Versandhaus kommt ohne Standard-CRM aus

Von Geschäftsregeln zum speziellen Quelle-Katalog

06.10.2000
MÜNCHEN (CW) - Das Versandhaus Quelle AG, Fürth, verdankt den gezielten Einsatz von Werbemitteln und Marketing-Maßnahmen hauptsächlich seinem Unternehmensgedächtnis, einem Data Warehouse, und dem Einsatz von Regelbäumen. Doch bis zur individuellen Kundenansprache sind noch ein paar Hürden zu nehmen.

Die reine Kundensicht reicht Michael Semmler, Leiter Database Marketing bei der Quelle AG, längst nicht mehr. Für den sinnvollen Einsatz von Werbemitteln und -maßnahmen bedarf es zahlreicher Querverbindungen zwischen Artikel- und Kundendaten, aber auch den Kontakt zum Vertriebs- und Bestellwesen sowie zu den Retouren. So möchte das Marketing etwa wissen, für welchen Kundentyp die Schnäppchenbluse in Hellblau aus dem Saisonkatalog attraktiv war.

Daten sammelt Quelle nach Semmlers Angaben bereits seit Anfang der 80er Jahre: "Das ist nichts Neues und nichts Besonderes." Doch erst seit ein paar Jahren fließen die Informationen aus den Systemen für Werbung, Lieferung, Retouren, Produkt-Management, Bestellverfahren und Rechnungsabwicklung in ein Data Warehouse ein. Diese Datenbasis ist mittlerweile auf rund 200 Tabellen und 3,5 Terabyte Speichervolumen angewachsen. Sie wird mit Hilfe des Datenbank-Management-Systems "Oracle 8i" verwaltet und liegt auf einem Sun-Server "E 10 000", der mit 32 CPUsbestückt ist.

Wichtig für die Qualität der Warehouse-Daten ist ihr beschreibender Charakter. Von einem Versandkunden sind zunächst der Name, das Geschlecht, die Adresse und vielleicht das Alter bekannt. Soll er mit einem Spezialkatalog, etwa "Mein Baby und ich", beliefert werden, sind auch Angaben zum Familienstatus unabdingbar. Dazu kommen, wie heute auch in anderen Unternehmen üblich, dazugekaufte soziodemografische Daten etwa von Bertelsmann oder Schober. Darüber hinaus spielt für die Ermittlung von Kundenprofilen auch die Art der Kontaktaufnahme eine Rolle. Dazu zählen die Bestellwege - per Internet, Call-Center, Agentur, Geschäft oder Bestellkarte - sowie der Grund für die Kontaktaufnahme - Bestellung, Beratung, Lieferung, Zahlung, Mahnung oder Reklamation.

Unwichtig für die Auswertungen, die Semmler vorschweben, sind dagegen etwa die Lagerkennziffern der rund 200000 Artikel. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich bei einem Produkt um eine Hose oder Bluse handelt, welche Farbe diese hat, zu welchem Preis sie angeboten wird, welchem modischen Stil der Artikel entspricht und welcher eigenen oder fremden Marke er zugehört. Dazu kommen noch Informationen zu den Werbemitteln: Handelt es sich um ein Angebot aus dem Haupt- oder den 40 Spezialkatalogen, um Sonderaktionen oder um das Internet-Warenangebot?

Die Daten aus dem Quelle-Geschäft verknüpft das Database-Marketing mit entsprechenden Informationen der Quelle-Töchter (siehe Kasten "Kataloge ohne Ende").

Diese Angaben aus den eigenständigen Betrieben sind aus datenschutzrechtlichen Gründen zwar anonymisiert, lassen aber beispielsweise erkennen, was einen guten "Madeleine"-Kunden von einem schlechten unterscheidet.

