Windows NT

Von Groupies und unsicheren Kantonisten

31.07.1998

Mit Argusaugen wachen Entscheider darüber, nicht zu früh auf ein neues Pferd zu setzen. Aus gutem Grund. Solange der Markt mit seinem Angebot an Applikationen und Hardwaresystemen für die neue Plattform auf sich warten läßt, will niemand ein Risiko eingehen. Kein Anwender kann auf leistungsfähigen Support und professionelle Trainingsangebote verzichten.

Richtschnur einer wohlüberlegten Entscheidung ist letztlich das individuelle Anforderungsprofil. Und dies hat sich zuletzt kräftig gewandelt. Internet und Network-Computing krempeln die IT-Landschaft tiefgreifender um, als man in Redmond zuzugeben bereit ist. IDC rechnet damit, daß die PC-beherrschte Ära in professionellen Umgebungen unwiederruflich zu Ende geht. Web-basierte Systeme legen dagegen gewaltig zu und stellen die angestammten Pfründe der IT-Industrie in Frage. Dabei könnten einige DV-Muftis ihre Anhängerschaft verlieren.

Im Markt der Server-Betriebssysteme hat sich NT zweifellos hervorragend etabliert. Zwar kann Unix laut IDC mit 45,8 Prozent noch immer den größeren Wertanteil für sich beanspruchen. Bei den Stückzahlen jedoch hat NT mit 34,2 Prozent inzwischen die Oberhand gewonnen. Ein Fünftel des Marktvolumens verbleibt Netware, dem einstigen Krösus.

Der Durchbruch von NT ist den Auguren zufolge vor allem in Unternehmensabteilungen erfolgt. Dort ist die Plattform Sammelbecken für bereichsspezifische Applikationen und Suites, Datenbanken, E-Mail sowie File and print. In Fortune-1000-Unternehmen habe NT, so Forrester Research, seine Verbreitung seit 1996 von 16 auf nunmehr 40 Prozent steigern können. Im Jahr 2000 sollen es bereits 60 Prozent sein.

Wieder zahlt sich die enorme Marketing-Power von Microsoft aus. Noch vor zwei Jahren konnte sich der überwiegende Teil der Anwender kaum vorstellen, daß NT die Domänen von Netware (File and print, NDS) oder Unix (Performance, Sicherheit und Skalierbarkeit) ernsthaft würde in Frage stellen können.

Doch die aktuellen Zahlen lassen andere Rückschlüsse zu. Immer mehr Anwender müssen erkennen, daß unternehmensübergreifende Anwendungen wie SAP, Lotus Notes oder Internet/ Intranet Konsequenzen für die Fachabteilungen haben. Der Trend zu 32-Bit-Applikationen auf preiswerten und leicht administrierbaren Servern hat sich zu Gunsten von NT und nicht von Windows 95 niedergeschlagen. Auch die zahlreichen Data-Warehouse-Projekte, die abteilungsspezifische Datenbanken mit Reporting- und Analyse-Tools koppeln, geben NT weiteren Auftrieb. Für Netware und MacOS sieht es hingegen schlecht aus.

Die Version 5 trifft auf viel Argwohn

Wie bei Windows 95 ist es eine knifflige und zeitraubende Angelegenheit, NT-Systeme in großer Zahl einzurichten. Keine von beiden Lösungen, so die Meta Group, unterstützt neue Hardwaretechnologie wie den Universal Serial Bus (USB) oder das für mobile Systeme wichtige Advanced Configuration and Power Interface (ACPI).

Dennoch haben sich Anwender inzwischen an einen gewissen Komfort von NT 4.0 gewöhnt. Kinderkrankheiten sind weitgehend ausgemerzt. Eine Vielzahl von Tools hat den Service für das Betriebssystem verbessert. Man hat es schätzen gelernt. So sehr, daß viele nicht sogleich auf NT, Version 5.0, umsteigen werden.

