Von einheitlichen europäischen Regelungen noch weit entferntAuch ohne gesetzliche Normen gelten die Ergonomiestandards

02.10.1992

Für Bildschirm- Arbeitsplätze, die ja die direkte Schnittstelle zwischen Mensch und Computer bilden, bestehen Normen und Richtlinien in solch einer Vielzahl, daß sie völlig unübersichtlich sind. Die Anwender wiederum orientieren sich meistens an Begriffen, die nirgendwo gesetzlich definiert sind. Peter Engerisser* erläutert, worum es eigentlich geht.

Mit dem europäischen Binnenmarkt im Januar 1993- so hofft eigentlich jeder - werde es zu einer wesentlichen Vereinfachung der geltenden Normen und Richtlinien kommen. Was sich jedoch im Grunde genommen ändert, sind weniger die Inhalte der Sicherheitsbestimmungen als deren Namen und die Namen der Gremien, die sie beschließen. Dabei haben die traditionell strengen europäischen Sicherheitsanforderungen, vor allem die der deutschen und skandinavischen Normungsverbände und Berufsgenossenschaften, wesentlichen Einfluß geltend gemacht.

CEN und CENELEC als Dachverbände

Diese Interessen koordinieren auf Europaebene zwei Dachverbände: Die CEN (Europäisches Komitee für Normung) ist die europäische Parallele der international relevanten ISO (International Organization for Standardization) und für die Normung aller nicht-elektrischen Komponenten zuständig. Unter CEN- Zuständigkeit fallen alle Ergonomie-relevanten Vorschriften. Für ihre nationale Umsetzung sorgen die Landesverbände, wie zum Beispiel in Deutschland das Deutsche Institut für Normung, DIN.

Für die Normung aller elektrischen Geräte auf Europaebene ist parallel zur CEN die CENELEC (Europäisches Komitee für Elektrische Normung) zuständig. Sie ist das europäische Pendant der IEC (International Electrotechnical Commission) und entscheidet über alle Produktvorschriften, die elektrische Sicherheit betreffen. Der CENELEC unterstehen auf Landesebene in Deutschland der Verein Deutscher Elektrotechniker (VDE) beziehungsweise die Deutsche Elektrotechnische Kommission (DEK).

Wenn nun die CEN beziehungsweise CENELEC sich auf einen europäischen Standard einigen, erlassen sie eine Europanorm oder EN. Sie können auch eine EG- Richtlinie (oder ENV) erlassen, die jedoch innerhalb von drei Jahren in eine EN umgewandelt werden muß. Viele nationale Normen hat man bereits in Europanormen umgewandelt. So wurde aus der altbekannten VDE 0806; welche die Sicherheit von Elektrogeräten gewährleistet, die EN 60950. Und das Funkschutzzeichen VDE 08711B wird sich auf Europaebene als die EN 55022-B wiederfinden.

Die VDE 0871-B war ursprünglich nur in Deutschland gefordert. Das sogenannte Funkschutzzeichen VDE 0871-B hat jedoch weder etwas mit Ergonomie noch etwas mit Sicherheitsbestimmungen zu tun. VDE 0871-B sagt lediglich, daß ein Gerät nach der Postverfügung 1046/84 ausreichend gegen Störstrahlung abgeschirmt ist. Dies ist vor allem in Deutschland eine rechtlich bindende Forderung und die Grundvoraussetzung für Zulassungen zum Anschluß an das Fernmelde- und Datennetz der Deutschen Bundespost (ZZF-Zulassung).

Diese Richtlinie hat die Deutsche Verwaltungs-Berufsgenossenschaft erstellt. Sie nennt sich "ZH1/618, 10/80 Sicherheitsregeln für Bildschirmarbeitsplätze im Bürobereich".

Die Richtlinie ist, wie aus der Bezeichnung hervorgeht, schon relativ bejahrt und dringend überholungsbedürftig. Sie enthält auch keine Sicherheitsregeln, sondern behandelt ausschließlich Fragen der ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen in bezug auf die dafür relevanten DIN- Normen. Themen wie Bildschirmstrahlung sind in der ZH1/618 bisher nicht erwähnt.

