Anwendergespräch "EDV in der Fertigungssteuerung" an der Uni Saarbrücken:

Vorgefertigte Modularprogramme scheitern an der Anpassungshürde

29.06.1979

Die Datenverarbeitung im Fertigungsbereich befindet sich im Umbruch. Nachdem durch den Einsatz von Stapelverarbeitungsverfahren hinreichende Kenntnisse erworben wurden, werden heute zunehmend komplexere Lösungen erarbeitet. Dabei besteht die Hoffnung, durch den Einsatz von Dialogsystemen weitere Rationalisierungsmöglichkeiten und Kosteneinsparungen ausschöpfen zu können.

Welche Einzelaufgaben eignen sich für den Dialog? Wie sollen diese Aufgaben implementiert werden? In welcher Reihenfolge soll vorgegangen werden? Sollen integrierte Systeme oder Bereichslösungen angestrebt werden? Sollen Standardprogramme eingesetzt oder speziell auf ein Unternehmen zugeschnittene Lösungen verwirklicht werden? Welche Auswirkungen besitzen diese Systeme auf den einzelnen Arbeitsplatz und wie steht es mit ihrer Wirtschaftlichkeit? Dies sind nur einige der zahlreichen Fragen, die nahezu 300 Teilnehmer des Anwendergesprächs "Produktionsplanung und -steuerung im Dialog" am 12. und 13. Juni 1979 in Saarbrücken erörterten. Das große Interesse an der gemeinsam von der Gesellschaft für Informatik e. V. und dem Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. veranstalteten Tagung ist ein Indiz für die Aktualität des Anwendergesprächs, das seine Hauptaufgaben, nämlich Überblick und Anregungen zu geben und Erfahrungen auszutauschen, voll erfüllt hat.

Produktionsplanung und -steuerung im Dialog - diese komplexe Aufgabe setzt ein komplexes System voraus. Entsprechend hoch ist der Aufwand bei der Realisierung derartiger Systeme, insbesondere bei der Softwareentwicklung. Hier muß die Frage geklärt werden, ob eigenerstellte Software oder Standard-

Keine Aussagen über den Rationalisierungserfolg

software eingesetzt werden soll. Unterschiedliche Meinungen trafen aufeinander.

So wurde der Einsatz checklistenorientierter Dialogsoftware als eine Möglichkeit dargestellt, trotz des hohen Software-Entwicklungsaufwandes eine umfassende Lösung der Programmplanung und -steuerung auch für mittlere und kleinere Unternehmen realisieren zu können. Beispielsweise können durch ein derartiges System die Funktionen Stücklistenorganisation, Verwaltung des Fertigungsauftragsbestandes etc. abgedeckt werden. Hierzu stellt der Anbieter des Systems dem Anwender ein umfassendes Programmpaket zu Verfügung. Mit Hilfe einer Checkliste sucht der Anwender die für ihn relevanten Einzelfunktionen heraus, durch Parameter werden Verfahren und Programmabläufe festgelegt, Parameter bestimmen Feldgrößen und Satzlängen, legen Masken und Bildschirmausgaben fest. "Im Extremfall sind beim Anwender keine EDV-Fachleute erforderlich, er konzentriert sich auf seine eigenen organisatorischen Maßnahmen", so Dr. Klaus Adena von der Nixdorf AG als ein Anbieter derartiger Systeme.

Und der Anwender wird sich wohl auch voll auf seine organisatorischen Maßnahmen konzentrieren müssen, denn "die ursprüngliche Vorstellung, mit Modularprogrammen die Mehrzahl der Anwender bedienen zu können, hat sich als unrealistisch erwiesen", so Professor Warnecke, Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung der Fraunhofer-Gesellschaft in Stuttgart. Dies liege darin begründet, daß die betriebstypologischen Merkmale wie Seriengröße, Kundenauftrags- und Lagerfertigung, Produktdurchlaufzeiten und Teilevielfalt weit auseinandergingen. Insbesondere Aufbau und Ablauf organisatorischer Anpassungen nähmen - so Warnecke - ein weitaus höheres Maß als bei der Eigenerstellung von Software an. So werde die Entwicklung der EDV-Anwendungen in der Fertigungssteuerung heute nicht mehr von vorgefertigter Software, sondern von individuellen Lösungen einzelner Anwender geprägt.

Sicher sei auch, daß die Anwender die optimistischen Erwartungen der Anbieter nicht in

jedem Fall voll teilen. Ist damit die Produktionsplanung und -steuerung im Dialog nur für Großunternehmen und nicht für mittlere und kleinere Unternehmen geeignet? Stellt sie eine Herausforderung an die mittleren Unternehmen dar? Können diese gegen die maßgeschneiderten Lösungen der Großunternehmen bestehen? Obwohl diese von Professor August-Wilhelm Scheer, Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftsinformatik in Saarbrücken, in einer Podiumsdiskussion aufgeworfenen Fragen nur durch zukünftige Entwicklungen beantwortet werden können, lassen dennoch die von kleineren Anwendern auf der Tagung vorgestellten Dialogsysteme hoffen.

Ein von Dr. Ullrich Schedl, Gesellschaft für Systementwicklung (München) gehaltener Vortrag zeigte, daß die

"Im Extremfall sind beim Anwender keine EDV-Fachleute erforderlich."

verschiedenen Betriebsfunktionen unterschiedlich für den Einsatz von Standardsoftware geeignet sind. Er untersuchte einerseits, für welche betrieblichen Aufgaben im Fertigungsbereich Standardsoftware einsetzbar ist, gleichzeitig stellte er aber auch die Frage, ob es notwendig und sinnvoll ist, eine Aufgabe zu "dialogisieren" oder ob eine Stapellösung ausreicht. Beispielsweise ist die Verwaltung von Stammdaten, Listen und Arbeitsplänen sehr gut dialoggeeignet und auch mit Standardsoftware durchführbar. Anders sieht es dagegen bei der Produktionsprogrammplanung aus. Sie ist nach Meinung von Schedl weder dialogfähig noch für den Einsatz von Standardsoftware geeignet.

Produktionsplanung und -steuerung im Dialog - ein Thema, das sowohl die EDV - als auch die Fachabteilungen in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen wird. So ist in einigen Unternehmen der Anteil derartiger Planungssysteme an der Gesamtlaufzeit aller EDV-Anwendungen bereits bei 80 Prozent angelangt. Um so dringender wird es, Verfahren zu entwickeln, die die Wirtschaftlichkeit derartiger Systeme beurteilen. Entsprechend hoch war das Interesse der Teilnehmer an den Vorträgen, die sich mit der Wirtschaftlichkeit dieser Systeme auseinandersetzten, jedoch ließ sich keiner dieser Referenten zu allgemeingültigen Aussagen über den Rationalisierungserfolg von Fertigungssteuerungssystemen verleiten.

Insgesamt wurden in Saarbrücken 25 Vorträge gehalten, die durch lebhafte, teilweise kontroverse Diskussionen ergänzt wurden. Sie zeigten, daß von Herstellern, Anwendern und Wissenschaft mehr als ein Schritt getan werden muß, um die gemeinsamen Probleme erfolgreich meistern zu können.

Die Tagungsproceedings sind bereits zur Tagung unter dem Titel "Produktionsplanung und -steuerung im Dialog", herausgegeben von A.-W. Scheer im Physica-Verlag (Würzburg-Wien), erschienen. Zusammenfassungen der Diskussionsbeiträge können von Professor Scheer, Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität des Saarlandes, Bau 16, 6600 Saarbrücken 11, bezogen

werden.

*Claus Helber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität des Saarlandes in Saarbrücken