IT in der Medienbranche/Die FAZ modernisiert die Zeitungsproduktion

Von DV-Inseln der Verlagsbereiche schrittweise zu offenen Hausstandards

02.10.1998

Als "interner Dienstleister" für die FAZ, die Rhein-Main-Zeitung und die Frankfurter Neue Presse versteht sich die Produktions-DV bei der FAZ. Ihr Leiter, Karl Kronner, erklärt, was das heißt: "Bei der Produktion dieser Objekte sind Tages- und Wochenspitzen zu bewältigen, die den Kapazitäten von Mensch, Maschine und Netz häufig das Äußerste abverlangen."

Um die Abläufe reibungslos zu gestalten, gibt es ein probates Mittel: die Standardisierung aller Komponenten. Jedoch ist es angesichts der hochspezialisierten und komplexen Prozesse der Zeitungsherstellung nach Ansicht von Kronner "unmöglich, auf eine Standardlösung der Industrie zurückzugreifen, weil es sie nicht gibt".

Daher galt es, wenigstens einen Hausstandard zu entwickeln. Der muß einen hohen Grad von Kompatibilität und Interoperabilität ermöglichen, die Zahl der Schnittstellen und den Konvertierungsaufwand auf das Notwendigste beschränken. Nicht zuletzt ist eine zentrale Betriebsüberwachung und schnellste Lokalisierung von Störungen erforderlich.

Welche hohen Anforderungen mit diesen Prämissen einhergehen, zeigt ein Blick hinter die Kulissen. Ein Zeitungsverlag betreibt eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme, damit ein Blatt wie die FAZ täglich erscheinen und im Wettbewerb bestehen kann. Neben dem Redaktions- und Umbruchsystem existieren ein Agentur- und ein Börsendatensystem, ein weiteres für den Korrespondentenempfang und eines für den Faxbetrieb. Es gibt ferner Archive für Bild und Text und nicht zuletzt Systeme für Online- und Internet-Dienste.

Zu den DV-Umgebungen im Bereich von Kronner gehört - "um nur die wichtigsten genannt zu haben" - auch ein Anzeigen-Management- und ein Anzeigenproduktionssystem sowie ein weiteres für den elektronischen Anzeigeneingang. Zentrale Aufgaben erfüllt das Produktionssteuerungssystem.

Jede einzelne dieser Lösungen nimmt eine für das Gesamtprodukt unerläßliche Funktion wahr. Trotz ihres oft hohen Spezialisierungsgrades müssen die Systeme weitgehend offen sein, weil der moderne integrierte Herstellungsprozeß einer Tageszeitung den ständigen Informationsaustausch und die Interoperabilität in einem gemeinsamen Netz voraussetzt.

Es geht nicht einfach darum, 200 Arbeitsplätze im Anzeigenbereich oder 350 Rechner der Redakteure und 150 weitere im nichtredaktionellen Umfeld zu vernetzen. Vielmehr müssen diese einen Verbund bilden, in dem Vorgänge ineinandergreifen können.

Dies waren zu Beginn der 90er Jahre die Prämissen, als die FAZ auf die Suche nach einer neuen Lösung ging, die die bestehenden Mainframe-basierten, proprietären Anwendungen ersetzen sollte. Vorgabe war der Einsatz von Unix auf einer offenen Client-Server-Plattform.

Den Einstieg machten die Frankfurter mit einem Börsenverwaltungssystem auf der Basis von IBM-Servern. Die nächste Stufe der Migration sah die Einführung eines Produktionssystems auf einer Unix-Plattform vor. Den Zuschlag für die Realisierung erhielt Sun Microsystems.

Die Umstellung selbst erfolgte in verschiedenen Schritten, um Produktionseinbrüche zu verhindern. Für den sanften Übergang in die Client-Server-Welt gab es außerdem noch andere Gründe.

Bis 1994 waren für sämtliche Objekte, die im Rechenzentrum des FAZ Verlages bearbeitet wurden, ausschließlich Systeme der Firma Atex im Einsatz. Um diesen damaligen Quasi-Standard in der deutschen Zeitungslandschaft herum gab es mehrere lokale Netze für den externen Datenbezug sowie verschiedene andere produktionstechnische Abläufe.

