Eine Idee setzt sich durch

Vor solcher Kosteneinsparung muß jede Tradition weichen

06.03.1992

Desktop publishing, kurz: DTP, hat in unglaublich kurzer Zeit eine ganze Branche auf den Kopf gestellt. Im gesamten Bereich des Druckens und Publizierens ist nichts mehr so, wie es früher einmal war. Marktpositionen werden neu verteilte traditionelle Berufe verschwinden, Betriebe werden umstrukturiert, Die "Revolution seit Gutenberg", wie die Werbung bei der Einführung des DIT vor sieben Jahren vollmundig versprach, ist mittlerweile Realität geworden.

Der Begriff Desktop publishing wurde am 28. Januar 1985 von Paul Brainard, Gründer und Präsident der Softwarefirma Aldus, auf der jährlichen Aktionärsversammlung der Firma Apple geprägt. Noch im selben Jahr bot Aldus mit dem "Pagemaker" das erste DTP-Programm an. Seither ist die Entwicklung des DTP so rasant vorangeschritten, daß sich der Begriff derzeit einer allgemeingültigen Definition entzieht. Textverarbeitungs-Programme werden immer leistungsfähiger und nähern sich dem DTP von unten, wohingegen konventionelle Satzsysteme farbfähig werden und Bildbearbeitungs-Systeme in zunehmendem Maße Satzfunktionen integrieren. Definitionen, von DTP als "das Erstellen von Satz und Layout eines Textes am Schreibtisch mit Hilfe der DV" oder als "die veröffentlichungsreife Erstellung von Druckschriften auf dem Schreibtisch" (Informatik-Duden), können hier die notwendige Abgrenzung nicht leisten.

DTP spart Zeit und Kosten

Desktop-publishing-Programme werden zudem nicht isoliert eingesetzt, sondern in Kombination mit anderen. Ein Textbearbeitungs-, ein Zeichen- und ein Bildbearbeitungs-Programm sind die Standardsoftware einer zeitgemäßen DTP-Anlage.

Im professionellen Bereich werden diese, Anwendungen zum "Workgroup-publishing" zusammengefaßt. Das heißt, mehrere Personen bearbeiten im Rechnerverbund eine Publikation. Der DTP-Prozeß ist eine völlig neue Produktionstechnik, die einige Arbeitsgänge der konventionellen Druckvorlagen-Herstellung überflüssig gemacht hat. Desktop publishing integriert die früher getrennt und arbeitsteilig ablaufenden Arbeitsschritte Satz, Korrektur, Grafik, Umbruch und Layout in einen Prozeß, der sich theoretisch von einer Person bewerkstelligen läßt. Das Druckwerk muß also nicht mehr vom Autor zur Setzerei, von dort zurück zur Korrektur, zum Umbruch oder zum Layout, danach wieder in die Setzerei und Repro-Anstalt zur Erstellung der Druckvorlage transportiert werden, wobei jede Korrektur einen neuen Auftrag bei der Setzerei bedeutet, der Zeit und Geld verschlingt. Beim Gesamtprozeß des DTP sind Änderungen und Korrekturen jederzeit möglich. Satz, Grafiken und Bilder können sofort auf dem Computer bearbeitet werden. Der Anwender erstellt die Seiten der Publikation am Bildschirm, die dann über den Laserdrucker oder den Belichter ausgegeben werden. Was so banal klingt, nämlich daß man bekommt was man auch sieht, ist die Zauberformel des Desktop publishing: WYSIWYG. Erst die Fähigkeiten der Hard- und Software, das "What you see is what you get" zu realisieren, machte Desktop publishing praktikabel.

Seither können die typografischen Möglichkeiten sofort sichtbar eingesetzt werden: Schriftart und Schriftgröße, Zeilenabstand, Laufweite und ähnliches werden mit ein paar Mausklicks in Sekundenschnelle verändert. Balken und Rahmen lassen sich in unterschiedlicher Stärke ziehen, Grafiken und Bilder können bearbeitet, verkleinert, vergrößert oder verzerrt werden. Die Seitenbeschreibungs-Sprache Postscript der Firma Adobe macht den auflösungsunabhängigen Ausdruck der DTP-Dokumente möglich - zuerst nur auf dem Laserdrucker, später auf dem Belichter. Die anfängliche Begrenzung der Ausgabe auf den Laserdrucker - technisch nichts anderes als ein Fotokopierer - ließ keine professionelle Satzqualität zu. In der Druckbranche ging damals das Wort vom Mickymaus-Satz um.

Für Idealisten war DTP die Französische Revolution im Druckwesen. Sie glaubten an die Ideen, der DTP-Pioniere Steven Jobs von Apple und Paul Brainard von Aldus: Publizieren für jedermann lautete die Parole. Komplizierte Technik sollte die menschliche Kreativität nicht länger beschränken. Doch der Kauf einer DTP-Anlage macht noch niemanden zum Grafiker.

