Groupware benötigt ein demokratisches Arbeitsklima

Von der Bürokommunikation zu lernenden Organisationen

20.11.1992

Nicht erst seit "Lotus Notes" die Chefetagen von Großunternehmen erreicht hat, dringt Groupware in vormals als etablierte zu bezeichnende Bereiche des Informations-Managements vor.

Kooperative Software, wie diese neue Anwendungsgeneration auch genannt wird, hat das Potential, sich zum Zugpferd der Softwarebranche zu entwickeln. Bis zum allgegenwärtigen Einsatz von Groupware-Systemen führt aber noch ein weiter Weg.

Ist Groupware nur eine neue Bezeichnung für Bürokommunikation oder gar, wie böse Zungen behaupten, nichts anderes als erweiterte elektronische Post (E-Mail)? Auf den ersten Blick könnte dieser Eindruck entstehen, doch bei eingehender Analyse zeigt sich, daß Groupware wandlungsfähiger ist als alle Vorgängerlösungen. Die Unterscheidung wird bereits am Namen deutlich: Büroautomatisierung beschränkt sich auf die Automatisierung wiederkehrender Arbeitsabläufe im Büro, Groupware hingegen zielt auf die Unterstützung von Teamarbeit und Kooperation im gesamten Unternehmen.

Die Bedingungen des Wirtschaftslebens haben sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt. Unternehmen operieren zunehmend international und streben nach globaler Präsenz. Der europäische Binnenmarkt wird diesen Trend sicherlich verstärken.

Trotz vielfältigen Standardisierungsbestrebungen gerade im europäischen Rahmen bieten internationale Märkte ein oft bis in regionale Besonderheiten zersplittertes Bild. Herstellung und Vertrieb von Produkten werden unter diesen Bedingungen zunehmend komplex. Aber nicht nur auf dem internationalen Parkett macht sich dieser Trend bemerkbare auch heimische Märkte werden immer stärker von individuellen Kundenwünschen geprägt. Die Zeiten der anonymen Massenproduktion sind eindeutig vorbei.

Mit dem schnellen Wandel der Märkte müssen Entwicklung, Produktion und Verwaltung Schritt halten. Das zentrale Problem dabei: Standardprodukte verschwinden, Ausnahmen werden die Regel. Werkzeuge, die auf gegebene oder definierbare Rahmenbedingungen bauen, sind auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt. Automatisierung und, Rationalisierung führen in die Sackgasse.

Komplexe, Probleme härterer Wettbewerb

Nicht nur die Problemstellungen werden komplexen, die Unternehmen stehen auch einem verschärften internationalen Wettbewerb gegenüber. Flexible und schnelle Reaktionen auf Marktveränderungen erlangen entscheiden de Bedeutung. Für alle Unternehmensbereiche bedeutet das: Unstrukturierte Daten müssen analysiert und situative Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden. Ob in der Produktion, bei der Arbeitsvorbereitung immer kleinerer Losgrößen, im Marketing unter starkem Konkurrenzdruck oder in der Entwicklung neuer innovativer Produkte, überall sind Menschen der entscheidende Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die herkömmlichen, auf Rationalisierung von repetitiven Funktionen aufbauenden Informationsstrategien haben ausgedient. Informationstechnik wird zunehmend als Träger zwischenmenschlicher Kommunikation verstanden.

Groupware ist Vorreiter dieses Paradigmenwandels und geht über die klassischen Funktionen der Bürokommunikation und -automatisierung weit hinaus. Zentrales Anliegen der Groupware-Systeme ist es, den Austausch von problemorietierter Information zu erleichtern. Dabei soll sich nicht nur die personenbezogene Kommunikation verbessern, sondern die gesamten im Unternehmen erarbeiteten Informationen müssen zugänglich sein. Dies umfaßt nicht nur die Dokumente und Einzellösungen, sondern schließt auch die Lösungsstrategien und Entscheidungsprozesse ein.

Abstrahiert man von den heute verfügbaren Anwendungen so wird Groupware auf lange Sicht nicht nur die Koordination aller Aktivitäten einzelner Unternehmen ermöglichen, sondern Kooperationen innerhalb der Wirtschaft fördern.