Dafür enthält sie die Forderung nach Einhaltung der Röntgenverordnung (RÖV), obwohl mittlerweile anerkannt ist, daß selbst bei farbigen Kathodenstrahlröhren die Ortsdosisleistung ein Zwanzigstel des von der RÖV geforderten Grenzwerts nicht übersteigt. Trotzdem ist die ZH1/618 die derzeit einzige einigermaßen komplette Sammlung für Ergonomierichtlinien bei Bildschirmarbeitsplätzen. Sie ist deshalb auch Bestandteil des TÜV/GS- Prüfzeichens.

Der TÜV (Technischer Überwachungsverein e.V.) erläßt keine Normen oder Bestimmungen, sondern wacht nur über deren Einhaltung. Dabei berücksichtigt er sowohl sicherheitstechnische als auch arbeitsphysiologische Belange. Vor allem der TÜV Rheinland e.V. hat sich maßgeblich im Bereich Ergonomie für Bildschirmarbeitsplätze engagiert.

Das TÜV/GS- Prüfzeichen für Bildschirmarbeitsplätze ist in Deutschland rechtlich vorgeschrieben und besteht aus den Komponenten F.N 60950 (früher VDE 0806) für elektrische Sicherheit und der ZH1/618 für ergonomische Anforderungen. Innerhalb der ZH1/618 wird vor allem Wert auf die Einhaltung des Zeichenkontrastes gelegt. Außerdem achtet der TÜV auf die Einhaltung der Röntgenverordnung.

Wohl kein anderes Gebiet hat im Bereich Bildschirm -arbeitsplätze für mehr Verwechslungen und Unklarheiten gesorgt als das Thema Bildschirmstrahlung. Allein der Begriff "Strahlung" ist ungenau, da die bei Bildschirmen erzeugte harte Strahlung (Röntgenstrahlung) zu vernachlässigen ist.

Vielmehr handelt es sich um elektrostatische, elektrische und elektromagnetische Felder (auch weiche Strahlung genannt), wie sie jeder stromdurchflossene Leiter und damit jedes elektrische Gerät generiert. Ändert sich Richtung oder Stärke des Stromes mit einer bestimmten Frequenz, zum Beispiel bei Wechselstrom, oder durch ständiges Ein- und Abschalten einer Stromquelle, wie dies bei der Ablenkspule einer Kathodenstrahlröhre geschieht, so entsteht ein elektrisches Wechselfeld beziehungsweise ein gepulstes elektromagnetisches Feld. Die Stärke des elektrischen Wechselfeldes ist dabei um so höher, je geringer die Frequenz der Feldänderung ist.

In der neuen EG- Richtlinie nur am Rand erwähnt

Auch die elektromagnetische Feldstärke (oder magnetische Flußdichte gemessen in nT oder Nano-Tesla) ist von der Höhe der wirksamen Frequenzen abhängig. Extrem niederfrequente Felder (sogenannte ELF für "Extremely Low Frequencies") zwischen fünf Hertz (Hz) und zwei Kilohertz (KHz) bei Bildschirmen entstehen zum Beispiel durch die Netzfrequenz (50 oder 60 Hz) und durch die Bildwiederholfrequenz (60 bis 85 Hz). Die Ablenkfrequenz des Kathodenstrahles (Zeilenfrequenz) verursacht niederfrequente Felder (sogenannte VLF für "Very Low Frequencies") zwischen zwei KHz und 400 KHz. Die Hochspannung der Kathodenstrahlröhre beziehungsweise die beim Elektronenaufprall verursachte Aufladung der Bildschirmoberfläche erzeugt ein elektrostatisches Feld oder Oberflächenpotential.