Freier Lauf für die Kreativität

Die anfängliche Euphorie angesichts der neuen Möglichkeiten - verflog recht schnell. David Bunnel, Herausgeber eines amerikanischen DTP-Magazins mit dem programmatischen Titel "Publish!", sah bereits 1987 die Grenzen des DTP: "Viele der Desktop-Publikationen dämpfen meinen Enthusiasmus erheblich. Bei ihrer amateurhaften Machart frage ich mich, ob die Welt wirklich besser dran ist, weil jemand diesen Mist auf einem Laserprinter veröffentlicht hat".

Der Großteil des grafischen Gewerbes hatte für die neue Technik nicht viel übrig. Daß Branchenfremde und Ungelernte ihnen Beruf und Arbeit streitig machen könnten: unmöglich! Insbesondere bei den Herstellern von Satzmaschinen, in Setzereien, Druckereien und Repro-Anstalten war diese Ansicht weit verbreitet. Von dem Potential des DTP und irgendwelchen Visionen wollte man nichts hören.

Mit dem Durchbruch des DTP zum Fotobelichter wurde diese Einstellung immer anachronistischer. Durch den Raster Image Processor, kurz RIP genannt, den die Firma Linotype unter dem Motto "Going to Lino" der PC-Gemeinde vorstellte, wurden mit DTP auch professionelle Anwendungen möglich. Mit dem RIP konnten die am Computer erstellten Seiten jetzt direkt über den Belichter in Profi-Qualität ausgegeben werden. Das Ergebnis der DTP-Arbeit war nun ein belichteter Film, also die fertige Druckvorlage. Doch der Großteil der Druckindustrie blieb bei seiner ablehnenden Haltung. Nur zu verständlich, begann doch die neue Technik, ihre Berufe und Pfründe zu bedrohen. Statt Kooperation verlegte man sich auf Konfrontation. So manchem Kunden wurde der geplante Umstieg auf DTP ausgeredet. Gründe gab es noch genug: Die Qualität des DTP-Satzes reiche noch immer nicht an die Standards der herkömmlichen Systeme, die Programme beherrschten noch nicht alle typografischen Möglichkeiten, manche Anwendungen liefen wegen zu geringer Leistung der Anlagen nervtötend langsam ab, Rechner stürtzen oft aus unerfindlichen Gründen ab, Schriften waren nicht im gewohnten Umfang verfügbar etc.

Durchbruch gegen viele Widerstände

Doch der Glaube an das Prinzip des DTP ließ die Pioniere durchhalten. Und es wurde besser! Trotz des Widerstands im Druckgewerbe boomte DTP. Mit steigender Verbreitung begannen die Marktmechanismen zu wirken: Die Nachfrage nach Software, Zubehör und Peripherie stieg, neue Firmen begannen diesen Markt zu bedienen, etablierte Anbieter weiteten ihr Programm aus und betrieben konsequent Modellpflege. DTP wurde zum Selbstläufer.

Durch diesen Prozeß hat DTP vor etwa zwei Jahren einen Qualitätsstandard erreicht, der dem Fotosatz in nichts nachsieht. Was bleibt sind Zeitersparnis, Flexibilität und leichteres Arbeiten mit DTP: Durchschnittlich 30 bis 40 Prozent Arbeitsersparnis bringt die Umstellung auf DTP bei Verlagen und Satzbetrieben. Vor solcher Kosteneinsparung muß jede Tradition weichen. Nicht mit DTP zu arbeiten kann sich heute in der Druckbranche niemand mehr leisten. Umstellungen werden meist nur dann nicht vorgenommen, wenn sich Altinvestitionen erst noch amortisieren müssen.

Grundsätzlich ist niemand mehr dagegen

Heute trifft man weder auf Enthusiasten noch auf Gegner des DTP. Erstere widmen ihre Visionen dem Multimedia, letztere sind gänzlich verstummt. Selbst auf einer Fachveranstaltung mit dem Thema "Pro und Kontra DTP" im August 1991 in Stuttgart fand sich niemand mehr, der grundsätzlich gegen Desktop publishing sprechen wollte. DTP ist bei den Profis der Satzbranche salonfähig geworden. Die aktuelle Frage lautet nicht mehr, ob man DTP einsetzt, sondern wer bis zu welcher Qualitätsstufe?. "Das gesamte grafische Gewerbe wird derzeit umstrukturiert", sagt Werner Huber, Geschäftsführer von vier grafischen Betrieben des Electronic Communication Center München, der seit über 20 Jahren in der Druckbranche tätig ist. "Der gesamte Bereich, der vor dem Druck stattfindet, ist im Umbruch, die Marktsegmente und Marktanteile werden völlig neu vergeben. Wohl dem, der hier frühzeitig auf das richtige Pferd gesetzt hat.