Mobile Systeme worden eingebunden

Erklärtes Ziel des Groupware-Konzeptes ist die Unterstützung unternehmensweiter und unternehmensübergreifender Kooperation. Parallel zur Verbreitung in der Wirtschaft wird sich die Einbindung mobiler Systeme in Groupware-Systeme vollziehen. Mit der heute absehbaren Verbreitung von jackentaschengroßen Pen-Computern für den alltäglichen Gebrauch wird sich in Verbindung mit drahtlosen Kommunikationsmedien eine heute unvorstellbare Kommunikationsfülle ergeben.

Ebenfalls parallel zur Ausbreitung von Groupware, wenn auch mit Verzögerung im mobilen Sektor, wird integriertes Multimedia die kognitive Bandbreite der Kommunikation vergrößern.

Mit Schaffung der technischen Voraussetzungen ist der Erfolg des Groupware-Einsatzes allerdings noch lange nicht garantiert. Wie sozialpsychologische Studien und Erfahrungen von Pionieranwendern zeigen, benötigt Groupware ein demokratisches Arbeitsklima sowohl in kleinen Arbeitsgruppen als auch in der unternehmensweiten Kooperation. Eine restriktive Unternehmenskultur wird nicht durch Groupware im Selbstlauf demokratisch. Im Gegenteil, Groupware spiegelt in gewissem Sinn nur das Umfeld wider, in dem sie eingesetzt wird. In einer formellen und statusorientierten Organisation bringt der Einsatz von Groupware nichts.

Kooperation ist nicht nur eine technische Frage

Groupware kann sein volles Potential nur entwickeln, wenn aufgeschlossene und eigenverantwortliche Mitarbeiter damit arbeiten. Groupware fördert den offenen Gedankenaustausch und die Selbstverantwortlichkeit. Leider herrscht in deutschen Unternehmen immer noch eine Kultur des Herrschaftswissens und des Hortens von Informationen vor. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, bis die Verantwortlichen begreifen, daß Unersetzbarkeit sich nicht im Expertentum im Elfenbeinturm, sondern in offener und gegenseitig anregender Kommunikation nach außen manifestiert.

Markantes Zeichen für den nötigen Einstellungwandel ist die fast zum Gemeinplatz gewordene Feststellung, daß Manager Computer nicht gebrauchen können.

Wie die Erfahrungen von den ersten Großanwendern wie Marriot oder Chase Manhattan Bank allerdings zeigen, hilft Groupware in den Chefetagen am meisten, da die Probleme um so komplexen und unstrukturierter werden, je höher man in der Organisation nach oben dringt. Durch Groupware ist es nicht mehr dem mittleren Management vorbehalten, Basisinformationen zu filtern und aufzubereiten.

Der Trend zu flacheren, flexibleren Organisationen wird sich durch die elektronische Organisationsunterstützung verstärken, und neue, selbstorganisierende Strukturen werden in den Unternehmen entstehen. Die Ergebnisse von Studien, wie sie im elektronischen Konferenzraum der Universität von Arizona oder am Center for Coordination Sciences des Massachusetts Institute of Technology unter Thomas Malone durchgeführt wurden, deuten in diese Richtung.

Als Fernziel des Groupware-Konzeptes wurde die lernende Organisation formuliert, die Erfassung und Leitung des Informationsflusses nicht nur zur Steigerung der Effektivität nutzt, sondern auch zur eigenverantwortlichen Umstrukturierung.

Die Effekte, die sich durch den Einsatz von Groupware ergeben, sind vielversprechend. So nennt Sheldon Laube, IV-Chef von Price Waterhouse, dem mit 13 000 Groupware-Arbeitsplätzen derzeit größten Lotus-Notes-Anwender, vor allem Reduzierung von Neuerfindungen, Kreierung virtueller Teams sind die Verbesserung der internen Kommunikation als Haupterfolge des Groupware-Einsatzes.

