Vor dem Hintergrund der Umrüstung von traditionellen Terminals auf Mikrocomputer:Siemens bei Schnittstellen auf Slalomkurs

19.10.1984

MÜNCHEN - In arge Bedrängnis geraten ist derzeit die Münchener Siemens AG beim Thema BAM (Bitserieller Anschluß für Mehrfachsteuerungen): Die Anwender drängen seit längerer Zeit auf die Offenlegung dieser Siemens-internen Schnittstelle, andererseits täte sich - gesetzt den Fall, die BAM-Informationen wären auch für die kommerzielle Nutzung verfügbar - erstmals auch für kompatible Mitbewerber ein reiches Betätigungsfeld auf. Lukrativ erscheinen vor allem Mikrocomputer mit BAM-Schnittstelle als Ersatz für die traditionellen Terminals. Allerdings: Die Konkurrenz entwickelt die BAM-Schnittstelle nicht für die Siemens-eigenen Mikros 9780 und 9781. sondern für IBM- und IBM-kompatibles Gerät.

In Anwenderkreisen und speziell bei den beiden Siemens-User-Groups drängt man seit langem auf eine freizügigere Haltung bei der Offenlegung von BAM-Informationen die bei der allgemeinen Schnittstellenfreigabe-Vereinbarung zwischen Siemens und den beiden Anwenderkreisen "Wasco" und "Scout" ausdrücklich ausgenommen sind. Auf Unverständnis trifft die Zurückhaltung der Münchener vor allem, seit sie in einer Stellungnahme bei der COMPUTERWOCHE die Vereinbarungen zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und IBM begrüßt und sich ausdrücklich zu einer Politik der Offenlegung von Schnittstellen bekannt haben. (Anmerkung der Redaktion: Patentrechtliche Verfahren der IBM sind allerdings nicht Gegenstand der Vereinbarung zwischen Brüssel und Armonk.)

Auf der letzten Wasco-Tagung in Konstanz suchte Siemens nun wenigstens diesen Vorwurf der Inkonsequenz auszuräumen. In einer Fünf-Punkte-Vereinbarung, deren juristische Details in den nächsten Wochen noch ausgehandelt werden sollen, erklärten sich die Münchener bereit, ihren Kunden Informationen über die BAM-Schnittstelle für eigene Entwicklungen zur Verfügung zu stellen, allerdings unter der Maßgabe, diese nicht an Dritte oder kommerzielle Anbieter weiterzugeben.

Während die in Wasco zusammengeschlossenen User - vor allem Universitäten und Behörden - sich offenbar mit dem Kompromißangebot zufriedengeben, sieht die Interessenlage der kommerziellen Siemens-Anwender von Wasco und auch von Scout anders aus. Sie wollen oder können sich keine kostspieligen Eigenentwicklungen in Sachen BAM leisten, sondern erwarten kostengünstige Lösungen und ein ausgewogenes Preis/Leistungs-Verhältnis der am Markt verfügbaren Produkte seien diese nun von Siemens oder von der Konkurrenz, auch wenn die Münchener Patentrechte an BAM geltend machen und die Frage, inwieweit Mitbewerber diese Schnittstelle überhaupt in Produktentwicklungen verwenden dürfen, wohl noch nicht ganz ausgestanden ist.

Ungeachtet dessen gibt es in speziellen Marktsegmenten wie zum Beispiel bei Matrixdruckern bereits konkurrierende Produkte mit BAM-Schnittstelle, auf die die Anwender ausweichen können und in Einzelfällen auch schon getan haben. Meint Clemens Keil, DV-Leiter der Klein, Schanzlin und Becker in Frankenthal: "Wir hatten drei Gründe, warum wir nicht auf das Siemens-Modell 9003 zurückgegriffen haben, sondern auf den Drucker eines kompatiblen Anbieters. Die Druckqualität der Münchener war nicht marktgerecht, die Lieferzeit in der Größenordnung von einem dreiviertel Jahr lag jenseits von Gut und Böse, und schließlich erschien uns auch der Preis überhöht."

Bedeuten Drucker mit BAM-Schnittstelle für Siemens noch keine Gefahr, so sieht es im Hinblick auf das Terminalgeschäft, vor allem aber vor dem Hintergrund, daß die traditionellen Datenstationen allmählich durch Mikrocomputer abgelöst werden, wesentlich anders aus. Die überwiegende Mehrzahl der heutigen Terminals sind über die BAM-Prozedur an die Siemens-Zentraleinheiten angebunden. Die in den nächsten Jahren zu erwartende Umrüstung wirft aber nach Meinung vieler Anwender für die Münchener erhebliche Probleme auf: Die Umstrukturierung des Konzerns am 1. April dieses Jahres habe zwar

eine organisatorische Zusammenfassung der Unternehmensbereiche Kommunikationstechnik (K) und Datentechnik (D) gebracht, noch nicht dagegen eine Verknüpfung der Produktspektren von K und D. Da die verschiedenen Bereiche jahrelang praktisch parallele Produkte entwickelt hätten, herrsche auch innerhalb des Hauses Inkompatibilität. Zum Beispiel paßten die in D entwickelte BAM-Prozedur und der 9780-Einplatzmikro vom Prinzip her nicht, es sei denn, man würde aus dem 9780 eine Mehrfachsteuerung mit direktem Anschluß an einen Multiplexkanal machen. Dies aber sei unwahrscheinlich.

Nutznießer dieser hausgemachten Malaise bei Siemens sind jetzt, wie es scheint, zum einen kleine Firmen und zum anderen - mindestens indirekt - auch Marktführer IBM. Da zwischen den Terminals mit BAM-Prozedur und den Siemens-eigenen Kleinrechnern Welten liegen, andererseits das Ablösegeschäft recht lukrativ zu werden verspricht, richten sich Entwickler an Universitäten und kleinen Unternehmen mehr und mehr darauf ein, Geräte mit BAM-Schnittstelle zu realisieren. Dafür verwenden sie jedoch nicht die Isar-Mikros, sondern IBM- und IBM-kompatible Gerätschaft. Die Vorteile, die die BAM-Lösung nach Meinung von Siemens-Usern bisher im Vergleich zu Big Blue bei traditionellen Terminals hatte - nämlich Vierdraht-Telefonleitungen als Übertragungsmedium statt des teuren Koaxialkabels bei IBM sowie eine mit 230 KBit pro Sekunde hohe Übertragungsgeschwindigkeit - sind dann also auch über die Kleinrechner des Marktführers nutzbar.

Schließlich weist ein Wasco-Mitglied noch auf einen weiteren Punkt hin, der für die Münchener wohl kaum erwünscht sein könne: Mit Hilfe der BAM-Lösung sei es IBM sogar möglich, "das Großrechnergeschäft des Hauses Siemens anzuknabbern".