Seuchenbekämpfung lässt Nahverkehr zusammenbrechen

Vorgehen gegen MKS behindert Computerfirmen

13.04.2001
MÜNCHEN (CW) - Das Schreckgespenst der Maul- und Klauenseuche (MKS) wirft seinen Schatten nun auch auf die IT-Branche. Wegen der jüngsten Verdachtsfälle in Hessen riegelten Sicherheitskräfte zwischen dem 3. und 6. April ein Gebiet im Landkreis Gießen ab. Vor den wenigen Schleusen des Sperrbezirks bildeten sich lange Autoschlangen. Mitarbeiter eines Computerversandhändlers kamen nicht zur Arbeit, Warenauslieferungen verzögerten sich um Stunden.

"Die Leute mussten teilweise bis zu sechs Stunden warten, bis sie die Schleusen im Absperrungsgürtel passieren konnten", schimpft Björn Bartsch, Marketing-Manager des Online-Computerhändlers Alternate. Das Unternehmen hat seinen Firmensitz in Linden, etwa drei Kilometer südwestlich von Gießen.

Am Dienstag, den 3. April, waren in den westlich von Gießen gelegenen Orten Krofdorf-Gleiberg und Königsberg-Biebertal Schafe mit MKS-Symptomen entdeckt worden. Die betroffenen Betriebe, eine Gärtnerei und ein Bauernhof, wurden daraufhin abgeriegelt. Die Behörden richteten Sperrzonen mit einem Radius von drei Kilometern rund um die potenziellen MKS-Herde ein.

Kurz danach brach im Raum westlich von Gießen das Chaos aus. Da der Weg in und aus dem Sperrgebiet durch nur sieben Kontaminationsschleusen führte, bildeten sich an den Nadelöhren schnell kilometerlange Autoschlangen. Das Technische Hilfswerk hatte in Zusammenarbeit mit den lokalen Feuerwehren hohe Metallgerüste an den Kontrollpunkten aufgebaut, unter denen die Fahrzeuge mit einer Formalin-Lösung abgespritzt und desinfiziert wurden. Eine Prozedur, die bei einem Lastwagen schon mal 15 Minuten dauern könne, klagt Spediteur Holger Hofmann, dessen Betrieb im Sperrgebiet liegt.

Stundenlange WartezeitenBei Alternate kamen am folgenden Tag mehrere Mitarbeiter wegen der stundenlangen Wartezeiten an den Sperren nicht zur Arbeit. Außerdem befürchtete Bartsch eine Beeinträchtigung des Warenversands. Sollten sich die Fälle von Maul- und Klauenseuche bestätigen, sei mit einer Ausweitung des Sperrgebiets zu rechnen, argwöhnte der Marketing-Manager. Dann läge auch Linden, der Stammsitz des Computer-Versandhändlers, im Seuchengebiet. An eine mögliche wochenlange Sperrung der Zufahrtsstraßen will er gar nicht denken.

Auch andere Unternehmen kämpfen mit den Folgen der MKS-Maßnahmen. So rechne die Post bis zur Aufhebung der Sperrbezirke mit erheblichen Verzögerungen, sagte Pressesprecher Thomas Kutsch. Der Sprecher des Regierungspräsidiums in Gießen Manfred Kersten erklärte, dass mehrere Schulen für einige Tage geschlossen werden müssten.

Während die Absperrung wegen neuer MKS-Verdachtsfälle auch an den folgenden Tagen aufrechterhalten wurde, wuchs die Kritik am Krisen-Management der Behörden. Zwar behaupteten die hessische Sozialministerin Marlies Mosiek-Urbahn und der Polizeipräsident Manfred Meise, die Bevölkerung bringe den Vorsichtsmaßnahmen großes Verständnis entgegen. Äußerungen im Forum von "Mittelhessen 1", einem vom Gießener Anzeiger betriebenen Online-Nachrichtenservice, belegen jedoch das Gegenteil. Aufgebrachte Bürger beschweren sich über nicht erreichbare oder ständig besetzte Bürgertelefone und Probleme bei der Versorgung der abgesperrten Gemeinden. "Vertrauen in das Krisen-Management und die Obrigkeit - keine Spur!" , schreibt ein Bürger aus dem Krisengebiet.

Auch Bartsch fragt: "Ist das Krisen-Management?" Von Seiten des Landratsamtes und der Stadt Gießen habe es keinerlei Informationen für vom Sperrgürtel betroffene Unternehmen gegeben. Die einzige Informationsquelle sei das Radio gewesen.

Rigorose BehördenDie Probleme mit MKS-Fällen könnten in den nächsten Wochen noch viele IT-Firmen in Bedrängnis bringen. Die Behörden setzen die vorgeschriebenen Seuchenbekämpfungsmaßnahmen rigoros durch, wie das Beispiel in Hessen gezeigt hat. Das bedeutet einen Sperrgürtel mit einem Radius von drei Kilometern um den potenziellen Seuchenherd sowie einen Beobachtungsring mit einem Radius von zehn Kilometern. Gerade IT-Unternehmen, die sich in einem der zahlreichen Industriegebiete an Stadt- oder Ortsrändern angesiedelt haben, könnten davon betroffen sein. Der nächste Hof mit Schweinen, Rindern oder Schafen ist dort meist nicht weit.