ideenreiche existenzgründer arbeiten im internet

Von Himbeerkonfitüre und Gemüsemaultaschen

01.07.1999
Wer im Internet erfolgreich Handel treiben will, muß ausgefallene Ideen und viel Geduld haben - wie die Gebrüder Toellner.

von Gabriele Müller

Seit ihrem Schlaganfall fällt Else Müller das Tragen der voll-gepackten Einkaufstüten immer schwerer. Daß die 79jährige Stuttgarterin dennoch schnell und bequem an ihre gewünschten Lebensmittel kommt, dafür sorgen Sohn Bernd in Düsseldorf und "Onkel Emma" aus Stuttgart. Bei Else Müller klingelt das Service-Team von Christian und Gottfried Toellner an der Tür, der als "Onkel Emma" von der Himbeerkonfitüre bis zum Scheuerpulver alles liefert, was das Herz begehrt. Bestellen kann die alte Dame per Telefon und anhand eines Kataloges, der alle 1200 lieferbaren Produkte auflistet.

Ab und zu klickt sich auch Sohn Bernd von seinem Arbeitsplatz aus ins Internet und bestellt unter www.onkelemma.de eine kleine Überraschung für seine Mutter. Eine Ausnahme? "Nein, wir haben zum Beispiel eine Kundin in Zürich, die für eine ältere Verwandte hier in Stuttgart über das Netz Bestellungen aufgibt", weiß Christian Toellner.

Seit rund vier Jahren betreibt er mit seinem Bruder den Lieferservice, seit drei Jahren auch online. Was den Maschinenbauer ausgerechnet in den Lebensmittelhandel verschlagen hat? Natürlich sein Lebensmotto: "Wer als Letzter in die Sackgasse hineingeht, kommt als erster wieder heraus." Aber wahrscheinlich auch eine gehörige Portion schwäbischer Geschäftstüchtigkeit und jede Menge Pioniergeist. "Im Internet steckt doch eine sehr attraktive Zukunftstechnologie."

Während sich Bruder Gottfried um den herkömmlichen Versandhandel kümmert, ist das elektronische Bestellwesen die Domäne von Christian Toellner. Das ist, entgegen allen Vermutungen, für den Kunden keinesfalls teurer, als wenn er zum nächstbesten Supermarkt geht und sich mit Tüten und Paketen beladen wieder nach Hause schleppen muß. Das Geheimnis liegt in der Logistik: Im Gegensatz zur echten Tante Emma oder den Supermarktketten vor Ort muß die Firma Toellner keine teuren Mieten und Personalkosten aufbringen, setzt sie doch nur auf wenige Mitarbeiter und ein ausgefeiltes Know-how bei der Zustellung.

So kann, wer morgens seine Bestellung per E-Mail aufgibt, nachmittags schon mit der Lieferung rechnen. Und das tun immer mehr Stuttgarter. In drei Jahren erhofft man sich bereits einen Umsatz von mehreren hunderttausend Mark im Internet. Allerdings macht Onkel Emma heute erst rund fünf bis zehn Prozent seiner Umsätze im Netz. "Zugegeben, noch nicht die ganz große Masse der Bestellungen", räumt Christian Toellner ein. "Aber schließlich steckt das Medium ja noch in den Anfängen." Über das Web kommen vor allem Selbständige, Senioren, Arztpraxen, Kanzleien und Bürogemeinschaften.

"UEFA-Freßpaket" per Internet

Noch gilt, daß die Internet-Bestellungen mehr von den Jüngeren und denen eingehen, die das Netz ohnehin beruflich und privat nutzen. Aber das ändert sich, wenn auch langsam. Christian Toellner: "Klar, nur von den Bestellungen per Mausklick könnten wir nicht leben. Aber das erwarten wir ja auch gar nicht."

Die Brüder tun einiges, um für ihren virtuellen "Onkel-Emma"-Laden zu werben. Direkte Mailings, Flyer, Kataloge oder Anzeigen weisen auf das zweifache Angebot hin. Die Kunden, die den Online-Service nutzen, dürfen sich auch über besondere Angebote wie das UEFA-Package für einen langen Fußballabend oder das Tête-à-Tête-Package mit Sekt, Rose und Erdbeeren freuen. Wer will, bei hereinbrechenden Katastrophen Hilfe anfordern: "Wenn plötzlich eine größere Gesellschaft von Vegetarieren mit Gemüsemaultaschen beköstigt werden muß, dann schaffen wir auch das", garantiert Christian Toellner.

Mittlerweile nutzten immer mehr Verbraucher das Netz ganz selbstverständlich, um alltägliche Dinge zu erledigen. Das bedeutet für die Designer der Web-Seiten aber auch, das Angebot dem Surfer so einfach und übersichtlich wie möglich zu präsentieren. Dazu haben sich die beiden Schwaben professionelle Verstärkung geholt. Sie vertrauten ihren Auftritt der Firma Viser Systemintegration aus Stuttgart an, die sich auf die Realisierung von E-Commerce-Lösungen spezialisiert hat.

Der virtuelle Einkaufswagen

"Bei einem so großen Angebot ist es wichtig, daß eine klare Gestaltung das Einkaufen leicht macht", erklärt Viser-Experte Tim Schneider. Es gibt eindeutige Symbole für die verschiedenen Bereiche des Angebots und eine übersichtliche Gliederung in Kategorien. Dazu kommt eine musikalische Berieselung wie im echten Supermarkt, die dem User nicht aufgezwungen wird, sondern per Klick ausgeschaltet werden kann.

Ein Klick auf die Rubrik "Frühstück, Kaffee und Co" kann höchstens deshalb für Ratlosigkeit sorgen, weil die Entscheidung zwischen Stachelbeer-, Gartenfrucht- oder Aprikosenkonfitüre ansteht. Ein Blick auf die Mengenangabe, ein Klick auf den Warenkorb und schon liegen alle drei im virtuellen Einkaufswagen. Lieferadresse eingegeben und es kann losgehen. Per E-Mail kommt noch die Bestätigung der Bestellung und dann klingelt es an der Tür: Geordert wird überwiegend das Trockensortiment, aber zu rund einem Viertel auch Frischwaren, die in recycelbaren Kisten oder Kühlbehältern ins Haus gebracht werden. Kostenlos, aber im Moment nur in Stuttgart und im Umkreis von 20 Kilometern.

Aber vielleicht nicht mehr lange. Denn schon planen die beiden E-Commerce-Pioniere reale Niederlassungen in anderen Bundesländern im Franchise-System. Und der virtuelle "Onkel Emma"? "Wir werden inzwischen zum Teil schon von anderen Internet-Shops kopiert", freuen sich die beiden Toellners. "Das zeigt doch, daß wir auf dem richtigen Weg sind, oder?"