zu einem Viertel auszubezahlen und den Rest - 3,4 Millionen - als Treuhandvermögen in eine zu gründende AG einzuschießen, die die Waltherproduktion weiterfahren sollte, falls sich bis Ende 1978 außerhalb der Walther-Belegschaft Aktionäre für 1,6 Millionen Mark fänden.

Sie fanden sich, wenn auch mit großem Zögern, weil ja die Kapitalmehrheit bei den Arbeitnehmer lag. Diese freien Aktionäre - neben reinen Finanzierungsunternehmen wie der Münchener Innovations- und Handelsgesellschaft mbH oder der Kölner Analytika Gesellschaft für Analyse und Vermittlung von Kapitalanlagen GmbH - können mit ihrem Einstieg bei Walther handfeste eigene Interessen befriedigen. Beispielsweise findet das holländische Software- und Systemhaus Multifunction B. V. in den rund 1000 Walther-Händlern einen schlagkräftigen Vertriebsapparat.

Die Angst, daß angesichts des Kapitalüberhangs in Arbeitnehmerhand auf der Rauhen Alb ein deutscher Fall Lip entstehen könnte, müssen die Aktionäre nicht haben. Gegen das Versprechen, alle von der IG-Metall für die Region zuständigen Tarifverträge zu erfüllen, verzichtete der Betriebsrat auf das Streikrecht. "So einfach ist das", kommentierte in Hamburg "Die Zeit" bündig.

Ausgehandelt hat dies Diplomkaufmann Thomas E. Panzer, Ex-Kienbaum-EDV-Chef und durch ICC-Alanthus Leasing-erfahren, der dem Vorstandstrio (Detlef Nielsen blieb wie bei der GmbH Finanzchef, Rudi A. Bauer macht Vertrieb, und Marketing) vorsitzt. Hobbysegler Panzer ("Hier muß der Vorstand selbst auf den Acker") ist nun die Hoffnung der 800 ehemaligen Walther-Mitarbeiter, die sich zähneknirschend freuen dürfen, daß ihre Zwangseinlage zumindest vorläufig 400 Kollegen den Arbeitsplatz gerettet hat.

Über Auftragsmangel brauchen die zunächst nicht zu klagen. Allerdings: Sie stammen sinnigerweise überwiegend just aus jener Sparte, derentwegen die GmbH an den Klippen der Marktwirtschaft zerschellt ist - der Feinwerktechnik. "Noch zwei, drei Jahre", so mutmaßt Rudi A. Bauer, werde das Geschäft mit den mechanischen Organisationsmaschinen "mit absteigender Tendenz guten Umsatz bringen"

Von den 20,6 Millionen Mark Umsatz des vergangenen Jahres lieferte die Mechanik rund 40 Prozent. Der Umsatzanteil der Tischrechner schrumpfte von 28 auf 23 Prozent, das OEM-Geschäft wuchs von 14 auf 20 Prozent und auch die sonstige Fertigung (die Walther GmbH hatte noch eine moderne Spritzgußanlage angeschafft, ehe sie über den Jordan ging) ist recht gut ausgelastet.

Freilich, die Zukunft soll durch elektronische Produkte gesichert werden. Und hier reist Panzer kreuz und quer durch die Bundesrepublik, geeignete Erzeugnisse zu finden. Mit der in Hannover residierenden Textcomputer Vertriebs GmbH soll beispielsweise ein System für 8000 bis 15 000 Mark vertrieben werden. Etwa acht bis zehn Millionen Mark Umsatz soll das posttechnisch zugelassene Datenfunksystem (von Datageet) an Umsatz bringen. Hier übernahm Panzer vom bisherigen Vertreiber, Ferrodyna, gleich den Vertriebsmann, Oskar K. ("Peter") Hoffmann mit. Der setzte als Walther-Mann denn auch prompt zuallererst einmal die Umsatzerwartungen um zwei Millionen Mark tiefer.

Zum größten Schlag hofft die neue Walther-Crew aber mit ihrem kompakten, programmierbaren Datenerfassungsgerät DE 100 auszuholen. Hier bestehen, so läßt Panzer durchsickern, "Aussichten, eine Datev-Empfehlung" zu erhalten - was einen Einbruch in die Olivetti-, T/A- und LogAbax-Pfründe bedeuten würde.

Von Addmaster (USA) bezieht Walther elektronische Registrierkassen, die, um einen Münzsorter und Rückgeber aus Walther-Produktion ergänzt, besonders mittelstandstauglich sein sollen. "Ein befreundetes Rechenzentrum", so läßt sich Vorstandsvorsitzender aus, "habe uns auf 3000 mögliche Kunden hingewiesen". Immerhin: 156 Kassen sind schon untergebracht.

Das neue Management auf der Rauhen Alb ist sich klar darüber, "alle vier Monate ein neues Produkt oder einen neuen Markt" haben zu müssen. Denn, so Panzer bescheiden, "wir wollen keine IBM, keine NCR werden, wir wollen Nischenpolitik betreiben".

So eine Nische ist zum Beispiel das auf dem Micral-Mikro laufende Hausverwaltungssystem von E. J. Gascard aus Einbeck, da solcherart wieder einmal einen anderen Vertreiber gefunden hat.

Nischen will die Walther-Electronik auch mit den DEC-Minis D 325 und den Interdata-Systemen 8/16 und 8/32 auftun. Sie sollen als Dedicated Systems geringer bis mittlerer Leistung vermarktet werden, wobei die Problematik der Inkompatibilität gegenüber dem Vorzug der "Unabhängigkeit vom Lieferanten" verdrängt wurde.