Für das Erstellen von Verhaltensmustern und das Eruieren von Kundenbedürfnissen nutzt das Semmler-Team im Wesentlichen Data-Mining-Anwendungen. Die Tools für die statistischen Analysen, etwa Polynomialregression, Splines, Kernschätzer, Cluster- und Diskrepanzverfahren sowie multivariate Methoden, stammten hauptsächlich von SAS Institute, Heidelberg. Doch sind für das Entdecken von Querverbindungen etwa zwischen Kunden und Artikeldaten hauptsächlich gute Mitarbeiter notwendig, so Semmler. Die Data-Mining-Experten müssten Ideen entwickeln, wie sich beispielsweise Marken- oder Produktloyalität definieren und anhand aktueller und historischer Daten fassen lassen. Das Data Mining dient neben der Markt- und Kundensegmentierung auch der Allokation von Zielgruppen sowie der Sortiments- und Werbemittelgestaltung. "Wenn das Ziel eine langfristige Kundenbeziehung ist", so Semmler, "muss man feststellen können: Dieser Kunde könnte sich geärgert haben." Mit einem entsprechenden Anschreiben lassen sich Kunden eventuell versöhnen, bevor sie zu einem anderen Anbieter wechseln.

Die besten Kunden findenDarüber hinaus unterliegen die Profile einem Scoring, wie Semmler sich ausdrückt. Für Response-Analysen beispielsweise werten Quelle-Mitarbeiter Leserstichproben aus oder auch Vorabausgaben eines neuen Sonderkatalogs. So lässt sich messen, welchen Effekt die Aussendung auf das Bestellverhalten hat. Die Gruppen lassen sich außerdem etwa nach Alter kategorisieren, in eine Rangfolge bringen und zu Deckungsbeiträgen in Beziehung setzen. Auf diese Weise wird ersichtlich, für welche Kundengruppen sich der Werbeaufwand auszahlt.

Werbemittel sind umso lohnender, je gezielter sie eingesetzt werden können. Deshalb gibt es neben dem Haupt- die zahlreichen Spezialkataloge. Ihre Bandbreite reicht von Möbeln über Swimmingpools bis zu Hundehaltung und Damenbekleidung für "die besten Jahre". Daneben gibt es ein Top-Kunden-Marketing, so dass treue Kunden gelegentlich mit einem Dankeschön-Brief rechnen dürfen, eine individuellere Behandlung im Call-Center erfahren und eine Kundenzeitschrift ins Haus bekommen. Das Event- und Lebensphasen-Marketing ist ein weiterer Baustein im Customer-Relationship-Management (CRM) bei Quelle. Flankiert wird das Marketing von internen Maßnahmen. Kommt ein Sortiment gut beim Kunden an, lohnt sich etwa eine Sortimentsvertiefung oder -ausweitung. Gibt es Hinweise auf Ärgernisse, kann über Abhilfe nachgedacht werden.

Während das Data Mining die Grundlagen für solche Maßnahmen liefert, basiert die Marketing-Planung auf grafischen Regelbäumen. Diese entstehen mit Hilfe des Werkzeugs "In Contact" von der Innovations GmbH, Immenstaad. Zunächst definieren Quelle-Sachbearbeiter anhand der Ergebnisse aus dem Data Mining Geschäftsregeln. Diese beschreiben die Quelle-Kunden und mögliche Formen der Betreuung. Die Regeln stehen in Beziehung zueinander, so dass auf dem Bildschirm des Marketiers eine Baum-Struktur erkennbar ist. Das Tool greift auf die Daten im Warehouse zu. Aus der Kombination von Regeln und Daten lassen sich Werbeaktionen folgern. Ändern sich die Bedingungen und Regeln, beispielsweise, wenn sich das Werbemittelbudget erhöht, erhält der Sachbearbeiter ein anderes Ergebnis.

Für solche Wenn-dann-Auswertungen benutzte Quelle bis vor rund einem Jahr hauptsächlich Host-Anwendungen. Dabei musste praktisch für jede Form der Abfrage eine neue Applikation erstellt werden, und ein Programm zog viele Unterprogramme nach sich. Diese Programmketten seien sehr unhandlich, unübersichtlich und umständlich gewesen, blickt Semmler zurück. Die Regelbäume dagegen lassen sich online verändern und zeigen sofort die Folgen dieser Manipulation an. Somit hat sich die Transparenz wesentlich erhöht. Das trägt dazu bei, dass heute qualifiziertere Marketing-Maßnahmen ergriffen werden können und ihre Planung weit weniger zeitaufwändig ist. Wie viele Regeln tatsächlich im Quelle-System stecken, will Semmler nicht beantworten. Jedenfalls liefert die Anwendung als Ergebnis bis zu 10 000 verschiedene Werbemittelkombinationen.