Das von einer Person oder Organisationseinheit erarbeitete Wissen läßt sich an anderer Stelle im Unternehmen wiederverwenden und erweitern. Dazu trägt vor allem ein wesentlicher Aspekt von Groupware bei: Die Punkt-zu-Punkt-Kommunikation zwischen Personen wird Überwunden. Durch die verteilte Datenhaltung kann jeder Mitarbeiter themen- oder problembezogen auf das gesammelte Wissen des gesamten Unternehmens zugreifen, und zwar in Verbindung mit mobilen Systemen und drahtloser Kommunikation nicht nur zu jeder Zeit, sondern auch von jedem Ort aus, insbesondere auch vom

Außendienst beim Kunden.

Die Kommunikation kann dabei sowohl themenorientiert als auch personenbezogen erfolgen, so daß durch die Konzentration auf ein Thema persönlicher Kontakt zu Experten in anderen Unternehmensbereichen entsteht. Daß Groupware-Systeme dabei regen Gebrauch von der inzwischen fest etablierten E-Mail machen, wird oft vielfach völlig falsch als Hauptaufgabe von Groupware interpretiert.

Das themen- und problemgesteuerte Kennenlernen von Mitarbeitern aus anderen Unternehmensbereichen ist der Katalysator der Innovationsfähigkeit und selbstorganisierenden Flexibilität, die Groupware bewirken werden kann. Die Notwendigkeit einer zentralen Initiative wird abgelöst durch die Selbstorganisation eigenverantwortlicher Mitarbeiter.

Der informelle Informationsaustausch über geographische Grenzen und Zeitzonen hinweg ermöglicht ohne viel organisatorischen Aufwand die Entstehung von virtuellen Teams. Dies reduziert nicht nur die Reaktionszeit, sondern auch den Verwaltungsaufwand. Eine lenkende Kontrolle kann dabei nach wie vor zentral erfolgen. Langfristig wird Groupware zur Auflösung herkömmlicher Ablauforganisationen in einzelne flexible Projektteams führen sowie zu einer Vereinfachung der formellen Hierarchie. Der einzelne Mitarbeiter steht dabei als Mensch mit kreativen Fähigkeiten im Mittelpunkt des Unternehmens.

Groupware muß noch mit vielen Problemen kämpfen

Groupware bringt eine Fülle von neuen organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten, birgt allerdings auch eine Reihe von Problemen technischer, organisatorischer und sozialer Art in sich. Völlig neue Probleme ergeben sich zum Beispiel für die Personalbeurteilung. Bei ihr ist Teamarbeit auf Groupware-Basis ebenso zu berücksichtigen wie die Weitergabe von Informationen durch das Groupware-System, andernfalls ist die Akzeptanz der Groupware durch die Mitarbeiter gefährdet.

Als sinnvoll erwies sich eine Gleichbewertung von persönlicher und Gruppenleistung zu je 50 Prozent. Dem planlosen Sammeln von Informationen im Groupware-System muß ebenfalls die Leistungsbewertung entgegenwirken, wobei die Lesehäufigkeit als Indiz für die Qualität der weitergegebenen Informationen dienen kann.

Groupware bringt aber auch eine Reihe von Gefahren mit sich, von denen Sabotage der unternehmensinternen Informationsbasis nicht die geringste darstellt. Einer böswilligen Zerstörung der wertvollen Informationen läßt sich jedoch durch eine restriktive Zugangskontrolle vorgebeugen. Kriminelle Machenschaften wie Abhörversuche verhindert die Verschlüsselung der Daten vor der Übertragung. Dem Mißbrauch von Groupware für Intrigen steht jedoch wenig im Wege, wenn die Mitarbeiter nicht aus besserer Einsicht auf ihn verzichten.

Groupware hat in der heutigen Form noch mit vielen Problemen zu kämpfen, nicht nur technischer sondern vor allem organisatorischer Art. Daß sich das Potential der Technologie erst durch den Einsatz im großen Stil richtig entfaltet, sollte nicht abschrecken.

Michael Wagner promoviert an der Technischen Universität München über objektorientierte Groupware und ist Mitarbeiter des Münchner Beratungsunternehmens Penplan Consulting.