Eine inzwischen Vodafone gehörende Firma hat nach Recherchen mehrerer Medien dem britischen Geheimdienst GCHQ und seinem US-Partnerdienst NSA in großem Umfang beim Ausspähen des Datenverkehrs im Internet geholfen. Offenbar sei die Zusammenarbeit des Unternehmens Cable&Wireless Worldwide weit über das gesetzlich gebotene Maß hinaus gegangen, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" (Freitag). Das Blatt beruft sich auf bislang unveröffentlichte Dokumente aus dem Archiv des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, die "SZ", NDR, WDR und der britische Sender Channel 4 einsehen konnten.
So liste der Geheimdienst GCHQ in einem Dokument 2009 insgesamt 63 Untersee-Internetkabel auf, die er anzapfen konnte - bei 29 davon sei das fragliche Unternehmen als Abhörhelfer gelistet. Laut "Tagesschau.de" hatte der Geheimdienst dabei Zugriff auf knapp 7000 Gigabit pro Sekunde an Daten zu. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, kamen 2009 etwa 70 Prozent der ausgeleiteten Datenmengen über die heutige Vodafone-Tochter. Allein im Februar 2009 seien im Gegenzug für den Zugang sechs Millionen Pfund (rund 7,5 Millionen Euro) an das Unternehmen geflossen.
Der Tarnname des 2012 von Vodafone übernommenen Unternehmens lautete demnach offenbar "Gerontic". Kalendereinträge zeigten, dass es ein "gemeinsames Projektteam" von "Gerontic"-Mitarbeitern und Geheimdienstlern gegeben habe. Ein Geheimdienstmitarbeiter soll dabei als "integrierter Projektmitarbeiter" bei "Gerontic" garbeitet haben. Ein interner Bericht dokumentiere zudem, wie sich "Gerontic"-Mitarbeiter und Geheimdienstleute zu einer Besprechung "möglicher Einsatzrisiken" getroffen hätten.
Den Angaben zufolge erhielt der GCHQ mit Hilfe von Cable&Wireless Worldwide offenbar sogar Zugriff auf die Infrastrukturen anderer Firmen. Dabei soll das Unternehmen Metadaten wie etwa Performance-Statistiken der Router und Protokolle, welche Webseiten die Nutzer angesteuert haben, weitergegeben haben. Die abgezapften Daten seien von einem speziellen Programm mit Codenamen "Incenser" weiterverarbeitet worden. Dieses Programm soll demnach auch nach der Übernahme der Firma durch Vodafone bis mindestens April 2013 fortgeführt worden sein.
Die britische Firma Vodafone teilte dem Rechercheverbund dazu mit, man habe die Geschichte des aufgekauften Unternehmens erforscht und "keinerlei Hinweise" auf Aktivitäten gefunden, die den Gesetzen in Deutschland, Großbritannien und der EU widersprächen. In einigen Fällen sei es möglich, dass Regierungen Aufwandsentschädigungen für "gesetzeskonforme" Hilfsleistungen zahlten. Profit schlage Vodafone daraus aber nicht, hieß es. Vergangenes Jahr waren durch Snowden-Dokumente auch Kooperationen amerikanischer Branchenvertreter mit dem US-Dienst NSA publik geworden.