In Deutschland gibt es bisher keine vernünftigen Grenzwertregelungen über "Bildschirmstrahlung". Die Grenzwerte der VDE 0848, die eigentlich für industrielle Hochfrequenzanlagen entworfen wurde und deren Werte teilweise mit in die DIN 57848 für Bildschirme eingingen, liegen teilweise beim Tausendfachen der derzeitigen Forderungen. Auch in der bis Ende 1992 in nationales Recht umzusetzenden EG- Richtlinie für Bildschirmarbeitsplätze wird Bildschirmstrahlung nur am Rande angesprochen.

Eine Vorreiterposition haben hier die skandinavischen Länder, allen voran Schweden, eingenommen. Die von traditionell starken Berufsgenossenschaften wie der TCO (Schwedische Zentral -organisation der Angestellten und Beamten) beeinflußte Regierung beauftragte frühzeitig das Nationale Schwedische Institut für Strahlenschutz (SSI) zusammen mit dem MPR, Grenzwerte für Bildschirmstrahlung auszuarbeiten. Es entstanden die heute gültigen MPR- Richtlinien.

MPR steht für Statens Mät- och Provrad (übersetzt: Staatlicher Meß- und Prüfrat) beziehungsweise Swedish National Board for Measurement and Testing, das seit Anfang 1991 als SWEDAC ("Swedish Board for Technical Accreditation") firmiert. Seit den ersten Veröffentlichungen dieser Empfehlungen (MPR-P 1987:2) wurden sie bereits mehrfach geändert. Einige Meßkriterien fielen weg, wie etwa die Änderung des elektromagnetischen Feldes pro Zeiteinheit - andere kamen hinzu.

So berücksichtigt die neueste MPR 1990:8 - auch MPR-II genannt die elektrischen Wechselfelder (die heute als wesentlich wichtiger erachtet werden als die elektromagnetischen Felder), und es wird in zwei Frequenzbereichen gemessen. Heute führen nicht mehr allein das SSI, sondern auch das SEMKO (Swedish Institute for Testing and Approval of Electrical Equipen der schwedischen Prüfstelle für Elektrische Sicherheit), das SWEDAC und der TÜV Rheinland e.V. in Köln die Messungen durch.

Trotz aller Bemühungen der Institute, wie etwa des schwedischen SSI, konnte ein Zusammenhang zwischen Monitorstrahlung und gesundheitlichen Schäden bisher nicht bewiesen werden. Auch eine erst kürzlich abgeschlossene, großangelegte Untersuchung des "U.S. National Institute for Occupational Safety" konnte keine eindeutigen Beweise erbringen. Man vermutet, daß extrem niederfrequente elektrische Wechselfelder den Ausstoß von Kalziumionen an den Zellwänden erhöhen und magnetische Felder die elektrischen Spannungen zwischen den Körperzellen beeinflussen.

Verständlicher ist die Wirkungsweise elektrostatischer Felder: Durch die polarisierte Aufladung der Bildschirmoberfläche werden gegensätzlich geladene Staub- und Schmutzpartikel dem Bildschirmarbeiter entgegengeschleudert. Dies kann zu Haut- und Augenreizungen führen.

Der bisher fehlende Nachweis der Schädlichkeit von Bildschirmstrahlung ist auch der Grund, warum die MPR-Werte in Schweden und in anderen Lindern nur eine Empfehlung darstellen und bisher keinerlei rechtliche Grundlagen besitzen.

Dennoch ist die Einhaltung der MPR-II für Bildschirmhersteller in Zukunft unerläßlich Behörden, Großkunden mit Betriebsrat und im wachsenden Maße auch kleinere Unternehmen und Endanwender machen ihre Kaufentscheidungen von einer MPR-II-Konformität abhängig. Hersteller, die noch die alten SSI-Werte oder MPR-I-Empfehlungen proklamieren, haben in diesem Wettlauf keine Chance mehr. Die Kunden wollen eben auf Nummer Sicher gehen. Und das nicht nur in Skandinavien und in Deutschland sondern europaweit.

*Peter Engerisser ist Marketing Manager bei der Wyse Technology GmbH, München.