Almirall-CIO Matthias Moritz im Interview

Von einem der outsourcte und das Fürchten lernte

03.06.2016
Von Florian Kurzmaier
Matthias Moritz, CIO des katalanischen Pharma-Herstellers Almirall, sprach mit uns über Musik, neue Freiheiten und Sourcing-Verträge zum Vergessen.

COMPUTERWOCHE: Lassen Sie uns zum Einstieg kurz ins Jahr 2013 zurückgehen. Sie wechselten von der Position des CIO der Bayer Health Care zum katalanischen Pharma-Konzern Almirall. Meine Kollegin Karin Quack schrieb seinerzeit in der Meldung zu Ihrem Wechsel nach Spanien: "Dass IT-Mannschaft und -Budget bei Almirall etwa um den Faktor zehn kleiner sind als beim Aspirin-Konzern, stört Moritz offenbar nicht. Er freut sich auf größere Entscheidungsfreiheit und kürzere Abstimmungswege." Hat sich das bewahrheitet oder nicht?

Moritz: Es hat sich absolut bewahrheitet! Ich habe hier im Unternehmen weitgehende Entscheidungsfreiheiten. Wir haben hier in den letzten drei Jahren einen radikalen Wandel in der IT vorgenommen, der aufgrund kürzerer Abstimmungswege und größerer Freiheiten relativ schnell von Statten ging. Wir haben die digitale Transformation bei Almirall in vielen Bereichen bereits umgesetzt. Nur ein paar Stichworte dazu: Wir haben für alle Mitarbeiter Videotelefonie, Online-Chats, ein auf Kollaboration aufgebautes soziales Intranet und ein digitales Training implementiert. Hier bilden wir zur Zeit über sechzig Mitarbeiter in einem Zwölf-Block-Seminar zum "Digital Master" aus. Dabei arbeiten wir mit Universitäten zusammen.

Matthias Moritz ist CIO des spanischen Pharma-Konzerns Almirall und spricht auf dem Sourcing Day 2016 über seine Erfahrungen mit Sourcing-Partnerschaften.
Matthias Moritz ist CIO des spanischen Pharma-Konzerns Almirall und spricht auf dem Sourcing Day 2016 über seine Erfahrungen mit Sourcing-Partnerschaften.
Foto: Almirall

CW: Haben Sie auch die Organisation verändert?

Moritz: Ja, gravierend! Ich habe von der klassischen IT umgestellt auf eine Organisation, die im Wesentlichen auf vier Säulen basiert: Quality and Security, Enterprise Architecture und User Experience und der Bereich Business Partnering der als Demand-Organisation die Anforderungen der Endkunden in IT-Sprache übersetzt und dann die IT-Lösung verantwortet. Den Bereich User Experience habe ich im Management bewusst hauptsächlich mit Frauen besetzt. Er umfasst beispielsweise das Service-Desk, das Reporting, die Collaboration-Tools und die Intranet-Programmierung. Parallel dazu haben wir die IT in Business Technology umbenannt.

CW: Warum haben Sie diese Schnittstellen bewusst mit Frauen besetzt?

Moritz: Dieser Bereich spricht ja genau die User-Gefühle an und deshalb haben wir diesen auch vornehmlich - nicht explizit - weiblich besetzt.

"Das Image der Security hat sich bei der Almirall um 180-Grad gedreht: Sie ist jetzt nicht mehr die Polizei, sondern der Helfer."

CW: Sie hatten erwähnt, dass Sie bei der Neuordnung Ihrer IT den Bereich Security gemeinsam mit dem Bereich Quality in eine separate Organisationseinheit gepackt haben. Haben Sie durch Ihren Wechsel nach Spanien in diesem Feld ebenfalls Veränderungen wahrgenommen?

Moritz: Ja, das spanische und das deutsche Datenschutzgesetz sind in der Stärke ähnlich. Ich würde sagen, dass der Schutz von persönlichen Daten hier in Spanien noch ein bisschen strenger ist, als in Deutschland. Der Trick bei der Besetzung in unserem Bereich Quality and Security war es, jemanden zu nehmen der kein Techniker ist, sondern jemanden, der in der Business-Schnittstelle Erfahrung hat und Security als Added Value verkaufen kann und nicht als notwendiges Übel. Das Image der Security hat sich bei der Almirall um 180-Grad gedreht: Sie ist jetzt nicht mehr die Polizei, sondern der Helfer.

CW: Wo sehen Sie das Thema "Digitalisierung" hierarchisch am besten aufgehängt?

