Open-Source-Software/Aus derselben Branche - aber keineswegs einer Meinung

Von Begeisterung bis Distanz: Die Positionen einiger Anwender

12.02.1999
Wer nutzt Open-Source-Software für professionelle Zwecke, wer lehnt dies ab? Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen der neuen, vielfach von spezialisierten Beratern empfohlenen Lösungen? Johannes Kelch hat die Standpunkte von Anwendern aus mehreren Branchen gegenübergestellt.

"Erst mal gucken, wie es läuft" - nach dieser Devise investierte Bernd Driesen, DV-Abteilungsleiter der in Krefeld ansässigen Firma Babcock-BSH, 5000 Mark in einen Linux-Server und zusätzlich 99 Mark in die Linux-Distribution. Die Firma produziert Anlagen, Apparate und Systeme der Verfahrenstechnik vor allem für Kunden aus der chemischen, der Pharma- und der Nahrungsmittelindustrie.

Driesen richtete den Linux-Server vor rund zehn Monaten ein. Jetzt entlastet er unter anderem die weiterhin betriebenen Novell-Server von Service-Tools, die ausschließlich von der DV genutzt werden. Er fungiert außerdem als ISDN-Router zum Internet sowie als Web- Server für das Intranet von Babcock-BSH. Und schließlich hält der Squid-Proxy-Server als Firewall Spione vom Unternehmensnetz fern.

Driesen lobt die Neuanschaffung: "Der Rechner läuft seit zehn Monaten ohne ein Problem." Bei größeren Investitionen in benötigte Netzwerktechnik würde der DV-Leiter am liebsten die freie Netzwerksoftware "Samba" beschaffen, er könne allerdings nicht unabhängig von den Vorgaben des Konzerns entscheiden.

Novell-Spezialist Driesen betont, er habe seine Kenntnisse über sein Steckenpferd Linux ausschließlich aus dem Internet. Insgesamt hätten etwa drei Tage ausgereicht, um sich die Fähigkeiten anzueignen, die er für das Einrichten des Linux-Servers bei Babcock-BSH gebraucht habe. Er habe keine Kurse oder Lehrgänge besucht.

Bei einem anderen Maschinenbauunternehmen, dem Druckmaschinenhersteller MAN Roland in Augsburg, hat Linux hingegen noch keinen Eingang gefunden. "Das ist auch nicht geplant", erklärt ein Mitarbeiter der DV-Abteilung.

Das Unternehmen nutzt Unix für CAD-Systeme. In der DV-Abteilung von MAN Roland bezweifelt man, daß es für Linux die nötige Unterstützung gebe. "Die Betreuung ist bei Linux nicht so sicher. Da gibt es Freaks. Wir fragen aber: Wie lange existiert eine Beraterfirma? Vertrauen ist wichtig. Wir suchen uns deshalb Partner, die schon länger am Markt sind", so der Mitarbeiter.

Mehr Vertrauen in die Linux-Berater setzt der Beschichtungsspezialist Impreglon in Lüneburg. Hier ist Linux als "Neben-Server" neben einer Anlage mit dem Betriebssystem HP-UX in Betrieb. Vertriebsleiter Carsten Gralla hebt die Vorteile der kürzlich installierten Netzsoftware Samba hervor, die die Unix- Welt mit dem PC-Netzwerk verbindet.

An den von Impreglon benötigten Netzwerkfunktionen seien Spezialisten "jahrelang gescheitert", erklärt Gralla. Mit Samba, einer Empfehlung des Hamburger Open-Source-Beraters Bernd Broermann, habe man auf Anhieb die benötigte Funktionalität erhalten. Die Firma spare jetzt eine "Menge Peripherie", etwa separate Drucker für die PC- und Unix-Welt. Außerdem gestalte sich die Netzwerkverwaltung "wesentlich einfacher".

Nach Grallas Darstellung hat die mittelgroße HP-Server-Anlage, die seinerzeit 30000 Mark kostete und heute für 17000 Mark zu haben wäre, bei Impreglon geringere Zukunftsaussichten als der Linux- Server für 2000 Mark. Gralla bemängelt vor allem die "sehr teueren, auf jeden Benutzer bezogenen Lizenzen" von Hewlett- Packard. Impreglon werde die HP-Anlage wohl "über kurz oder lang rausschmeißen". Schließlich habe man beim Linux-Server "keine Sicherheitseinbußen feststellen können".

Open-Source-Software ist "offen für alles und jeden"

"Im Prinzip" möchte auch der Vertriebsleiter mehr freie Anwendersoftware einführen. Lediglich bei Software für Büroanwendungen soll dies "im Moment noch nicht" geschehen. Ergo wünscht sich Gralla, Microsoft möge Word und Excel auf Linux portieren.

Bereits vollständig auf Linux umgestellt hat die Witte GmbH ihre DV. Das Unternehmen beliefert weltweit Automobilhersteller mit meßtechnischen Produkten zur Qualitätssicherung. Bei Witte läuft bereits das Produktionsplanungssystem auf Linux, das Firmennetzwerk basiert wiederum auf Samba.

