Wolfsburger Autobauer macht Mitarbeiter fit für das Internet

VW: Alle Wege führen zum Lernen

15.03.2002
In kürzester Zeit 100000 Mitarbeiter mit den Grundlagen des Internet vertraut machen - das ist eine Mammutaufgabe. Die Volkswagen Coaching GmbH bewältigt sie und hat den IT-Trainings-Award gewonnen. Von Gabriele Müller*

Sie ist blau-weiss und hat einen offiziellen Stempel. Wer bei der Volkswagen AG die Urkunde erhalten möchte, die ihm bestätigt, auf dem Weg zum Internet-Profi zu sein, muss vorher sein Wissen unter Beweis stellen. Etwa indem er unter Einsatz einer Suchmaschine Rechercheaufgaben löst oder weiß, was ein Browser ist. In rund einem Dreivierteljahr haben das immerhin schon 32000 Beschäftigte geschafft - von der Konzernleitung bis zum Autolackierer.

Wer seine Fähigkeiten schon unter Beweis gestellt hat, kann das auch stolz vorführen. Der blausilberne Sticker am Revers zeigt: Test erfolgreich bestanden. Das Schulungskonzept der Volkswagen Coaching GmbH, einer hundertprozentigen Tochter des Automobilriesen, kommt gut an, da sowohl Training als auch Abschlusstest freiwillig sind.

"Wir setzen auf Neugier und Motivation unserer Mitarbeiter, nicht auf Druck von oben", erklärt Peter Haase, Sprecher der Geschäftsführung von Volkswagen Coaching. Um diese Begeisterung für das Lernprogramm zu erreichen, ziehen die Wolfsburger viele Register: Das fängt mit einer breit angelegten Informationsoffensive im Unternehmen und entsprechendem Material an. Die Topmanager übernehmen Vorbildfunktion: Sie zählten zu den ersten, die sich das Testzertifikat an die Wand hängen konnten.

"Wir wollen zeigen, wie ernst wir die Weiterbildung der Mitarbeiter nehmen", so Haase. "Sicherung der Qualität der Belegschaft" ist das, was sich die Volkswagen Coaching GmbH auf die Fahnen geschrieben hat. Als Bildungsdienstleister des Mutterkonzerns organisiert sie Aus- und Weiterbildung. Das beweisen die rund 4000 Azubis, die unter der Regie der Volkswagen Coaching GmbH ihre Lehre absolvieren, oder die rund 35000 bis 40000 Teilnehmer an unterschiedlichsten firmeninternen oder externen Weiterbildungskursen.

Neben der Aus- und Weiterbildung zählen Coaching, arbeitsmarktpolitische Projekte, Management-Entwicklung, Consulting, Personalforschung, Benchmarking und Ideen-Management zu den Geschäftsfeldern der Gesellschaft. Aber "nur" rund 20 Prozent ihres Umsatzes von rund 127 Millionen Euro im Jahr 2001 erzielten die Wolfsburger mit Kunden außerhalb des eigenen Konzerns. "Das wird auch in Zukunft etwa die Größenordnung bleiben", bestätigt Haase. Denn "Bildung als Investition in die eigenen Mitarbeiter" soll auch weiterhin das oberste Ziel sein - getreu dem Motto: "Nur gute Mitarbeiter können gute Autos bauen." Wozu aber muss ein Automobilbauer wissen, wie er ein Gedicht von Goethe im Netz findet?

"Wir haben diese Aufgabe in unseren Abschlusstest aufgenommen, weil wir allgemein und losgelöst von VW Such- und Recherchestrategien im Web zeigen und prüfen wollen", erklärt Diplominformatiker Thomas Sutter, der dieses Lernprojekt mitverantwortet. Solche Suchstrategien, aber auch vieles andere aus dem Web, werden in Kürze zum alltäglichen Wissen gehören, über das jeder Mitarbeiter in einem Hightech-Unternehmen verfügen muss, sind die Autobauer überzeugt.

Das ehrgeizige Ziel der Wolfsburger Bildungsspezialisten ist es deshalb, möglichst alle rund 100000 VW-Beschäftigten in Deutschland zu trainieren und damit eine "Internet-Basisqualifikation" zu schaffen. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe gehen sie deshalb auch individuell auf die jeweilige Zielgruppe ein. "Für unsere Topmanager haben wir - dem engen Terminkalender Rechnung tragend - aus unserem Pool Coaches bereitgestellt, die das Training begleitet haben", weiß Haase.

Für alle anderen Mitarbeiter gibt es die Wahl: Eine CD-ROM für das Üben am heimischen PC oder die Internet-Stationen in den Werken selbst. Hier helfen speziell trainierte Betreuer, so genannte Scouts, beim Einstieg in die Weiten des Web. Damit die Wege nicht zu lang werden, fährt sogar ein 5 Van als mobile Station überall dorthin, wo wissbegierige Mitarbeiter Trainingsbedarf äußern.

Schließlich stehen auch im Intranet Selbstlernprogramme und Übungstests zur Verfügung. "Dieses Konzept ist nach einer vorherigen Umfrage entstanden, die ergeben hat, dass rund 80 Prozent der Beschäftigten in der Familie einen PC und rund 64 Prozent einen Internet-Zugang haben", weiß Sutter. "Uns war es wichtig, die Kollegen da abzuholen, wo sie mit ihrem Wissen wirklich stehen, und dabei Ängste und Hemmschwellen abzubauen."

Zehn Stunden freies Surfen im MonatDazu soll nicht nur dieses Angebot beitragen, sondern auch die Kombination der Lernmethoden: vom selbst gesteuerten Lernen mit der CD über das Classroom-Training bis hin zur Betreuung durch den Scout oder Tutor. "Diese Vielfalt der Möglichkeiten kommt gut an", ist Sutter überzeugt. "Schließlich haben wir Lerner im Alter von 16 bis 60 Jahren, Könner und Anfänger, auf deren Bedürfnisse wir eingehen müssen." Deshalb setzt das Lernprogramm auch Schwerpunkte bei den Themen: Vom "kleinen Einmaleins des Internet" über das Senden und Empfangen von E-Mails bis hin zu Suchstrategien und Informationsbeschaffung reicht der Bogen. Bevor es ernst wird, absolvieren die Mitarbeiter zunächst einen Übungstest als "Probefahrt". Wer den echten Test glücklich bestanden hat, darf sich mit PIN und Zertifikat schmücken. Zudem bekommt er über das VW-Mitarbeiterportal künftig monatlich bis zu zehn Stunden freies Surfen am heimischen PC gesponsert.

Nach einem knappen Jahr können die Verantwortlichen eine positive erste Bilanz ziehen. "Dass es von jetzt an schwerer wird, wissen wir", so Haase. "Wir müssen uns noch mehr anstrengen, alle diejenigen zu erreichen, die sich bislang noch nicht beteiligt haben." Was übrigens keine Frage des Alters oder des Berufs ist. "Es hat sich herausgestellt, dass zum Beispiel unser Versuchsbau mit rund 1800 Mitarbeitern nahezu geschlossen den Test schon absolviert hat, gibt Sutter stolz zu Protokoll. Kreativ wollen die Wolfsburger auch weiter bleiben, wenn es darum geht, die Belegschaft für das Internet-Zertifikat zu begeistern. "Wir tüfteln schon an neuen Ideen", heißt es. (hk)

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.