Thema der Woche

Von Nixdorf bleiben nur die Kassensysteme

01.05.1998

Aufstieg und Fall des ostwestfälischen Imperiums waren direkt mit der Person Heinz Nixdorfs verbunden, der 1986 unerwartet starb. Der Manager war mit Auszeichnungen überhäuft worden, weil es ihm gelang, mit Systemen der mittleren Datentechnik (MDT) und einem der ersten wirklich erfolgreichen Anwendungssoftware-Produkte in die Phalanx der großen IT-Anbieter einzubrechen. Nixdorf war die deutsche und europäische Antwort auf die Versuche amerikanischer und japanischer Hersteller, den Markt unter sich aufzuteilen.

Bereits 1988, im zweiten Jahr nach Nixdorfs Tod, schrieben die Paderborner jedoch ein operatives Minus von 70 Millionen Mark. Ein Jahr später hatte sich das Defizit bereits auf fast eine halbe Milliarde Mark aufgetürmt. Den Zusammenbruch allein Nixdorfs Nachfolger, dem eher blassen und wenig entscheidungsfreudigen Klaus Luft zuzuschreiben wäre zu einfach. Tatsächlich waren noch in der Amtszeit des Firmengründers die Weichen falsch gestellt worden.

Zu lange hielt Nixdorf an der bereits 1975 ins Leben gerufenen Rechnerlinie "8870" fest, die immer weiterentwickelt wurde und noch 1987 an der Spitze der Verkaufsliste des Unternehmens stand. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehr als eine halbe Million Rechner dieser Kategorie abgesetzt worden. Doch längst hatte die IBM die Herausforderung angenommen und war in den Markt für Small Business Systems vorgestoßen. Mit den Modellen /34, /36 und /38 nahm Big Blue den Westdeutschen Marktanteile weg.

Der Ehrgeiz von Heinz Nixdorf, in möglichst allen Märkten mit der IBM mithalten zu wollen, führte schließlich in den Ruin. Im Bereich der Großrechner hatte das Unternehmen nichts anzubieten. Diese große Lücke wollte Nixdorf unbedingt schließen. Er ignorierte die Dominanz der IBM in diesem Markt und beschloß statt dessen, selbst Mainframes anzubieten, um die gesamte IT-Palette in Unternehmen abdecken zu können. Kostspielige Kooperationen zur Entwicklung von Großrechnern, etwa mit AEG-Telefunken und Amdahl, verliefen jedoch bald im Sande.

Erst im Mai 1980 schienen die Paderborner mit der Übernahme des US-Softwarehauses TCSC ein Konzept gefunden zu haben. Mit dessen IBM-kompatiblen Betriebssystemen und der Hardware, die der israelische Minicomputerhersteller Elbit beisteuerte, sollte der Kampf gegen IBMs /360, /370 und 43xx-Modellreihen aufgenommen werden. Nur wenige 8870-Kunden, die mehr Rechnerleistung benötigten, ließen sich auf die 8890 ein. Ansonsten verlief das Geschäft so desaströs, daß Nixdorf die Rechnerreihe 1989 einstellte.

Verstrickt in verzweifelte Kämpfe mit dem übermächtigen Mainframe-Konkurrenten, machte Nixdorf schließlich den wohl verhängnisvollsten Fehler: In den 80er Jahren wurde versäumt, in ausreichender Weise auf den Durchbruch des PCs zu reagieren. Natürlich hatte Nixdorf auch für diesen Markt Lösungen parat, doch das gute Image, das er durch seine Erfolge im Geschäft mit mittlerer Datentechnik aufgebaut hatte, nutzte ihm im Mikromarkt nichts. Diesen hatten Ende der 80er Jahre IBM, Siemens und Compaq zu einem Gutteil unter sich aufgeteilt. Für Nixdorf blieben nur Brosamen.

Die Paderborner standen Ende der 80er Jahre mit dem Rücken zur Wand. Vielen erschien es als Erlösung, daß sich die Siemens AG zur Verschmelzung von Nixdorf mit dem Unternehmensbereich Daten- und Informationstechnik (DI) entschloß. Die Rechnung war simpel: Siemens würde seine Stärke im Großrechnermarkt ausspielen, Nixdorf seine Dominanz im Midrange-Segment - und schon wäre der IT-Allrounder geboren.

Nixdorf hatte endlich die gewünschte Präsenz im Mainframe-Business vorzuweisen, Siemens konnte sich des bisher völlig vernachlässigten Mittelstands annehmen. So warb denn auch die neugegründete Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG mit dem Slogan "Synergy at work" - ein Spruch, der von den SNI-Mitarbeitern angesichts der mehreren tausend Entlassungen, die nun folgen sollten, nicht sonderlich geschätzt wurde.

In den ersten Jahren nach der Vereinigung liefen der SNI die Nixdorf-Kunden in Scharen davon. Sie beklagten Orientierungslosigkeit, was die Zukunft ihrer Anwendungssoftware "Comet" anging, sowie einen immer schlechter werdenden Support. Unklar war, wie lange Software- und Hardwareprodukte noch gepflegt würden und welche Migrationsstrategie SNI empfehlen würde.

