Gute Kundenbeziehungen anstelle von Kampfpreisen

VW will die Großabnehmer mit Beratungsqualität binden

23.04.1999
MÜNCHEN (qua) - Um ihre Position im wettbewerbsintensiven Großkundensegment zu verbessern, führt die Volkswagen AG, Wolfsburg, ein neues Vertriebsinformations-System ein. Es soll sowohl den Verkäufern als auch dem Management die Arbeit erleichtern.

Unsere Ziele im Flottenmarkt sind sowohl qualitativer als auch quantitativer Art", erläutert Heinz van Deelen, Vertriebsleiter Groß- und Direktkunden beim Wolfsburger Autokonzern. Das heißt: "Wir wollen die Kundenzufriedenheit erhöhen." Und ebenso: "Wir wollen die Nummer eins im Flottenmarkt bleiben." Vor 20 Jahren sei dieses Business ein reines Abwicklungsgeschäft gewesen; heute müßten alle Methoden des modernen Marketings angewendet werden, um neue Kunden zu gewinnen und die vorhandenen bei der Stange zu halten.

Wie van Deelen berichtet, hat sich der Wettbewerb auf dem Direkt- und Großkundenmarkt in den vergangenen Jahren erheblich verschärft. Das liege vor allem an der Internationalisierung, die durch die bevorstehende Einführung der europäischen Einheitswährung noch verstärkt werde. Für VW bedeute das: Es gibt einen hohen Bedarf an IT-Unterstützung. Je mehr das Unternehmen über den einzelnen Kunden wisse, desto besser könne es auf seine Bedürfnisse eingehen, hat der Vertriebs-Manager erkannt. Große strategische Bedeutung mißt er folglich dem richtigen Umgang mit den Händler- und Partnerdaten bei.

Aus diesem Grund hat sich VW entschlossen, im europäischen Großkundenbereich ein vertriebliches Informations- und Steuerungssystem einzuführen. Ziel des Projekts "Fleetcom" war es, alle Vertriebsinformationen in diesem Business-Segment schneller und effizienter zu verarbeiten und auf diese Weise die Arbeitsabläufe zu verbessern. "Die Lösung hilft uns dabei, rascher auf Kundenanforderungen zu reagieren, sie liefert die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen für das Vertriebs-Management, und sie erhöht die Effizienz in der täglichen Arbeit", formuliert van Deelen seine Erwartungen.

Nach Aussagen des Großkundenspezialisten nahm der Automobilkonzern etwa 30 Softwaresysteme in Augenschein, bevor er sich schließlich für die "TPS Online Suite 4.4.2" von der TPS Labs AG, München, entschied. Das Standardsystem, das sich aus den Applikationen "Sales Force", "Marketing Plus", "Executive View", "C3 Call Center" und "Service Chain" zusammensetzt, wurde den individuellen Anforderungen des Automobilkonzerns angepaßt und erweitert. So war das Mainframe-basierte "Großabnehmer-Informationssystem" einzubinden, das für die Vertriebssteuerung und Fakturierung zuständig ist. Derzeit werden die Daten zwischen Fleetcom und Gabis im nächtlichen Batch-Betrieb ausgetauscht; künftig soll das online passieren.

Für die TPS-Software sprach, so van Deelen, daß sie auf der relationalen Datenbanktechnik basiert, also keine proprietären Methoden für die Informationsspeicherung nutzt. VW setzt eine Oracle-Datenbank auf einem HP-Unix-Server ein. Die Anwender greifen über Windows-NT-Clients auf die Informationen zu.

Entscheidend war aber auch die Anpassungsfähigkeit des Systems, beispielsweise, um das komplexe Beziehungsgeflecht aus VW-Tochtergesellschaften, -Händlern und -Kunden abzubilden. In einen Verkaufsvorgang sind, so van Deelen, teilweise bis zu 100 Leute involviert. Und auf europäischer Ebene sei dieser Prozeß noch komplizierter.

Ein auf den ersten Blick triviales Kriterium war die Benutzerfreundlichkeit: "Unsere Außendienstler sind im Durchschnitt 50 Jahre alt und nicht mit der Maus groß geworden", begründet der Vertriebs-Manager die Bedeutung der einfachen Bedienbarkeit.

