Nist will XOpen-Funktion übernehmen

Vorwurf: Anwendergruppe vor Karren der OSF gespannt

13.09.1991

LONDON (CW) - Schwere Anschuldigungen müssen sich die OSF-Mitglieder IBM, DEC und Hewlett-Packard gefallen lassen. Wie der englische Branchendienst "Computergram" kolportiert, versuchten diese DV-Hersteller, die Marktmacht der potenten US-Anwendergruppe Group of Ten anszunutzen, um ihren eigenen Open-Systemstandard zum lange ersehnten Durchbruch zu verhelfen.

Wie die Londoner Agentur berichtet, sorgten in den USA Pläne der Regierungsbehörde National Institute of Standards and Technology (Nist) für Aufregung, nach denen das Institut zusammen mit der Group of Ten das Ruder beim weltweiten Standardisierungsprozeß übernehmen möchte. Gemeinsam planten die Institutionen demnach, das in den USA nur wenig erfolgreiche X/Open-Konsortium abzulösen und selbst die Funktion eines herstellerunabhängigen Gremiums zur Spezifizierung offener Standards einzunehmen.

Von DV-Anwendern müssen die Beteiligten kaum Proteste befürchten, übernimmt doch mit der Group of Ten eine von den Namen der Beteiligten her vertrauenswürdige Anwender-Allianz die Rolle des "Exekutiv-Organs".

Zu dieser Gruppe gehören so mächtige Konzerne wie General Motors, American Airlines, Du Pont, Eastman Kodak, Merck, Unilever und Motorola.

Innerhalb der DV-lndustrie lösen die Nist-Pläne allerdings alles andere als Begeisterung aus. Die Furcht vor einer weiteren Fragmentierung des Marktes wächst und außerdem wird den beteiligten Konzernen mißtrauen entgegengebracht: Die großen Anwender, so der Verdacht, stecken mit den Marktführern im DV-Bereich unter einer Decke. Befürchtet wird, daß die Hersteller mit den wenigen mächtigen Anwendern in Streitfragen zur Standardisierung Kompromisse schließen könnten, die den Interessen der breiten Anwendergemeinde nicht entsprechen würden.

Indizien gebe es laut "Computergram" genügend: So werde der Group of Ten angelastet, daß ihre kürzlich herausgegebenen SOS-Spezifikationen (Strategy of Open Systems) unverkennbar die Handschrift der Open Software Foundation (OSF) trügen.

Die an offenen Systemen interessierten Hersteller der DV-Branche seien darin unter anderem aufgefordert worden, die Benutzeroberfläche Motif, die Distributed Computing Environment (DCE) und die Distributed Management Environment (DME) als De-facto-Standards anzuerkennen und bei der Vermarktung eigener Produkte zu berücksichtigen.

Du Pont ist Mitglied in der OSF

Für eine Einflußname der DV-Hersteller IBM, DEC und Hewlett-Packard auf den Standardisierungsprozeß, so die Londoner Agentur, spräche auch die Organisation des neuen Gremiums: Die Group of Ten soll nämlich Ableger einer weiteren vom Nist gegründeten Organisation, der PDES Inc. sein - und dieser Gruppe gehören ausgerechnet IBM, DEC und Hewlett-Packard an. Der Kreis schließt sich, wenn man berücksichtigt, daß Großanwender DuPont Mitglied in der Open Software Foundation und einer der größten Kunden von IBM und DEC ist.

Trotz aller Kritik scheinen die Pläne des neuen Spezifizierungskonsortiums durchaus ehrenhaft. Nicht nur Standards für offene Systeme wollen Nist und Anwendergruppe definieren, ebenso soll von den Herstellern die Entwicklung einer Reihe neuer Produkte gefordert werden.

Als konzeptionelles Gerüst ist eine OSI-basierte Open-Systems-Umgebung angedacht, die gemeinsam mit den Herstellern entwickelt wird, und auf deren Basis eine beschleunigte Auslieferung Standard-konformer Produkte in Aussicht steht.

Unter Mitarbeit der verschiedenen Hersteller, so die Planung, werden Spezifikationen in den Bereichen Netzwerk-Services, Datenmanagement, Grafik, Programmierung, Anwenderschnittstellen, Datenaustausch und Betriebssysteme einschließlich ihrer Kerne erarbeitet.

Veranstaltungsrahmen für diese Entwicklungen sind die sogenannten Open Systems Interconnection Implementors Workshops, die erheblich ausgeweitet werden sollen.