Anstatt auf Kundenwünsche einzugehen, reagierte SNI nun mit juristischen Zwangsmaßnahmen: Anwender sollten per Gerichtsbeschluß gehindert werden, ihre Comet-Software auf die Unix-Plattform eines anderen Herstellers mitzunehmen. Dabei hatte SNI selbst erst sehr spät und nur halbherzig damit begonnen, seine eigene Unix-Version für die Comet-Klientel offenzulegen.

Das Projekt ALX verlief im Sande

Mitte 1991, so versprach SNI seinen Kunden, würde die Unix-Software "ALX" angeboten, deren Entwicklung bereits bei Nixdorf unter dem Codenamen "Alexander" begonnen hatte. Die Kunden wurden immer wieder vertröstet, erst im Juli 1992 waren Teile des Produktes fertig. Die erwartete Komponente für Produktionsplanung und-steuerung ließ auf sich warten.

Im Frühjahr 1993 kam das Produkt schließlich - allerdings hieß es nun "Triton" und stammte vom holländischen Anbieter Baan. Die Preise für das Paket ALX-Triton waren überhöht, es dauerte schließlich auch nicht lange, bis die Partnerschaft wieder aufgekündigt wurde.

Wirtschaftlich steckte SNI in den ersten Jahren tief in den roten Zahlen. Firmenchef Hans-Dieter Wiedig gelang es nicht, die Produktpalette zu bereinigen und eine tragfähige Strategie für das Unternehmen zu entwickeln. Ein Minus von 780 Millionen Mark stand im Geschäftsjahr 1990/91 zu Buche, im Jahr darauf gab es anstatt der prognostizierten Halbierung immer noch ein Defizit von 413 Millionen Mark. Auch in den folgenden Jahren blieb SNI trotz beträchtlichen Arbeitsplatzabbaus in den roten Zahlen. Die Ungeduld der Konzernmutter Siemens wuchs.

Schließlich mußte Wiedig seinen Platz für den ehemaligen ABB-Manager Gerhard Schulmeyer räumen, der sofort begann, sich von defizitären Produkten und Aktivitäten zu trennen.

Es folgten typische Business-Re-Engineering-Maßnahmen: Durchgängige Prozesse wurden definiert, saubere Schnittstellen zum Kunden geschaffen und das mittlere Management kräftig ausgesiebt. Schulmeyer ging es von Anfang an darum, jeden einzelnen Mitarbeiter an der Basis in die Pflicht zu nehmen, seine Autorität und Verantwortung zu stärken und seine Entscheidungsfreiheit zu erhöhen.

Im Geschäftsjahr 1994/95 gelang es tatsächlich, erstmals in der Geschichte des jungen Unternehmens einen schmalen Gewinn in Höhe von 23 Millionen Mark auszuweisen. Durch günstige Finanzierungsmöglichkeiten hatte der Mutterkonzern zu diesem Resultat beigetragen. Launig verkündete Schulmeyer: "Gegen diese Profitzahlen würde niemand sein Sparbuch eintauschen."

Dennoch zeigte sich, daß Umsatz- und Auftragsvolumen wieder kontinuierlich wuchsen, wenngleich Schulmeyer die einseitige Ausrichtung auf den deutschen Markt stets beklagte. Auch 1995/96 verbuchte SNI einen bescheidenen Gewinn von 29 Millionen Mark, der allerdings ohne Sonderbelastungen deutlicher ausgefallen wäre. Im vergangenen Geschäftsjahr schließlich wartete Schulmeyer mit einem Nachsteuerprofit von 57 Millionen Mark auf und verwies stolz auf einen Umsatzzuwachs von 14 Prozent.

SNI lieferte über eine Million PCs aus (plus 39 Prozent), legte im Dienstleistungsgeschäft um 20 Prozent zu und verzeichnete bei zukunftsträchtigen Anwendungsfeldern wie Electronic Commerce, Intranet und Internet-Services einen Zuwachs von 29 Prozent. In den meisten, zweifellos guten Zahlen spiegelt sich jedoch das Nixdorf-Erbe nicht wider.

Die Überreste des Comet-Produktes verkaufte SNI samt Anwenderbasis an die Softwareschmiede Baan. Insider schüttelten den Kopf darüber, daß ein Käufer das Risiko einging, diese so lange vernachlässigte Klientel zu betreuen - besonders angesichts der Tatsache, daß diese Anwender auf die Euro-Währung und das Jahr 2000 vorzubereiten sind.

Alles, was von Nixdorf übrigblieb, sind letztlich die Kassen- und Selbstbedienungssysteme, die nun allein den Kern der noch bestehenden Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG bilden sollen. Schulmeyers Erfolg beruht im wesentlichen darauf, daß er die Schäden aus der Nixdorf-Übernahme beseitigt und das IT-Geschäft von Siemens wieder dorthin gebracht hat, wo es war: in den Mutterkonzern.