In der Tat sieht auch die Giga Group in mangelnder Stabilität und Performance sowie unzureichendem Support Anlaß zur Empfehlung, nicht sofort mit NT 5.0 anzubandeln. Besser sei es, auf fehlerbereinigte Updates zu warten. Wer dagegen unbedingt auf Windows migrieren will, solle für die nächsten zwei bis drei Jahre auf NT Server 4.0 vertrauen.

In den nächsten 18 bis 24 Monaten hat Microsoft nach Einschätzung der Giga Group alle Hände voll zu tun, die Gefolgschaft bei der Stange zu halten. Die von Microsoft avisierten Verbesserungen ê la Active Directory, Zero Administration for Windows (ZAW) und Microsoft Management Console (MMC) lassen die Gemeinde kalt - zumindest vorläufig.

Viele Anwender haben sich von Netware im LAN verabschiedet. NT bewährt sich als "klassische" Client-Server-Plattform, Unix dagegen ist das System der Wahl für Mission-critical- und -Echtzeitanwendungen. So sehr sich Microsoft auch mühen mag, die Anwender mit Verbesserungen für NT 5.0 zu gewinnen, in Redmond wird man sich in Geduld üben müssen. Vor allem Jahr-2000-Projekte verbieten manche Investition. "Vor der Tür zu NT 5.0 ist keine Warteschlange zu sehen", sticheln die Analysten von Forrester Research.

NCs greifen die PC-Basis an

Weder NT 5.0 noch Windows 98, heißt es bei der Meta Group, wird zumindest in den nächsten zwei Jahren von entscheidender Bedeutung für die Unternehmen sein. Danach bleibt den arrivierten Windows-Systemen nur der Business-Bereich, dessen PC-Installationsbasis gegenüber NC-Systemen jedoch abnimmt. Bereits für 2002 rechnen die Marktbeobachter mit einem Anteil von 30 Prozent für Thin Clients (NC) und nur noch 70 Prozent für PC (Mobile/Desktop).

Die Meta Group erwartet, daß sich der NC als "Next-Generation"-Terminal oder Kiosksystem mit einer Fülle von Web-Funktionalität etabliert und daß Anwender den NC als Windows-Terminal oder Java-Workstation einsetzen werden.

Ein zentraler Aspekt bei der Bewertung von NT ist der Kampf um Marktanteile. Kann sich NT gegenüber Unix, seinem größten Widersacher, durchsetzen? Die Gartner Group prognostiziert: Der Umsatz von Unix-Systemen habe 1997 um das Dreifache höher gelegen als die Verkaufserlöse von NT. Lediglich drei Jahre später werde NT dagegen Unix überholen.

Das seit 20 Jahren konstante Wachstum des einstigen "Standard-Betriebssystems" wird laut Gartner Group nach 1998 seinen Höhepunkt erreichen, um danach - allerdings nicht im freien Fall - zu sinken. So werde Unix bis 2003 ein respektables Ergebnis von 20 Milliarden Dollar Umsatz verbuchen können.

Dem Rivalen kann NT nicht überall zusetzen: Mission-critical-Applikationen, so die Gartner Group, sind und bleiben wesentliches Motiv für die Unix-Wahl. Bei 72 Prozent der Kaufentscheidungen für Unix sollen sie 2003 der Antrieb sein - eine gegenüber 48 Prozent im vergangenen Jahr deutliche Akzentverschiebung.

Auch im Sektor der integrierten Lösungen behauptet sich Unix. Im Bereich der Infrastruktur (abteilungsbezogene Server, File and print etc.) dagegen wird der Unix-Stern bis 2003 auf einen Anteil von bescheidenen sechs Prozent sinken. NT wird 42 Prozent des Umsatzes in diesem Segment für sich gewinnen.

Angegriffen wird die bisherige Unix-Domäne technische Workstations, allerdings nicht im High-end-Bereich. Hier wird Unix laut IDC noch ein Plus bei den weltweiten Umsätzen von derzeit 820 auf rund 840 Millionen Dollar im Jahr 2000 erleben. Doch bei den Personal Workstations kommt NT auf 30 Prozent Zuwachs pro Jahr.

