Von Pierer hinterlässt Baustellen

15.11.2004
Der Wechsel an der Siemens-Spitze gilt allgemein als gelungener Übergang. In der ITK-Sparte des Konzerns erbt Heinrich von Pierers Nachfolger Klaus Kleinfeld jedoch eine Menge ungelöster Probleme.

Von Pierer nutzte vergangene Woche die letzte Jahrespressekonferenz seiner insgesamt 13-jährigen Amtsperiode als Vorstandsvorsitzender, um sich mit einer insgesamt guten Bilanz zu verabschieden. Der Konzerngewinn nach Steuern stieg im abgelaufenen Geschäftsjahr 2004 (Ende: 30. September) gegenüber dem Vorjahr um 39 Prozent von 2,44 auf 3,40 Milliarden Euro, der Umsatz verbesserte sich um ein Prozent auf 75,16 Milliarden Euro. Der Siemens-Chef sprach deshalb in der Summe von einem "sehr erfolgreichen Geschäftsjahr".

Gleichzeitig machte von Pierer kein Hehl aus der anhaltenden Schwäche einzelner Konzernsparten. So müsse etwa das defizitäre Handy-Geschäft in absehbarer Zeit den Beweis antreten, dass man "dort die Kapitalkosten verdienen kann". Ansonsten seien Maßnahmen wie "die Schließung, der Verkauf oder die Einbringung in ein Joint Venture" unabdingbar. Ähnlich äußerte sich der Siemens-Chef auch zum IT-Dienstleister Siemens Business Services (SBS). Man sei "mit den Zahlen unzufrieden - aber noch nicht zu endgültigen Schlüssen gekommen". Die Dinge befänden sich "in der Evaluierung", betonte von Pierer mit Blick auf Sanierungspläne, mit deren Erarbeitung der zuständige Bereichsvorstand Adrian von Hammerstein beauftragt wurde.

Angesichts der jetzt veröffentlichten Zahlen scheint der Handlungsbedarf dringender denn je zu sein. Im Geschäftsjahr 2004 fiel der Umsatz von SBS im Vorjahresvergleich um neun Prozent von 5,20 auf 4,72 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis betrug 40 Millionen Euro gegenüber 13 Millionen Euro - allerdings nur aufgrund von Sondererlösen, die aus dem Verkauf von knapp 75 Prozent der Anteile der auf Bankensoftware spezialisierten Tochter Kordoba an das US-amerikanische Unternehmen Fidelity National Finance (FIS) anfielen.

SBS hat ein Umsatzproblem

Wie problematisch sich beim Münchner IT-Dienstleister die Lage darstellt, zeigt der Blick auf das vierte Quartal, in dem die Einnahmen gegenüber der Vorjahresperiode um fünf Prozent von rund 1,32 auf 1,25 Milliarden Euro zurückgingen. Dabei konnte zwar der Verlust von 41 auf 28 Millionen Euro reduziert werden - entscheidend ist aber, dass der Umsatz erneut rückläufig war, nachdem bereits im dritten Quartal die Einnahmen um elf Prozent eingebrochen waren.

Unter dem Strich schloss SBS das letzte Geschäftsjahr mit einer Ergebnismarge von 0,8 Prozent ab, für das Schlussquartal beträgt die Umsatzrendite sogar minus 2,2 Prozent. Damit ist diese Sparte meilenweit vom vorgegebenen Margenziel zwischen fünf und sechs Prozent entfernt. Offiziell wurden die schlechten Zahlen einmal mehr mit dem "rückläufigen Markt für IT-Lösungen vor allem in Deutschland" begründet. Viele Experten, unter anderem Katharina Grimme, Direktorin der deutschen Dependance der britischen Marktforschungsgesellschaft Ovum, vertreten indes die Auffassung, dass SBS seine unbefriedigenden Ergebnisse nicht mehr länger nur auf die schwache Performance des Marktes zurückführen kann. Das Unternehmen müsse sich trotz in den letzten Wochen bekannt gewordener Abschlüsse mehrerer großer Outsourcing-Projekte auch "intern auf den Prüfstand stellen", so Grimme.