Laut "Tagesschau.de" hatte sich nach den Snowden-Enthüllungen auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für das Verhältnis zwischen den Mobilfunkbetreibern und den Geheimdiensten interessiert. Allein Vodafone habe laut BSI auf eine Anfrage keine zufriedenstellende Antwort erteilt. Die Selbstauskunft habe nicht ausschließen lassen, dass der Zugriff auf Metadaten oder SMS "in ausländische Rechtsräume" unterbleibe, berichtet "Tagesschau.de"
Snowden hatte vergangenes Jahr vertrauliche Unterlagen über die NSA und seine Partner an Journalisten weitergegeben. Damit brachte er die Enthüllungen über die weitreichenden Überwachungsprogramme der Nachrichtendienste ins Rollen. Die USA wollen den ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeiter wegen Geheimnisverrats vor Gericht stellen. Snowden hat mittlerweile eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre in Russland. Am Sonntag soll Snowden mit dem Stuttgarter Friedenspreis ausgezeichnet werden. Per Video soll er dazu aus Russland zur Preisverleihung zugeschaltet werden. (dpa/tc)
- Das kleine ABC der NSA-Affäre
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat ein kleines ABC mit den wichtigsten Abkürzungen des NSA-Spionageskandals zusammengestellt... - A - Abhören
Damit hat die für Deutschland wohl schmerzlichste Enthüllung zu tun - Kanzlerin Angela Merkel wurde offenbar über Jahre vom US-Geheimdienst NSA abgehört. - B - Backbone
So werden die Leitungen genannt, die Server und Netze miteinander verbinden. Sie sind das Rückgrat des Internets, wie der englische Begriff schon sagt. NSA und GCHQ zapfen sie direkt an. - C - Codenamen
Mit dem NSA-Skandal kam auch die Flut der Abkürzungen. Allein die Namen der Datenbanken und Programme haben es in sich. Neben PRISM oder XKEYSCORE gibt es noch DEWSWEEPER, BLACKHEART, ANCHORY, PINWHALE, SCISSORS, PRINTAURA oder BOUNDLESS INFORMANT. - D - "Doritos"
Tortilla-Chips, die der NSA-Enthüller Edward Snowden in seinem Asyl in Moskau vermisst. Deutsche Besucher um den Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele brachten ihm im Herbst welche mit. - E - Echelon
Der Vorreiter heutiger Überwachungs-Infrastrurtur. Das System mit dem Codenamen Echelon sollte seit den 60er Jahren die Kommunikation des Ostblocks im Auge behalten. Mit der Zeit wurde es auf Satelliten-Kommunikation fokussiert. - F - Five Eyes
Allianz der Geheimdienste der USA, Großbritanniens, Kanadas, Neuseelands und Australiens. Die Mitglieder tauschen Informationen aus und spionieren sich nicht gegenseitig aus. - G - GCHQ
Der Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) war in der Öffentlichkeit bis zu diesem Sommer weitgehend unbekannt. Jetzt weiß man, dass die Briten sogar noch besser im Anzapfen von Glasfaser-Leitungen sein sollen das das US-Pendant NSA. - H - Hawaii
Wenn der Name der Insel fällt, denkt man eher ans Surfen, denn an Geheimdienst-Arbeit. Auf Hawaii liegt aber eine wichtige Basis der NSA, in der auch Edward Snowden bis zu seiner Flucht mit tausenden Dokumenten arbeitete. - I - Informant
Er sei kein Überläufer und kein Verräter, sondern ein Whistleblower (Informant), der ein gesetzwidriges Vorgehen der Behörden stoppen wollte, betont Snowden. Die US-Behörden sehen das anders und wollen, dass Russland ihn aushändigt. - J - Journalist
Der Reporter Glenn Greenwald wurde weltberühmt, weil Snowden ihn als Partner bei der Veröffentlichung der NSA-Papiere aussuchte. Inzwischen verließ er seinen Job beim britischen "Guardian" und baut eine neue Medien-Organisation auf. - K - Konsequenzen
Die Folgen der Enthüllungen sind noch immer nicht absehbar. Europa setzt auf noch mehr Datenschutz, Nutzer sind misstrauischer gegenüber Online-Diensten aus Amerika geworden. - L - Lügen
