Kosten und Nutzen der Konsolidierung von Daten und Begriffen

VW-Konzern bewertet seine Datenstrukturen

30.06.2000
MÜNCHEN (CW) - Daten- und Begriffskonsolidierung ist eine DV-Tätigkeit, deren Wert sich der Unternehmensführung bisher nur mittelbar aus den Kosten dafür erschließt. Das Konzerndaten-Management der Volkswagen-Gruppe entwickelt deshalb zusammen mit der Universität Siegen ein Berechnungssystem für DV-Schlüssel und Begriffe.

Bevor sich die Bedeutung eines IT-Schlüssels bestimmen lässt, muss der Begriff erst einmal identifiziert sein. Volkswagen hat dafür ein Konzerndaten-Management (KDM) installiert. Vor zwei Jahren rief das ISO-Komitee des Automobilherstellers dieses virtuelle Team ins Leben, das derzeit mit zehn Personen aus verschiedenen Konzerngesellschaften besetzt ist. Es erarbeitet, pflegt und vereinheitlicht Datenstrukturen und -schlüssel von DV-Systemen, die innerhalb des VW-Konzerns im Einsatz sind - bei Standardapplikationen wie R/3 sowie bei Eigenentwicklungen.

Die KDM-Mitglieder klären beispielsweise inhaltlich, was eine Teilenummer ist, und DV-technisch, wie sie sich zusammensetzt: Anzahl der Stellen, numerisch oder alphanumerisch gefüllt, mit Wertebereich oder ohne, fest belegt oder dynamisch zusammengestellt. Letztlich entstehen dabei konzerninterne Normen, die für mindestens fünf Jahre festgeschrieben werden.

Jede Begriffsnorm verwaltet ein Betreuer, an den sich Entwickler und Systemadministratoren wenden können. Nach fünf Jahren überprüft das KDM die Definition. Einige Zehntausende solcher zentralen Begriffe und Schlüssel gibt es im Konzern. Etwa 250 sind bis dato identifiziert und werden nun normiert.

Wie Volker Wittig, KDM-Mitglied bei der Volkswagen AG, Wolfburg, ausführt, dienen die Normen dazu, Schnittstellenprobleme zwischen den verschiedenen Anwendungen zu vermeiden beziehungsweise zu beseitigen. "Pflege, Wartung und Abstimmung von Schnittstellen sind ein relevanter Kostenfaktor", so der Daten-Manager. Je stärker die definierten Begriffe in der Neuentwicklung von Programmen benutzt würden, desto weniger Interfaces und Datenkonvertierungen seien notwendig. "Wenn jeder Entwickler bei Skoda, VW, Audi und Seat weiß, was unter einem Partner, einer Kostenstelle oder einer Teilenummer verstanden wird, lassen sich Daten unverändert von einem Softwareprogramm ins andere weiterreichen", führt Wittig aus. "Die unterschiedlichen Anwendungen gestatten sogar die Benutzung nur einer Datenbank." Ob es allerdings dazu kommt, dass Altanwendungen an die Begriffsnormen des KDM angepasst werden, müsse in Einzelfällen geprüft werden.

Dass die Vereinheitlichung von Datenstrukturen und -schlüsseln den Entwicklern und Administratoren nutzt und dem Konzern Geld spart ist unbestritten. Nur war bislang keine Vorgehensweise definiert, mit der sich die Bedeutung eines Schlüssels oder einer Entität in Mark und Pfennig beziffern ließ.

Die Methode zur Bewertung von zentralen Begriffen, die Volker Hermsen* als Diplomand der Universität Gesamthochschule Siegen für VW entwickelt hat, basiert im Wesentlichen auf einer Abschätzung des Zeitaufwands, den ein Systementwickler hätte, wenn er nicht auf Normbegriffe zurückgreifen könnte. Dazu gehört das Verstehen des Begriffs, die betriebswirtschaftliche Recherche, die Einarbeitung ins Thema sowie die Aufbereitung der Dokumentation. Die Entwicklungszeit hängt von der Erfahrung des Mitarbeiters und dem Schlüsselobjekt ab; für den VW-Konzern ermittelte Hermsen einen Durchschnittswert von 2500 Mark pro Schlüssel.

