ALX und R3 sind noch keine Alternativen

Vor Mitte der 90er Jahre sind Comet-Nachfolger nicht in Sicht

02.10.1992

MÜNCHEN (hv) - Mit den von der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG (SNI) präsentierten Nachfolgeprodukten für die 8870- Standardsoftware Comet können die Anwender heute noch wenig anfangen. Das wurde auf dem zweiten unabhängigen Siemens-Nixdorf-Forum deutlich, das die COMPUTERWOCHE veranstaltete.

SNI empfiehlt ihren Kunden die funktional gleichwertige Unix-Variante Comet-Pro sowie die ersten verfügbaren Module der neu entwickelten Unix-Software ALX. Auch die in Lizenz genommene R/3-Software von der Walldorfer SAP AG soll den Kunden ans Herz gelegt werden. Alle drei Produkte genügen aber den Anwenderanforderungen gegenwärtig nur zum Teil.

"Comet ist heute am Ende des Lebenszyklus angekommen", referierte Lars Landwehrkamp von der Price Waterhouse Unternehmensberatung GmbH in Stuttgart. Das Produkt könne die Anforderungen, die an eine moderne Standardsoftware gestellt würden, nicht erfüllen. Erwartet werde die Einhaltung von Standards, die Unterstützung von Client-Server-Architekturen und die Verwendung relationaler Datenbanktechnologie. Standardsoftware ohne eine grafische Benutzeroberfläche und ohne eine angemessene Software- Entwicklungsumgebung habe schon bald keine Marktchancen mehr. Landwehrkamp analysierte die Migrationsstrategien von SNI und kam zu dem Schluß, daß die Münchner mit der Verlagerung von Vertrieb und Support für die Produkte Comet, Comet-Pro und ALX auf in- und ausländische Werksvertretungen ein großes Risiko eingegangen seien.

Die Anwender erhielten jetzt neue Ansprechpartner, deren Umsatz deutlich unter dem der SNI AG liege und deren Überlebensfähigkeit keineswegs gesichert sei. "Was internationale Kunden angeht, ist das vielleicht schon der Todesstoß für ALX", orakelte der Consultant. Es sei schwierig, international agierende Werksvertretungen in einem einheitlichen Konzept zusammenzuschweißen.

Die Strategie von Siemens Nixdorf bestehe zunächst darin, Comet noch einmal für ein paar Jahre auferstehen zu lassen. Ende dieses Jahres werde mit Comet 3 eine einheitliche Version für Unix- und Quattro-Anwender freigegeben, die unter anderem eine komplett neue Fertigungssoftware beinhalte. "Diese Wiederauferstehung", so Landwehrkamp, "kommt allein daher, daß ALX und R/3 international und für Fertigungsunternehmen erst in etwa drei Jahren zur Verfügung stehen wird."

Während mit Comet und Comet-Pro der Kundenpark erhalten werden solle, seien die Produkte ALX und R/3 für die Akquise von Neukunden vorgesehen. Die Vertriebsbeauftragten von Siemens-Nixdorf entschieden jetzt anhand einer No-named-account- und Named-account-Liste, welcher Kunde so interessant sei, daß er von ihnen selbst betreut werden müsse, und welcher an die Werksvertretungen abgegeben werden könne.

Dieses Verfahren, so Lanwehrkamp, läuft darauf hinaus, daß von SNI solche Großkunden betreut werden, die sich für den R/3-Einsatz interessierten während die Werksvertreter Comet- oder ALX-Anwender mit weniger als 200 Mitarbeitern übernehmen.

Der Price-Waterhouse-Mitarbeiter skizzierte auch die Vor- und Nachteile einer Migration von Comet nach Comet-Pro, ALX oder R13. Für den Wechsel nach Comet-Pro spreche bei Anwendern, die mit der Funktionalität von Comet noch auskämen, das bessere Performance Verhalten einer Unix-RISC-Maschine und die Möglichkeit, parallel zum Comet-Einsatz Know-how im Unix- und Datenbankumfeld aufzubauen. Dieser Weg sei aber riskant, weil nicht garantiert werden könne, ob es künftig noch genügend Softwarehäuser gebe, die dieses veraltete Produkt langfristig betreuen wolleten.

Anwender, die mit einer "Großhandelsfunktionalität" auskommen, sind nach Einschätzung des Beraters mit ALX gut bedient. Bis heute seien nämlich eine "sehr gute Finanzbuchhaltung" sowie weniger überzeugende Grundversionen von Auftragsbearbeitung und Materialwirtschaft verfügbar. Auf ein Kostenrechnungs- und PPS-Modul müsse der Anwender noch gänzlich verzichten. Siemens-Nixdorf, so berichtet Landwehrkamp, habe die Strategie vor kurzem geändert und wolle nun entsprechende Unix Produkte von andern Softwarehäusern in ALX einbinden. Da aber die Oberflächen einander angepaßt werden müßten, werde es noch lange dauern, bis eine komplette ALX-Software verfügbar sei.