Huber fürchtet die Zukunft nicht, er war einer der ersten, die auf DTP setzten. Aber für einige Branchenkollegen sieht er schwarz: "Es gibt viele, die beim Rennen um die Marktpositionen gar nicht erst mitstarten." Wer im Pre-Press-Bereich jetzt noch nicht auf DTP umgestellt hat, der wird den Vorsprung der Mitbewerber nicht mehr aufholen. Wer zu spät

kommt, den bestraft der Markt. Dies bestätigt auch der Geschäftsführer einer Münchner Setzerei: Eine reine Setzerei hat heute eigentlich keine Existenzberechtigung mehr." Er hat in seinem Betrieb vor etwa zwei Jahren DTP mitangeboten, die Abteilung kontinuierlich ausgebaut. Dennoch mußte er erhebliche Einbußen durch DTP hinnehmen. "Die Arbeit unserer Branche ist durch DTP auf Ausnahmeerscheinungen in Quantität und Qualität begrenzt worden." Die Existenz seines Betriebes sieht er durch die Möglichkeit gesichert, die Vorteile beider Techniken auszuschöpfen und verstärkt Agenturleistungen anzubieten.

Außerdem hat die Werbebranche vor etwa vier Jahren damit begonnen, sich mit DTP den Satz ins Haus zu holen. "DTP gehört bei einer Werbeagentur mittlerweile einfach dazu", erklärt Christian Casdorff, Leiter der DTP-Abteilung der Münchner Werbeagentur G.B.A, die Umgestaltung in der Agenturszene.

Im wesentlichen zwei Arten von DTP

"Durch DTP hat sich die Zusammenarbeit mit den Setzereien komplett verändert. Aber die Agenturen müssen aufpassen, daß sie sich nicht in Satzbetriebe verwandeln. Ihre Stärke liegt in der Konzeption." Ob der Trend zur Verschmelzung von Setzereien und Werbeagenturen aufzuhalten ist, erscheint Huber mehr als fraglich. Er glaubt, die Zukunft wird Pre-Press-Center entstehen lassen, die den kompletten Service vor dem Druck anbieten.

Den Wandel im grafischen Gewerbe hat die Leistungsspitze der DTP-Technologie ausgelöst. Desktop publishing hat sich in professionelle und semiprofessionelle Richtungen entwickelt - zwei Varianten des gleichen Produktionsprinzips, die nicht mehr viel gemeinsam haben. High-Quality-DTP ist bereits "Ganzfarbenseiten-tauglich", das heißt, auch Vierfarbbilder können auf DTP-Anlagen - via Scanner digitalisiert - bearbeitet und anschließend belichtet werden. Probedrucke liefert der angeschlossene Farbkopierer. Hier nähert sich DTP den klassischen Bildbearbeitungs-Systemen (EBV) - auch preislich: Eine halbe Million Mark und mehr sind für eine solche High-Quality-DTP-Anlage zu bezahlen. Solche Anlagen sind natürlich auch nur von Spezialisten adäquat zu bedienen. Von Publizieren für jedermann ist hier nicht mehr die Rede.

Akzeptables Ergebnis bei einfacher Bedienung

Auch entwickelte sich das Low-end-DTP weiter. Dessen Ziel ist nicht in erster Linie die absolut hundertprozentige Qualität, sondern ein akzeptables Ergebnis bei einfacher Bedienung und niedrigem Preis. Solche Programme sind schon für weit unter 1000 Mark zu haben und wenden sich in erster Linie an Druckamateure, die vor allem schöner, schneller und billiger publizieren wollen. Als Ausgabemedium ist hier der Laserdrucker ausreichend. Kleingewerbe und Handwerker erledigen damit ihre Post, erstellen Angebots- und Preislisten, Studenten drucken ihre Arbeiten, Hobby-Redakteure basteln die Vereinszeitung und Restaurantbesitzer die Speisekarte. Dabei geht es im wesentlichen um die ansehnliche Vermittlung von Information. Hier lebt die ursprüngliche Idee des DTP weiter.