Moritz: Beim CEO! Der CEO sollte der Digital Leader sein, der Chef des großen Ganzen. Unser CEO fing schon relativ früh an, seine Townhall-Meetings mit den Mitarbeitern über unsere soziale Plattform stattfinden zu lassen. Das heißt also: Leading by Example. Außerdem haben wir direkt unter dem Management ein sogenanntes Digital Lab kreiert. Darin vertreten sind die Leiterin der Unternehmenskommunikation, das Business, das digitale Marketing, Research & Development und ich. Aus jedem Geschäftsfeld ist also mindestens einer im Digital Lab vertreten. Und dieses Gremium entscheidet über die digitalen Maßnahmen. Weil es ein kleines und effektives Gremium ist, gibt es keine Hierarchiekonflikte.

CW: Auf der Cebit hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Ausblick auf die "Digitale Strategie 2025" der Bundesregierung gegeben, die fast schon biblisch in zehn Schritte gegossen ist. Wie ist Ihr Eindruck aus der Außenperspektive? Kommt die Initiative noch rechtzeitig oder ist das letztlich nur Aktionismus?

Moritz: Ich möchte mich nicht zur deutschen Politik äußern, weil ich die zehn Schritte von Gabriel nicht kenne. Aber aus einer gewissen Außensicht ist die Wahrnehmung sowohl in Deutschland als auch in Spanien, dass man relativ spät kommt. Und das hat Gründe. Alles, was wir heute als Modewort "digitale Transformation" nennen, läuft ja schon seit 25 Jahren! Und wer seit 25 Jahren nicht begreift, dass diese Veränderungen einen nennenswerten Impact auf Jobs, Job-Positionierungen und Job-Profile haben, hat die Welt nicht verstanden! In fünf Jahren wird es gewisse Jobs schlichtweg nicht mehr geben, Arbeitsplätze und ganze Berufszweige werden wegfallen oder sich grundlegend verändern. Das haben wir auf den Hamburger IT-Strategietagen auch deutlich präsentiert bekommen, z.B. von Volkswagen. Die Profile, vor allem im Public Sector, werden sich total verändern. Sie haben natürlich in Hamburg auf den Strategietagen gehört, dass die digitale Stadt, eGovernment und die Abwicklung anderer bürokratischer Dinge auf Online-Plattformen die Zukunft sind. Und da kommt man mit so einer Digitalstrategie, die alles auf die Schnelle machen will, ein bisschen spät. Vor allem, weil wir die relativ langsamen Entscheidungswege der Politik kennen. Wir haben es hier mit sehr großen Apparaten zu tun, die erstmal bewegt werden müssen. Und hier darf man mit Blick auf das Change-Management den Impact auf die Mitarbeiter oder Beamten nicht unterschätzen. Hier muss man die Menschen begleiten und schrittweise dahin führen, dass sich der Job verändert. Dazu gehört es auch, dem Mittarbeiter zu sagen, wie er diese Tools adäquat und mit Mehrwert nutzt. Warum führe ich denn Chat-Tools anstelle von E-Mails ein? Warum mache ich eine Umstellung von Lotus Notes auf Outlook? Und: Was sind die Benefits? Genau da müssen die Leute hingeführt werden! Man hält in Deutschland sehr stark am Althergebrachten fest. Und das ist die größte Mauer! Die muss man einreißen, allerdings nicht mit Gewalt!

"Wenn man als CIO seinen Job richtig wahrnimmt, braucht man eigentlich keinen CDO mehr, sondern wird selbst zum CDO."

CW: Sondern?

Moritz: Mit guten Argumenten. Was ist für den Mitarbeiter in Deutschland drin, wenn "die Digitalisierung" kommt? Stand heute hat der Mitarbeiter erst mal Angst um seinen Job. Heißt übersetzt: Für den Mitarbeiter ist nichts drin. Aber man kann das Ganze ja auch positiv gestalten und erklären: "Wie ändert sich dein Berufsbild in Zukunft? Was machst du künftig anders? Was machst du für den Benefit der Gesellschaft?" Wenn ich über die Gesundheitsbranche rede, beispielsweise über die digitale Patientenakte, dann sage ich: Die rettet Leben! Und wenn die Leute Widerstand dagegen leisten, riskieren sie ihr eigenes Leben. Denken Sie an eine Situation, in der Sie gegen ein bestimmtes Narkosemittel allergisch sind. Keine digitale Patientenakte in der Nähe. Die behandelnden Ärzte verabreichen Ihnen in Unkenntnis Ihrer Allergie genau das eine Narkosemittel … Dann möchte ich nicht an den Aufschrei denken! Wenn Sie immer eine Karte dabei hätten, auf der Ihre ganze Krankenakte inklusive Ihrer wichtigsten Gesundheitsdaten digital gespeichert sind, könnten ganze Workflows in Krankenhäusern, der Erstversorgung oder beim Hausarzt optimiert werden. Sie könnten damit das Gesundheitswesen billiger machen. In Krankenhäusern werden ganze Unterabteilungen als Profit Center geführt, und zwischen diesen Profit Centern muss man dann mit Papieren hantieren. Was soll das? Digitalisierung findet so lange nicht statt, wie es die Notwendigkeit einer Unterschrift oder eines Papieres gibt!