Wenn er erfahren wolle, was Angela Merkel denkt, frage er sie einfach, sagte Präsident Barack Obama im Sommer. Später kam heraus, dass die NSA Merkels Handys wohl über Jahre abgehört hatte. Auch über 30 andere ranghohe Politiker können sich hintergangen fühlen. - M - MUSCULAR
Eines der NSA-Programme, das für den lautesten Eklat gesorgt hatte. Den Enthüllungen zufolge wurden dabei Daten direkt zwischen den Rechenzentren von Google und Yahoo abgeschöpft. Die Unternehmen kontern jetzt mit Verschlüsselung. - N - NSA
Die National Security Agency wurde bereits in den 50er Jahren gegründet. Ein vorrangiges Ziel war damals, fremde Verschlüsselung zu knacken und die eigenen Krypto-Systeme sicherer zu machen. - O - Offenbarung
Das Ausmaß, in dem die NSA die Daten aus dem Internet abschöpfen kann, schockierte selbst mit allen Wassern gewaschene Experten. "Es ist eine Dimension, mit der wir nicht gerechnet haben", sagte etwa der russische Virenjäger Eugene Kaspersky. - P - PRISM
Der nun mit Abstand bekannteste Name eines NSA-Programms. PRISM dient dazu, Daten von Internet-Konzernen wie Google, Yahoo, Microsoft oder Facebook zu bekommen. Die Firmen betonen, sie rückten Daten nur in Einzelfällen auf Gerichtsbeschluss heraus. - Q - Quellen
In der neuen Welt der weiträumigen NSA-Überwachung kann im Gegensatz zur früheren gezielten Spionage jeder eine Quelle sein. Computer erkennen Muster in der Flut von Daten aus allen Bereichen. - R - Russland
Der einstige zweite Supermacht neben den USA spielt eine wichtige Rolle in der Snowden-Affäre. Schon in Hongkong soll er sich im russischen Konsulat versteckt haben, später bekam er von Moskau Asyl für ein Jahr, nachdem er am Flughafen gestrandet war. - S - Safe Harbor
Das Safe-Harbor-Abkommen zwischen der EU und den USA besagt unter anderem, dass sich amerikanische Internet-Firmen zur Einhaltung bestimmter Datenschutz-Standards verpflichten. Nach den Enthüllungen werden Forderungen lauter, es neu zu verhandeln. - T - Tempora
Das Programm des britischen Geheimdiensts GCHQ zum Anzapfen von Glasfaser-Leitungen. Es soll die Fähigkeit haben, die richtigen Datenpakete aus dem Strom an Informationen herauszufiltern, der zum Beispiel über transatlantische Kabel geht. - U - US-Bürger
Sind grundsätzlich für die NSA tabu. Laut Medienberichten wurden ihre Daten aber trotz aller Vorkehrungen immer wieder als Beifang eingesogen. Und möglicherweise war die Kooperation mit der britischen GCHQ ein Umweg, um an Daten von US-Bürger zu kommen. - V - Verschlüsselung
Nach bisherigem Wissen ist komplexe Verschlüsselung immer noch ein Problem für die NSA. Entsprechend gibt es eine Bewegung, möglichst viele Daten nur noch verschlüsselt zu verschicken. Das ist allerdings im Alltag weniger bequem. - W - Wikileaks
Die Enthüllungsplattform ist auch im Fall Snowden aktiv. Sarah Harrison, eine Vertraute des Wikileaks-Gründers Julian Assange, begleitete Snowden monatelang auf dem Weg von Hongkong nach Moskau. - X - XKeyscore
Das System ist ein Kernelement der NSA-Infrastruktur. Es dient dazu, die gesammelten Daten über Zielpersonen aus verschiedenen Datenbanken zu heben und auszuwerten. - Y - Yahoo
Neben anderen Internet-Schwergewichten wie Google und Microsoft ist der Online-Pionier in den Strudel des Skandals geraten. Das geschwächte Vertrauen der Kunden könnten dem Geschäft der Firmen auf Dauer schaden. - Z - Zerwürfnis
Die Enthüllungen haben das Verhältnis von Europa und den USA schwer belastet. Vertrauen müsse wieder neu aufgebaut werden, sagte zum Beispiel Kanzlerin Angela Merkel. Es gab auch Vorschläge, die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA auszusetzen.