Einen Automatismus, der Data-Mining-Resultate in In-Contact-Regeln verwandelt, gibt es nicht. Eine Möglichkeit, diesen Medienbruch zu überwinden, böte laut Semmler die Definition von einer Art Basisbaum, der sich mit Hilfe von Parametern an individuelle Erfordernisse anpassen ließe. Zugleich schränkt der Datenspezialist diese Alternative wieder ein: Nur ein Teil der Regeln seien überhaupt parametrisierbar.

Grundsätzlich stößt die Analyse mit Hilfe der Regelbäume an ihre Grenzen, wenn beispielsweise simuliert werden soll, wie teuer eine Marketing-Entscheidung kommt. Die Ergebnisse seien, wie Semmler ausführt, mit Abstrichen zu genießen, da das System jeweils von Optima ausgeht, beispielsweise von reinen Kundengruppen und die Qualität der Regeln voraussetzt.

Auch ersetzen die Regelbäume kein Management-Informationssystem (MIS). In diesem Bereich setzt Quelle die Olap-Tools (Olap = Online Analytical Processing) von Oracle ein. Mit solchen Auswertungsmöglichkeiten und den Dimensionen Kunde, Sortiment, Werbemittel und Zeit arbeitet vornehmlich das Controlling, das Produkt-Management und auch das Marketing.

Die größte Herausforderung für das Kunden-Management bei Quelle sieht Semmler in der Individualisierung und im One-to-one-Marketing. Es reiche nicht, die Klientel zu klassifizieren. Das Profil jedes einzelnen Kunden müsse identifiziert, jeder Vertriebsweg berücksichtigt werden.

Darüber hinaus schaffe das E-Business einen neuen Kundentyp: Der Internet-Nutzer sei zumeist informierter, da er sich über Preise und Qulität leicht einen Überblick verschaffen kann. Allerdings müsse er zum Besuch der Quelle-Site erst animiert werden, da der Automatismus Katolog-zusenden-Ware-bestellen fehle. Doch Semmler gibt sich bescheiden optimistisch: "Wir arbeiten daran."

Kataloge ohne EndeDie Quelle AG, Fürth, ist neben der Neckermann Versand AG der zweite Versandhändler der Quelle-Karstadt AG. Zu Quelle Deutschland gehören die Geschäftsfelder Foto, Reise sowie Großhandel/Ausstattungen. Dazu zählen aber auch Spezialversender wie Madeleine, Peter Hahn, Atelier Goldener Schnitt, Elégance und zu zehn Prozent H.O.T. Insgesamt besteht die Quelle-Gruppe aus mehr als 110 Tochter- und Beteiligungsgesellschaften. Sie unterhält zwölf Auslandsgesellschaften und Niederlassungen in weiteren 16 Ländern. Im vergangenen Jahr arbeiteten über 28000 Personen für den Konzern. Im Geschäftsjahr 1999 konnte die Firmengruppe einen Ertragssprung verbuchen. Während der Brutto-Umsatz um 1,6 Prozent auf 12,2 Milliarden Mark (Netto-Umsatz: 10,5 Milliarden Mark) wuchs, stieg das konsolidierte Ergebnis vor Ertragssteuern auf 188 Millionen Mark (im Vorjahr: 87 Millionen Mark).

Quelle hat eine lange eigenständige Firmengeschichte. Nachdem Gustav Schickedanz 1923 in Fürth eine Großhandlung für Kurz-, Weiß- und Wollwaren eröffnet hatte, gründete er 1927 die Firma Quelle. Ein Jahr später erschien der erste Katalog. Heute entspricht das Gesamtgewicht der Kataloge einer Ausgabe dem Gewicht von rund 4170 ausgewachsenen Elefanten und aneinander gereiht einer Fernstraße von 3240 Kilometer Länge.

Abb.1: Sinnvoller CRM-Einsatz

Aufbau und Pflege von Kundenbeziehungen ist bei Quelle eine Sache des Database-Marketings. Quelle: Quelle AG

Abb.2: Data-Warehouse-Dienstleistungen

Wesentlich für das CRM bei Quelle ist ein gut bestelltes Data Warehouse. Quelle: Quelle AG