Auch R/3 könne gegenwärtig nur zum Teil die Funktionalität von Comet abdecken. Verfügbar seien die Module, die es auch für ALX gebe allerdings mit einer besseren Funktionalität. PPS-, Kostenrechnungs- und Betriebsdatenerfassungs-Module fehlten, dafür seien aber Materialwirtschaft und Vertrieb viel weiter entwickelt als die vergleichbaren Produkte im ALX Umfeld. Als Argument könne außerdem die Entwicklungsumgebung Abap/4 gelten, für die der Arbeitsmarkt inzwischen auch qualifiziertes Personal bereitstelle.

Zweifel hegt der Berater daran, daß die R/3-Software wirklich mittelstandsgerecht sein wird.

"Ich glaube, daß die SAP AG es ihren Großkunden schuldig ist, sie zuerst zu bedienen", vermutet Landwehrkamp. Erst von einem gesicherten Großkundenbestand aus werde SAP darangehen, sich den Mittelstand zu sichern. Typische Eigenschaften, die für eine Bedienung des Mittelstandes erforderlich seien dazu zahlen Flexibilität, Customizing und niedrige Installationskosten kann SAP nach Ansicht des Beraters noch nicht bieten. Comet-Anwender erwarteten aber eine einfach handhabbare mittelstandsgerechte Software.

"Harter Wechsel bei Carl Zeiss in Oberkochen

Welche Konsequenzen Comet-Benutzer aus der gegenwärtigen Softwaremisere ziehen, macht das Beispiel der Firma Carl Zeiss in Oberkochen deutlich. DV-Leiter Eberhard Haag monierte in seinem Vertrag: "Die SNI-Strategie zeichnet heute keinen gangbaren Weg ohne einen harten Wechsel zu neuen Systemen vor. Deshalb habe sich sein Unternehmen, das bei einem Exportanteil von 63 Prozent und mit Vertretungen in mehr als 70 Ländern auf einen funktionierenden weltweiten Informations- und Datenfluß angewiesen sei, für eben diesen "harten Wechsel" entschieden. Plattform der Wahl war dabei die IBM-Midrange-Maschine AS/400, auf der künftig weltweit Standardsoftware des in Frankfurt ansässigen Anbieters J.D. Edwards laufen wird.

Die Vorteile der "Altsysteme" von SNI will Haag nicht in Abrede stellen. Sie seien preisgünstig, da sie in der Regel schon längst vollständig abgeschrieben wurden. Außerdem genieße Zeiss den Vorteil, schon heute in nahezu allen Vertriebsgesellschaften weltweit mit derselben Standardsoftware zu arbeiten.

Trotzdem seien die schwerwiegenden funktionalen Defizite der Comet-Software - je nach Geschäftstyp in unterschiedlicher Form nicht mehr tragbar. Vor allem im Hinblick auf Integration und Vernetzung, so Haag, reiche die Software kaum aus.

Dezentrale Lösungen für Marketing, Vertrieb und Logistik ließen sich mit Comet nicht realisieren. Weil zudem die Dienstleistungen, die SNI zuletzt in einigen Ländern geboten habe, indiskutabel gewesen seien, bereite die Trennung vom Münchner DV-Konzern nicht gerade Schmerzen.

Die proprietäre Umgebung von IBM erhielt bei Zeiss den Vorzug vor allen anderen Lösungen, weil es unter Unix angeblich keine angemessene Alternative gab. Das Unternehmen habe die Möglichkeit geprüft, in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Unix-Rechner zu installieren und mit einer einheitlichen Standardsoftware auszustatten.

Fehlende Kompatibilität der Unix Systeme, das noch geringe Angebot an weltweit einheitlichen Standardsoftware Paketen und der hohe Pflegeaufwand hätten aber dann den Ausschlag gegeben, die Unix- Pläne wieder zu begraben. Wie alle anderen seien auch die Unix-Produkte von Siemens-Nixdorf keine Alternative gewesen: Sowohl ALX als auch R/3 kämen für einen stabilen weltweiten Einsatz nicht vor 1995 in Frage.

Daß der Umstieg in eine AS/400-Umgebung nur eine Übergangslösung sein kann, machte ein kritischer Zuhörer in der anschließenden Diskussion deutlich.

Es handle sich um eine proprietäre Plattform, die die von Landwehrkamp angeführten Voraussetzungen einer modernen Standardsoftware-Umgebung nicht erfüllten. Haag räumte ein, daß er auf die AS/400- Lösung nur in Ermangelung angemessener Alternativen zurückgegriffen habe.