Nach Ankündigung des neuen DOS-Release müssen Mid-range-User SW-Konzepte überdenken:

VSE und MVS im leistungsvergleich

18.05.1984

MÜNCHEN (mer) - Unter dem Druck ihrer 4300-Benutzer hat jetzt die IBM eine neue Version des Betriebssystems VSE/SP (Virtual Storage Extended/System Package) angekündigt (siehe CW Nr. 20/84, Seite 1). Die Bemühungen des Marktführers. User aus dem Mid-range-Bereich auf MVS (Multiple Virtual System) für Großanlagen umzusatteln, verlieren damit vorerst an Bedeutung. Beide Systeme unterscheiden sich jedoch nicht nur im Konzept, sondern auch in der Terminologie beträchtlich. Der folgende Leistungvergleich badert auf einer internen Studie der IBM.

MVS ist ein Multiprogramming-System, das mehrere virtuelle Speicher unterstützt. Jeder einzelne der virtuellen Adreßräume wird dabei einem einzigen Benutzer zugeordnet. Damit hat dieser die Möglichkeit, den nicht vom System belegten Speicherplatz von zirka 8 MB, den sogenannten Benutzeradreßraum, allein zu benutzen.

Bei dem VSE-Betriebssystem müssen sich die Benutzer und die Betriebssystemroutinen den vorhandenen virtuellen Adreßraum (zur Zeit noch 16 Megabyte und 12 Partitions, mit VSE/SP 2.1 auf 40 Megabyte erweitert) teilen.

Im MVS steht jedem Benutzer ein Adreßraum von zirka 8 MB virtueller Speicher je Benutzerprogramm zur Verfügung, in der Version 2 sogar von rund 2000 MB. Theoretisch läßt MVS 9999 Adreßräume zu, die praktische Begrenzung ist abhängig von der Größe wies zur Verfügung stehenden Realspeichers sowie der Leistungsfähigkeit der verwendeten Zentraleinheit und der entsprechenden Peripherie.

Die Systembereiche bestehen aus dem Nucleus, der im realen Speicher fixiert ist, und dem auslagerbaren Bereich für systembezogene Steuerblöcke und gemeinsam verwendeten Systemroutinen.

Dem Trend zu preis-/leistungsgünstigeren großen Hauptspeichern entsprechen im VSE nicht die Möglichkeiten, diesen zur Erhöhung des Durchsatzes effektiv einzusetzen.

Der wichtigste Engpaß stellt die "VSE-Multiprogramming-Steuerung" dar; das heißt die Partition-Prioritätsvergabe ohne Berücksichtigung der Auslastung wichtiger Systemressourcen (zum Beispiel Realspeicher). Einem höheren Multiprogramming-Level bei gleichzeitigen Online-Anwendungen (CICS, ICCF) sind dabei enge Grenzen gesetzt.

Wesentliche Steuerinformationen für die Ausführung von Jobs sind im VSE auf einem Plattenspeicherbereich untergebracht. Diese Datei wird im Multiprogramming-Betrieb stark frequentiert und stellt ebenfalls einen wesentlichen Engpaß dar.

Häufig benutzte B- und C-Übergangsroutinen (zum Beispiel Open, Close, EOJ, Attention-Routine) werden in die SVA (Shared Virtual Area) geladen. Bei Aufruf müssen diese Routinen dann aber in den Übergangsbereich (Transient Area) des Supervisors übertragen (Move Mode) und nicht reentrant geschriebene Systemroutinen weiterhin bei Bedarf von der CIL (Core Image Library) geladen werden.

Darüber hinaus erhebt sich die Frage, inwieweit der virtuelle Speicher zur Aufnahme ganzer Dateien genutzt werden kann. Der Gewinn an Leistung käme herbei nicht nur durch die schnellere Ausführung der E/A-Operationen mittels Paging-Algorithmen, sondern auch durch die Einsparung von Plattenspeicher-Verwaltungsroutinen. VSE kennt eine solche Möglichkeit nicht.

Die Grenzen des VSE werden schnell sichtbar bei der Automatisierung des RZ-Ablaufs, insbesondere etwa bei der Platzverwaltung auf DASD-Dateien oder dem Katalog. Die Schwierigkeit, neue Funktionen unter VSE in ein bestehendes SCP einzubauen, zeigt sich bei der Betrachtung wichtiger MVS-Funktionen, deren Verwirklichung im VSE bis heute nicht oder nur zum Teil geschehen ist.

Im MVS werden Plattenbereiche bei der Erstellung automatisch zugeordnet. Man spezifiziert den Plattenbedarf und überläßt die spezifische Speicherzuordnung dem System. Damit entfällt die fehleranfällige manuelle Plattendisposition des DOS, bei der die genauen Spuradressen einer Platte angegeben werden müssen (Ausnahme: VSAM-Dateien). Automatisches Sichern und Reorganisieren von Platten ist mit dem MVS-Lizenzprogramm "Hierarchical Storage Manager (HSM) möglich.

Eine der wertvollsten Einrichtungen des MVS ist

halten, wo sich eine Datei - sei es Band oder Platte - befindet. Um katalogisierte Dateien anzusprechen, genügt die Angabe des Dateinamens. Es können alle Dateien im MVS katalogisiert werden. In einer DOS-Installation müssen dagegen die Informationen zum Wiederauffinden einer Datei (Ausnahme: VSAM-Datei) manuell (Fehlerquelle, Wiederholungsläufe) festgehalten werden.

Eine Migration auf MVS scheint demnach oberflächlich vorteilhaft. Dennoch zögern viele User vor diesem Schritt, da nicht unerhebliche Kosten bei einer Umstellung von das auf MVS anfallen. Alle Programme müssen nach Änderungen im Quellencode neu umgewandelt und gelinkt sowie die Plattendateien mit einem Entlade- und Ladeprogramm nach OS konvertiert werden (Ausnahme: VSAM-Dateien). Die JCL muß neu geschrieben und die Utilities ebenfalls neu codiert werden. Hinzu kommt eine Umwandlung beziehungsweise Umstellung des Online-Steuerprogramms (zum Beispiel CICS) und der zugehörigen Anwendungsprogramme.