In einer der ersten Migrationsstufen wurde die Produktion für den Bereich Anzeigen aus dem allgemeinen Verbund herausgelöst und auf eine Unix-Plattform mit Sun-Servern portiert. Es entstand eine durchgängige Client-Server-Lösung mit Workstations und einem hochverfügbaren Datenbank-Server auf der Basis von zwei Multiprozessor-Systemen.

Die Softwarelösung "Ad-Champ" des dänischen Herstellers CCI wurde durch die Applikation "Ad-Desk" ergänzt. Sie laufen auf zwei gespiegelten Servern und dienen der Produktion von Anzeigen sowie dem Umbruch von Anzeigenseiten.

Umstellungen im Bereich Anzeigen begonnen

An diese Server-Lösung sind darüber hinaus verschiedene andere Anwendungen gebunden. Dazu gehören unterschiedliche Macintosh-Applikationen, reprotechnische Applikationen wie Technavia, Scan-Systeme sowie ein spezieller Editor namens KS-Star, den die mit der FAZ verbundene Frankfurter Societäts-Druckerei verwendet und mit dem unter anderem die Tageszeitung "Frankfurter Neue Presse" erstellt wird.

Im zweiten Schritt wurde ein Anzeigenverwaltungs- und Anzeigen-Management-System spezifiziert, das sich gerade in der Einführungsphase befindet. Es basiert auf der Lösung "Vegas Pro", deren Rückgrat eine parallele Oracle-Datenbank auf einem Server-Cluster ist.

"Daraus ergab sich ein dreistufiges Konzept", erklärt IT-Leiter Kronner. "Die Datenbankverwaltung auf den Sun-Servern läuft auf Unix, die Netzwerkverwaltung basiert auf NT-Servern, und für die Clients setzen wir ebenfalls auf NT." Diese Konfiguration hat der Zeitungsverlag zur Hausstrategie für die IT-Infrastruktur, auf der die Produktion basiert, erklärt. Alle zukünftigen Lösungen bauen auf ihr auf.

Sonderwege für Sonderpublikationen

Das FAZ-Magazin, das der Zeitung am Freitag beiliegt, hat eine eigene Vorgeschichte. Das Magazin entstand lange Jahre in der Druckerei Burda in Darmstadt. Hier setzt die FAZ für Texterstellung und Layout das Quark Publishing System (QPS) ein.

Eine Veränderung erforderte die Fusion, die diese Beilage im Anzeigenbereich mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung einging. Dafür entstand das Unternehmen Media Team Magazin Marketing (MTMM), das den Anzeigenverkauf für beide Partner koordiniert. Diese Kooperation machte auch einige technische Veränderungen im reprotechnischen Bereich notwendig.

MTMM meldet der Grafikabteilung der Magazine Details des Anzeigenverkaufs, damit die Mitarbeiter sich an die Gestaltung der Seiten machen können. Die Redaktion schließlich schreibt ihre Texte in dieses Layout hinein. Während Burda in Offenburg die eingehenden Anzeigen in digitale Repros umwandelt, erstellt die Grafik des Magazins das endgültige Seiten-Layout. Ist die Druckfreigabe erteilt, gehen Layout und zugehörige Texte nach Offenburg, wo sie mit den Anzeigen zu einer vollständigen Seite zusammengeführt werden.

Elektronischer Datenaustausch prägt zunehmend auch die Anzeigenannahme, da immer mehr Unternehmen und Agenturen diesen Weg wählen. "So einfach wie sich das anhört, ist die Angelegenheit leider nicht, denn die elektronische Anzeigenannahme ist mit einem immensen technischen Aufwand verbunden", erklärt Kronner.

Denn es gibt Stoßzeiten, zu denen alle Kunden ihre Anzeigen in das System geben. Mit dem Quark-Programm und in Verbindung mit einem "Raster Image Process" wird geprüft, ob sich eine Anzeigenvorlage übernehmen läßt oder zu modifizieren ist, bevor sie in den Umbruch gehen kann.

Ein neues Redaktions- und Umbruchsystem ist das nächste Glied in der Migrationskette des FAZ Verlags. Der interne Arbeitstitel für dieses Projekt ist "Nerus". Das Kürzel steht für "Neues elektronisches Redaktions- und Umbruchsystem". Es basiert auf dem alten Zeitungsstandard "Hermes" von Unisys - und läuft künftig auf einem gespiegelten Paar Multiprozessor-Servern von Sun.