Den Schwerpunkt des VW-Systems bilden Funktionen für die Vertriebsunterstützung (Sales Force Automation = SFA). Den Außendienstlern stellt es zum Beispiel vorgefertigte Verträge zur Verfügung, die sich anhand der ebenfalls vorgehaltenen Kundeninformationen ausfüllen lassen. Besonderes Augenmerk legt VW auf das integrierte Vertrags-Management. Hier ist unter anderem festgelegt, wieviel Rabatt ein bestimmter Kunde oder Kundentyp in einem bestimmten Land auf den Listenpreis erhält. Daneben läßt sich Fleetcom aber auch nutzen, um gezielte Mailing-Aktionen oder Großkundenveranstaltungen abzuwickeln.

Darüber hinaus wird das System für die üblichen Reporting- und Analysefunktionen eingesetzt. Dabei beantwortet es nicht nur die Frage: Wie viele Autos verkauft VW an einen Kunden? Sondern auch: Wie hoch ist der Anteil der VW-Autos an der Firmenfahrzeug-Flotte eines Unternehmens? Wieviel von seiner Sollmenge hat der Kunde bereits ausgeschöpft? Welche Verträge laufen in den nächsten Monaten aus? Oder: Welche potentiellen Kunden haben wir eigentlich noch nicht? "Damit sind wir nicht mehr so abhängig vom Kopf des einzelnen Mitarbeiters", konstatiert van Deelen.

Selbstverständlich hängt die Aussagekraft solcher Informationen wesentlich von der Qualität des gesammelten Datenmaterials ab. Für bestimmte Fragen lassen sich aber auch externe Quellen nutzen. Um neue Kunden gewinnen zu können, ist beispielsweise die Anbindung des Hoppenstedt-Firmenverzeichnisses geplant.

Auf der höchsten Vertriebsebene sollen die Auswertungs- und Analysemechanismen des Systems dabei helfen, Management-Entscheidungen zu treffen. Das heißt: Anhand der Berichte und Analysen läßt sich beispielsweise eine Nachlaßpolitik definieren oder lassen sich Händlerbeziehungen anhand von Margen steuern. Solche Auswertungen waren bislang nur mit viel Aufwand zu beschaffen. Wie mit Mainframe-basierten Cobol-Programmen üblich, brauchten mehrere Software-Experten einige Tage, um Antworten auf derart komplexe Anfragen zu geben. Fleetcom befindet sich derzeit in der Pilotphase: Etwa 50 Mitarbeiter in Deutschland setzen das neue Vertriebsinformationssystem schon ein - 17 davon auf mobilen Computern im Außendienst. Aber schon in nächster Zukunft will VW das System auf den Vertriebsbereich im europäischen Großkundengeschäft ausweiten, sprich: es für insgesamt 140 Beschäftigte nutzbar machen.

Geplant ist zudem, die Händlerorganisationen - etwa 200 "Leistungszentren" - und 40 Importeure anzubinden.

Die Ziele

"Fleetcom" soll die Mitarbeiter des Großkundenvertriebs unter anderem dabei unterstützen,

- kundenbezogene Mailings abzuwickeln,- Großkundenveranstaltungen zu organisieren,- händlerbezogene Daten zu verwalten und auszuwerten,- Wirtschaftsauskünfte und Zulassungszahlen für eigene Auswertungen zu nutzen,- interne Abläufe sowie die Verbindung zwischen Innen- und Außendienst effizienter zu gestalten,- den Papierausstoß zu reduzieren sowie- entscheidungsrelevante Daten flexibler auszuwerten.

Das Geschäft

Der Produktabsatz an Großkunden stellt einen erheblichen Teil des VW-Umsatzes dar. Die Volkswagen AG verkauft immerhin jedes vierte Auto an einen Mehrfachabnehmer - beispielsweise als Firmenfahrzeug, Leihwagen oder Taxi, aber auch als Polizei-, Kranken- oder Bundeswehrfahrzeuge. Europaweit trugen die Pkw-Großabnehmer im vergangenen Jahr etwa zehn Milliarden Mark zum Umsatz des Volkswagen-Konzerns (rund 134 Milliarden Mark) bei. Laut Vertriebs-Manager Heinz von Deelen ist das Groß- und Direktkundengeschäft derzeit geprägt von der zunehmenden Internationalisierung der Märkte, einer wachsenden Professionalisierung und einem immer stärkeren Wettbewerb. Durch eine verbesserte Beratung will sich VW von den Mitbewerbern absetzen und eine Möglichkeit schaffen, auch gegen solche Konkurrenten zu bestehen, die massiv über den Preis verkaufen.

Abb: Kundenorientierung entsteht bei VW durch bedarfsgerechte Liefergemeinschaften und das Einschalten von Auslieferungspartnern. Quelle: Volkswagen AG