CW: Aber ist das nicht vielleicht auch eine Mentalitätsfrage, die sich ändern wird, wenn die Millenials ihren Weg in Entscheidungspositionen gefunden haben?

Moritz: Ja, die Millenials … Wenn es da nicht schon zu spät ist. Es gibt ja zum Beispiel bei den Krankenversicherungen unendlich viele Daten von Patienten. Wenn man die anonymisieren würde, könnte man über Krankheitsbilder zusätzliche Informationen rausziehen, die dann durch die wesentlich verbesserte Datenbasis klinische Untersuchungen von uns Pharma-Unternehmen beschleunigen könnten. Könnte ich solche klinischen Studien beschleunigen, könnte ich ein notwendiges Medikament z.B. zur Krebsheilung schneller auf den Markt bringen. Das ist lebensrettend und mit Geld nicht aufzuwiegen.

CW: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf den Sourcing Day am 1. Juni 2016 zu sprechen kommen. Bei unserem Sourcing-Event werden Sie sich mit einer Keynote beteiligen. Sie überschreiben Ihre Keynote mit "Von einem, der outsourcte und das Fürchten lernte". Wer oder was hat Sie denn so nachhaltig das Fürchten gelehrt?

Moritz: Das will ich jetzt nicht auf irgendeinen Provider runterbrechen. Es geht im Grunde genommen darum, wie man mit Outsourcing umgeht. Ich habe damals einen Outsourcing-Vertrag vorgefunden, den meines Erachtens keiner der Unterzeichnenden gelesen hat, weder der Lieferant, noch der Kunde.

CW: Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

"Es ist mit Sourcing-Partnerschaften wie mit einer Ehe: In guten Zeiten genießt man zusammen, in schlechten Zeiten leidet man zusammen."

Moritz: Das ist im Grunde genommen ein Erwartungsmanagement, das nicht betrieben wird. Man muss sich bei jedem Outsourcing erst mal überlegen, was man outsourct und mit wem man es outsourct. Aber auch der Outsourcer muss sagen, ob er es kann oder nicht. Ich muss ganz genau analysieren, auf was ich mich einlasse und dann dem Kunden sagen: Pass auf. Wenn ich jetzt einen Service X outsource, dann hast du gewisse Service-Zeiten für diesen Service X. Das funktioniert dann nicht mehr so wie früher, dass du mich rund um die Uhr anrufen kannst, sondern du bekommst deinen Service nur von 09:00 bis 17:00 Uhr! Dieses offene Erwartungsmanagement wurde in der Vergangenheit in vielen Unternehmen einfach nicht gemacht. Dazu kommen Sprachprobleme, verschiedene Arbeitszeiten und kulturelle Unterschiede. Wenn hier in Spanien Semana Santa ist, geht gar nichts. In den USA aber gibt es beispielsweise keine Semana Santa, sondern dafür mit Thanksgiving einen Tag, an dem nichts geht. Wenn ich in USA aber einen Provider habe, der Europa versorgt, dann muss der trotzdem ansprechbar sein. Diese interkulturellen Unterschiede werden genauso im Vortrag Thema sein wie viele andere Punkte, die beim Outsourcing bedacht werden müssen. Man muss sich wirklich sehr gut überlegen, was man da tut. Und gut überlegen heißt, dass sich verschiedene Parteien an einen Tisch setzen, sich in die Augen sehen und sagen: Bin ich in der Lage, das zu leisten? Bin ich in der Lage, diese Leistung anzunehmen? Bin ich in der Lage das zu tolerieren? Bin ich in der Lage das zu bezahlen? Bin ich in der Lage, gegebenenfalls etwas zu verändern, wenn ich sehe, dass etwas nicht funktioniert?

CW: Gibt es noch weitere Charakteristika, die eine gute Sourcing-Strategie auszeichnen?

Moritz: Einer meiner Outsourcer hat mich mal gefragt, was ich denn unter einer guten Partnerschaft verstehen. Das sollte sich jeder Outsourcer fragen! Und die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach. Es ist mit Sourcing-Partnerschaften wie mit einer Ehe: In guten Zeiten genießt man zusammen, in schlechten Zeiten leidet man zusammen. Und die Betonung liegt ganz klar auf zusammen! Das heißt, wenn es einer Firma, die outgesourct hat schlecht geht, sollte der Outsourcer auch seinen Anteil am Leid haben. Wenn es dagegen gut läuft, bin ich auch in der Lage zu sagten: Ok, dann soll es auch dem Outsourcer gut gehen.