Die häßliche Schreibmaschinenschrift Courier ist dadurch fast völlig verschwunden. Doch die Seitengestaltung mancher Amateure bringt professionelle Setzer bisweilen an den Rand des Nervenzusammenbruchs, weil selbst die grundlegendsten typografischen Regeln nicht beachtet werden. "Es ist etwa so, als ob ein Pianist das Konzert eines Anfängers, der noch nicht einmal Noten lesen kann, anhören muß. Und selbstverständlich beginnt der Anfänger mit freien Improvisationen", klagt ein Setzer. Da der Amateur-DTPler vornehmlich im DOS-Lager zu finden ist - er macht häufig nur nebenbei ein bißchen DTP - wundert es nicht, wenn die Überschrift eines Vergleichstests zwischen zwei DTP-Programmen in einem PC-Magazin lautet: "Wer ärgert den Setzer mehr?" Deshalb geht in diesem Marktsegment der Trend hin zu "intelligenten" Programmen. Das sind Lowend-Programme, die den Benutzer anleiten beziehungsweise Gestaltungsaufgaben selbstständig erledigen: "Personal Press" von Aldus und "Microsoft Publisher" sind hier die Vorreiter.

Die Aufteilung in professionelles und semi-professionelles DTP dokumentiert sich bei der Wahl des Betriebssystems. Bei den High-end-Anlagen dominiert eindeutig die Apple-Welt, im Lowend-Bereich ist die große Masse der DOS-PC-Besitzer angesiedelt. Dazwischen bewegen sich mit eigenen Systemen im unteren Leistungsbereich die Firmen Commodore und Atari, im absoluten High-end-Bereich die Workstations-Anbieter Next und Sun. Im stetig wachsenden Markt war bisher noch genügend Raum für kleine Anbieter. Am DTP-Boom hat vor allem ein Computerhersteller profitiert: Die Firma Apple verdankt den weltweiten Erfolg ihres Mac allein dem DTP. Aus der legendären Garagenfabrik des PC-Erfinders Steven Jobs wurde so der zweitgrößten PC-Hersteller der Welt mit über 15 000 Mitarbeitern und einem jährlichen Umsatz von fünf Milliarden Dollar.

Aber auch der Erfolg der neuen leistungsfähigen MS-DOS-Rechner dürfte zum Großteil auf DTP-Anwender zurückzuführen sein. Selbst die kleinen Anbieter machten mit DTP gute Geschäfte. Bei Commodore schätzt man, daß etwa die Hälfte der 350 000 im letzten Jahr verkauften Amiga mit Multimedia und Office-Paketen für den DTP-Einsatz gekauft wurden. Lediglich beim Apple-Herausforderer Next läßt der Durchbruch noch auf sich warten. Bisher konnte der Teufelskreis von fehlender Software wegen zu geringer Verbreitung und zu geringe Verbreitung wegen fehlender Software noch nicht überwunden werden.

Auf der Softwareseite hat er DTP-Erfinder Aldus mit dem Programm "Pagemaker" das große Los gezogen. Durch die anfängliche Monopolstellung verzehnfachte sich der Umsatz der Firma von 18 Millionen Dollar im Jahr 1986 auf über 170 Millionen 1991: Aldus gehört inzwischen zu den zehn größten Softwareherstellern. Noch heute zehrt die Firma von ihrem Anfangserfolg.

Trotz einer Flut von Konkurrenzprodukten ist der Pagemaker noch immer absoluter Marktführer unter den DTP-Programmen: Weltweit sollen knapp 700000 Stück installiert sein; in Deutschland Über 100000. Wobei es eine relativ hohe Dunkelziffer gibt: Der Pagemaker ist eines der häufigsten Opfer illegaler Raubkopien.

Außer Pagemaker gibt es noch zwei Programme, die professionellen Standards gerecht werden: der "Ventura Publisher" und "Xpress" der Firma Quark. Der Ventura Publisher konnte in Bedienerführung und Erlernbarkeit nie mit dem Pagemaker konkurrieren und muß sich im DOS-Bereich mit etwa 30 Prozent Marktanteil zufrieden geben.

Xpress macht Pagemaker zu schaffen

Im Apple-Bereich ist seit Herbst 1990 mit Xpress, Version 3.0, ein DTP-Programm auf dem Markt, dem Experten zutrauen, den Altmeister vom Thron zu stoßen. Viele Anwender halten es für genauer, flexibler und bedienerfreundlicher als den Pagemaker. Bislang nur in einer Apple-Version erhältlich, macht es in diesem Marktsegment dem Marktführer bereits schwer zu schaffen.

Trotz des Siegeszugs des Desktop publishing und der Professionalisierung der Branche hat man eines bisher nicht in den Griff bekommen: die Berufsbezeichnung. Hier herrscht noch babylonisches Durcheinander.

Das Spektrum reicht vorn DTP-Grafiker, DTP-Operator über den Desktop publisher bis hin zum Desk-Topper. Und niemand weiß so genau, was hinter den einzelnen Bezeichnungen steckt. Noch verwirrt die Revolution ihre Kinder.

*Peter Wolf ist freier Journalist in München.

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