Dazu kommen, so Hermsen, die Kosten, die aus dem Zeitaufwand für die Abstimmung eines neuen Begriffs mit anderen Schlüsseln entstehen. Um die Kosten für einen neuen Schlüssel zu errechnen, legt Hermsen die Arbeitskosten aller an den Abstimmungsprozessen Beteiligten zugrunde. So ergibt sich pro Begriff eine Summe von durchschnittlich 2500 Mark.

Eine dritte Maßgröße kristallisiert sich heraus, wenn der Schlüssel innerhalb eines Datenmodells gewichtet wird. Je mehr Begriffe von einem Schlüssel abhängig sind, desto bedeutender und wertvoller ist er. Die Relationen sind stark unternehmensabhängig. So hat eine Materialnummer in einem produzierenden Unternehmen eine höhere betriebswirtschaftliche Bedeutung als etwa eine Personalstammnummer.

Hermsens Ansatz besteht darin, aus der Wichtigkeit für andere Schlüssel einen Faktor zu bilden, mit dem die anderen beiden Grundwerte aus Verstehen und Abstimmung des Begriffs multipliziert werden. Er zählt etwa, wie oft ein Schlüssel zum Bestandteil eines anderen Objekts wird, und unterscheidet dabei, ob der Schlüssel lediglich informationsgebend oder schlüsselbildend wirkt. Eine Informationsbeziehung ist dabei weniger wert als eine Schlüsselverbindung. (So zählt in dem auf Seite 55 gegebenen Beispiel die informative Beziehung nur zur Hälfte). Darüber hinaus müssen einige Schlüssel mit Fremdsystemen kommunizieren. Das kann den betriebswirtschaftlichen Wert eines Begriffs noch einmal erhöhen - wie auch seine Wiederverwendung.

Bis jetzt sind beim Volkswagen-Konzern nur wenige, quasi exemplarische Schlüssel in ihrer betriebswirtschaftlichen Bedeutung bewertet worden. KDM-Mitglied Wittig hofft allerdings, noch in diesem Jahr in der Lage zu sein, dem Aufwand für Begriffskonsolidierung und Erstellung eines konzernweiten Datenmodells einen Nutzen in Mark und Pfennig entgegenzusetzen.

*siehe Volker Hermsen: Wirtschaftlichkeitsanalyse von Informationssystemen unter besonderer Berücksichtigung der Datenmodellierung in Zusammenarbeit mit der Volkswagen AG und der Arbeitsgruppe Umwelttechnik, Institut für Systemtechnik, Fachbereich 11 der Universität Gesamthochschule Siegen.

Abb: Das KDM vereinheitlicht nicht nur die Begriffe und Schlüssel von hauseigenen Neuentwicklungen und Altanwendungen, sondern bezieht auch Standardpakete von Fremdanbietern ein. Angenommen, es stehen den VW-Gesellschaften, die R/3 einsetzen, 18 Felder für eine Teilenummer zur Verfügung: Bisher konnten die Konzernbereiche diese Stellen nahezu beliebig füllen. Der Schlüssel war sechs, acht oder auch 18 Stellen lang und enthielt beispielsweise Kennzeichen für das Land, das Werk, die Gesellschaft, aus dem das Teil stammt, eine fortlaufende Seriennummer, Chargen- und Qualitätskriterien, zeitliche Informationen sowie Ordnungskriterien für den Verkauf, das Bestellwesen und die Buchhaltung. Die Kennung etwa für den Begriff "Gesellschaft" generiert sich wiederum aus verschiedenen Teilschlüsseln. In dem oben aufgeführten Beispiel berechnet Hermsen die Bedeutung dieser Entität in R/3-Systemen von VW. Dabei legt er für R/3-Schlüssel den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Schlüsselobjekte, dem Kaufpreis eines leeren SAP-Systems und dem Grundwert einer Entität zugrunde. Den Basiswert für eine Entität bewertet er mit 5000 Mark. Die Entität "Gesellschaft" wirkt im VW-Konzern auf 102 Begriffe schlüsselbildend und auf zwölf weitere Entitäten informationsgebend ein. Außerdem wird sie einmal wiederverwendet, was ihren Wert verdoppelt. Letztlich ergibt sich eine Summe von 118000 Mark für diese Entität. Quelle: Hermsen