Damit würde die letzte Atex-Domäne abgelöst. Diese Etappe begann im Januar 1998 bei der Wochenendbeilage "Bilder und Zeiten". Inzwischen ist diese Migrationsphase erfolgreich abgeschlossen.

Ende dieses Jahres beginnt die Umstellung des ersten großen Ressorts. Welcher der fünf Redaktionen - Politik, Wirtschaft, Sport, Feuilleton oder Rhein-Main-Zeitung - zuerst drankommt, ist noch nicht entschieden. Unabhängig davon ist die Zielsetzung jedoch klar: Zum Jahresende 1999 werden auch die letzten proprietären Atex-Systeme ausgeschaltet. "Wir gehen auf jeden Fall auf der Client-Server-Plattform in das neue Jahrtausend", bekräftigt Karl Kronner.

Weiterhin steht auch noch die Anbindung der teilweise sehr großen Außenredaktionen, die die FAZ in jeder deutschen Landeshauptstadt betreibt, bis zum Millenniumswechsel an. Diese werden sukzessive mit NT-Netzwerken ausgestattet, die eine Verbindung zum zentralen Rechenzentrum in Frankfurt haben.

Die großen Redaktionen werden über Standleitungen des Corporate Network angebunden, die kleineren mit Wählleitungen an das zentrale Rechenzentrum gekoppelt. Für die Realisierung der Kommunikationsschiene prüft der Verlag gerade die Angebote mehrerer Provider.

Die Netzwerk-Infrastruktur bei der FAZ basiert auf einem 100-Mbit/s-FDDI-Ethernet, das mit Routern und Hubs von Bay Networks realisiert wurde. Alle Häuser der FAZ sind flächendeckend mit Komponenten ausgerüstet, die sich bei Bedarf aktivieren lassen. Das erleichtert den Umzug von Abteilungen und Arbeitsplätzen.

"Wir verfügen heute über eine Kabelinfrastruktur, die uns weiteres Wachstum erlaubt und auch den eventuellen Umstieg auf ATM ermöglicht", charakterisiert Kronner diese Lösung. "Damit haben wir die Forderung nach einem modernen Netzwerk für multifunktionale Arbeitsplätze erfüllt, von denen man auf beliebige Applikationen und Kommunikationslösungen zugreifen kann." Im Zuge der Umstellung auf die Client-Server-Plattform setzt Kronner mehr und mehr auf das Internet. Das Ziel besteht darin, neben einem Web- und einem Mail-Server weitere Kommunikationsdienste wie Fax- und Voice-Mail anzubieten. Langfristig kann sich Kronner auch vorstellen, per Internet externe Dienste, die Druckereien, Text- und Bildagenturen oder das Archiv anzubinden. Damit würde das neue Medium Internet zur wohl meist- genutzten Kommunikationsplattform des Verlags.

Zwei Projekte für digitale Archive

In den Archiven stehen zwei große Projekte an. Ein Team formuliert gerade Spezifikationen mit dem Ziel, künftig nicht nur Texte zu archivieren, sondern auch eine Plattform für die digitale Ablage von Bildern zu schaffen, die bislang die Regale füllen.

Das zweite Projekt ist ein Anzeigenarchiv, das heute nur als Unterlagenarchiv besteht und demnach naturgegeben sehr umfangreich ist. "Dieses Archiv hat wegen seines Volumens für uns einen hohen Stellenwert, da kaufmännische Unterlagen, um die es sich nun einmal handelt, sieben Jahre aufgehoben werden müssen", unterstreicht Kronner dessen Bedeutung.

Angeklickt

Bei einem Verlag von der Größe der FAZ ist über mehrere Jahrzehnte eine sehr fein spezialisierte DV in den verschiedenen Abteilungen entstanden. Dies behindert die Durchgängigkeit von Informationen und den Ablauf der in dieser Branche immer zeitkritischen Prozesse. Vor rund fünf Jahren hat das Unternehmen mit der Neugestaltung der DV begonnen, die noch in diesem Jahrzehnt abgeschlossen sein soll. Schritt für Schritt baut das Verlagshaus eine DV-Umgebung mit möglichst offenen und ausbaufähigen Standards auf.

Petra Adamik ist freie Journalistin in München.