Ähnlich schwierig gestaltet sich die Situation im erwähnten Handy-Geschäft. Die Sparte Mobile Phones schrieb allein im vierten Quartal einen Verlust von 141 Millionen Euro - ein Umstand, den Konzernchef von Pierer hauptsächlich auf einen Softwarefehler der neuen 65er-Serie sowie der damit verbundenen verspäteten Markteinführung der Geräte zurückführte. Außerdem konnten die ursprünglichen Preisvorstellungen "nicht realisiert werden", hieß es vielsagend. Der durchschnittliche Verkaufspreis pro Handy fiel im abgelaufenen Geschäftsjahr um 16 Prozent auf 99 Euro. Insofern half es den Münchnern wenig, dass sie mit 51,1 Millionen Stück deutlich mehr Mobiltelefone verkaufen konnten als im Vorjahr (39,1 Millionen).

Mobilfunknetze florieren

Insgesamt kam der Konzernbereich Information and Communication Mobile (ICM) im abgelaufenen Geschäftsjahr auf Einnahmen von 11,04 Milliarden Euro, was gegenüber dem Fiskaljahr 2003 ein Plus von elf Prozent bedeutet. Den operativen Profit konnte diese Sparte um 93 Prozent von 180 auf 347 Millionen Euro steigern, was jedoch ausschließlich auf das wieder gut laufende Geschäft mit Netzinfrastruktur für Mobilfunkbetreiber zurückzuführen ist. Hier blieb bei einem Umsatz von 4,98 Milliarden Euro ein Ergebnis von 396 Millionen Euro übrig, während das Geschäftsgebiet Mobile Phones das Fiskaljahr bei Einnahmen von ebenfalls 4,98 Milliarden Euro mit einem Verlust von 152 Millionen Euro abschloss.

Die in den letzten Jahren besonders unter der Marktflaute leidende Sparte Information and Communication Networks (ICN), in der Siemens das Geschäft mit Carrier- und Firmennetzen gebündelt hat, wies indes Unternehmensangaben zufolge in allen vier Quartalen des abgelaufenen Geschäftsjahres ein positives Ergebnis aus und kam insgesamt auf einen Gewinn von 222 Millionen Euro, nachdem im Vorjahr noch - hauptsächlich bedingt durch Restrukturierungsaufwendungen - ein Verlust von 366 Millionen Euro bilanziert werden musste. Der Umsatz war hier mit 6,99 (7,12) Milliarden Euro leicht rückläufig.

Für die Annahme, dass bei den Münchnern bald mit strategischen Entscheidungen beim Umbau der ITK-Sparten zu rechnen ist, spricht auch die Tatsache, dass es von Pierer tunlichst vermied, bezüglich des Gesamtkonzerns eine Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr abzugeben. Der neue Bereich Communications, in dem die Geschäftsgebiete ICN und ICM seit dem 1. Oktober zusammengefasst sind, trage rund 25 Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei, wurde dies offiziell begründet. Spartenchef Lothar Pauly lege erst Ende Dezember/Anfang Januar ein fertiges Budget vor, hieß es weiter. Beobachter werteten dies als Beleg dafür, dass von Pierer den Start etwaiger einschneidender Maßnahmen seinem Nachfolger Klaus Kleinfeld überlässt, der das Amt des CEO am 27. Januar nach der ordentlichen Hauptversammlung übernehmen soll. Allgemein verdichten sich jedoch die Spekulationen dahingehend, dass Siemens sein Handy-Geschäft in ein Joint Venture einbringen wird - notfalls auch als Juniorpartner. Bei SBS gehen Insider davon aus, dass sich an der Position des IT-Dienstleisters innerhalb des Konzerns nichts Wesentliches ändern wird. SBS-Chef von Hammerstein dürfte jedoch Branchenkennern zufolge unter Umständen gezwungen sein, einen weiteren Personalabbau vorzunehmen.