Allen Unix-Lieferanten empfiehlt Gartner daher, sich auf die unbestrittene Kompetenz im High-end-Sektor zu konzentrieren. Anwender sollten ihre Geschäftspartner mindestens so gründlich wie bisher überprüfen und bei der Auswahl von Resellern darauf achten, ob diese den Anforderungen der unausweichlichen Koexistenz von Unix und NT auch langfristig gewachsen sind.

Die Zukunft ist also völlig offen. Nach Meinung der Marktbeobachter wissen die Anwender inzwischen, daß sie sich bei unkritischer Übernahme der Losung "NT everywhere" in ein tiefes Kostenloch stürzen. Kostenvorteile insbesondere bei der Administration könnte eine Server-Kooperation mit sich bringen.

Unterdessen suchen Anwender, um dem zunehmenden Einfluß von Internet und E-Commerce gerecht zu werden, verstärkt nach Systemen, die rund um die Uhr laufen, riesige Datenbankanwendungen unterstützen und zig Millionen Transaktionen ermöglichen. NT 5.0 werde zwar Beachtliches zuwege bringen, so die Auguren, dem bewährten Unix allerdings kaum das Wasser abgraben können.

Wer aufs Internet setzt, rät Forrester Research, sollte seine fetten Clients einer permanenten Diät unterziehen. "Die globalisierte Wirtschaft macht ihre Geschäfte mit dem Browser, mit HTML und Java-Front-ends und nicht mit aufgeblasenen Win-32-Clients", ist in einer aktuellen Studie zu lesen. Auch die Vorteile im Preis-Leistungs-Verhältnis werde Microsoft verlieren, und zwar spätestens, wenn Solaris und HP-UX auf denselben Intel-Maschinen laufen.

Daß mit Intel ein treuer Vasall für die 64-Bit-CPUs mit Unix-Anbietern eng kooperiert und Microsoft für den Merced nicht mehr der einzige ernstzunehmende Betriebssystem-Hersteller sein wird, dürften die Redmonder nicht sofort verschmerzen können. Laut Forrester Research hat Intel zuviel in die Merced-CPU investiert, um noch länger auf Microsoft warten zu können. Resultat: Intel sucht noch mehr die Nähe zu Sun und HP, um mit Millionenaufwand die Nachfrage nach seinen 64-Bit-Servern anzuheizen. Schlecht für Microsoft: "Während Intel das Unix-Evangelium betet, fällt es schwer, die Vorzüge von NT unters Volk zu bringen."

Doch damit ist das düstere Szenario für Microsoft noch nicht zu Ende. Nach Meinung von Forrester Research kann vor allem Sun von der Eroberung der PC-Kanäle durch Solaris und Java profitieren. Während NT im High-end-Sektor scheitert, beginnen sich Hersteller wie Gateway und Micron, die eine gute Figur im PC-Server-Markt abgeben, für Unix-Alternativen zu interessieren.

Compaq wird Digital-Unix puschen, Hewlett-Packard weiter sein HP-UX unter die Leute bringen. Dem Rest der PC-Server-Anbieter bleibt nichts anderes übrig, als Solaris für ihre Intel-Maschinen zu lizenzieren und in das Hohelied auf Java, JVM-Integration und Internet-Computing einzustimmen. Ist erst eine hinreichende Installationsbasis geschaffen, kann Suns Javasoft-Division ihre Applikationen, Entwicklungswerkzeuge und Komponenten munter unters Volk bringen.

Der Einfluß von Internet und E-Commerce hätte weitreichende Konsequenzen. Einstige PC-Größen könnten zu Lieferanten von Networking-Devices mutieren. Rapider Preisverfall sowie ausgereizte Margen im limitierten High-end-Segment wird die PC-Industrie veranlassen, zu neuen Claims jenseits der Wintel-Welt aufzubrechen. Compaq, HP sowie IBM zusammen mit Lotus werden das neue Terrain zuerst abstecken. Forrester Research: "Microsoft-Groupies wie Dell bleiben außen vor..

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.