Zahlreiche freie Programme ergänzen diese Grundkonfiguration. Für 4000 Mark erhielt Witte eine vollständige E-Mail-Lösung für alle 35 Rechner, Schulung inklusive. Genausoviel kostete eine Lösung, mit der die Firma Angebote aus dem PC mit dem dazugehörigen Formular per Fax versenden kann.

DV-Betreuer Thorsten Wendt schwört auf die neuartige Konfiguration. Er ist von den "sehr logisch aufgebauten und einfach durchschaubaren Tools" überzeugt. Er brauche sich kaum um Kompatibilitäten zu kümmern, denn Open-Source-Software sei "offen für alles und jeden". Für ihn sei die einfache Netzwerkadministration ein "großer Vorteil".

Keinen Bedarf an freier Software hat die Münchner Apparatebau für elektronische Geräte GmbH. Software-Entwickler Rainer Hoos, der die interne DV des 20-Mann-Betriebs verwaltet, erklärt, man komme mit einer "einfachen Konfiguration aus vernetzten Arbeits-PCs mit Windows 3.11 und Windows 95 gut zu Rande". Die Fertigung im Werk Ingolstadt nutze ein Novell-Netzwerk.

Ein Umstieg auf freie Software und ihre tägliche Anwendung, stellt Hoos fest, setzten spezielleres DV-Wissen voraus. Das Unternehmen greife daher lieber auf "einfache Mechanismen" zurück, wie sie Windows biete.

Bei Machill, einem Rolltorhersteller in Köln, hat Linux eine Zukunft - neben Windows NT. Netzwerkadministrator und DV- Projektleiter Martin Funke, nach eigenen Worten ein Freund von Linux, bewertet den auf dieser Plattform arbeitenden Mail-, Web- und Proxy-Server als "sehr günstig, sehr gut und zuverlässig".

Eine andere Linux-Anwendung, eine individuell für Machill programmierte Software für die Kalkulation der Angebote, die ursprünglich auf einem Unix-System von Bull lief und - innerhalb von zwei Tagen - auf Linux portiert wurde, wird jedoch voraussichtlich nur noch bis zum Jahresende in Betrieb bleiben. Zwar sind die Mitarbeiter mit dem Programm zufrieden, aber das Unternehmen will jetzt in der Angebotsabteilung das Kalkulationsmodul des in der Firma eingeführten PPS-Systems nutzen, und das läuft auf NT.

Funke nennt den Grund für diese Entscheidung: "Das PPS-System mit der Anbindung an ein passendes Finanzbuchhaltungssystem macht den Betrieb mit allen Abteilungen transparent." Außerdem ließen sich die Arbeitsabläufe von der Angebotserstellung über den Auftrag bis zur Buchhaltung und der Kontrolle der Forderungen und Konten über ein in sich geschlossenes System besser integrieren.

Funke sieht in fehlenden und nicht integrierten Anwendungsprogrammen die Achillesferse von Linux. Grundsätzlich wäre es durchaus möglich, so Funke, das Kalkulationsprogramm auf Linux mit einer speziellen, für Machill geschriebenen Schnittstelle an das PPS-System auf Windows NT anzubinden. Eine "saubere Schnittstelle" sei aber das Problem. Denn, so Funke: "Stückeln funktioniert nicht so gut." Ein PPS-System, das auf einem Programmkernel beruht, sei einfach die bessere Basis für eine integrierte Firmenlösung.

Großer Linux-Vorzeigekunde ist in Deutschland die Autovermietung Sixt. Der Firmenchef Sixt hat sich persönlich für die Einführung des freien Betriebssystems engagiert. Auf den Web-Seiten des Linux-Verbands begründet der DV-Leiter des Unternehmens die Entscheidung für das freie Betriebssystem mit der Ersparnis der Betriebssystem-Lizenzen sowie mit der günstigen Datenübertragungslösung, die aus einer preisgünstigen ISDN-Karte samt einem passenden Linux-Treiber besteht.

Was sagt die Konkurrenz zum Kostenargument? Avis will dem Beispiel nicht folgen. Das Unternehmen zählt nach Auskunft von DV-Leiter Stefan Bode zur Microsoft-Gemeinde, setzt aber auch Lotus Notes ein. Bode überlegt allerdings, Linux in Randbereichen einzusetzen.

Doch ansonsten wird Avis bei dem eingeführten DV-System bleiben. Bode nennt dafür zwei Gründe. Zum einen will er nicht das Risiko eingehen, daß ein neues Betriebssystem wie schon so viele Produkte "wieder vom Erdboden verschwindet". Zum anderen gibt es auf Linux- Basis kein Äquivalent zum Office-Paket von Microsoft und zu Lotus Notes. Selbst dann glaubt Bode nicht, daß sich ein Wechsel auszahlen würde: "Die Umschulung der Mitarbeiter wäre teuerer als die Einsparungen bei den Betriebssystem-Lizenzen."

Anders hat die Polizei in Baden-Württemberg kalkuliert. Die Schwaben setzen auf das kostengünstige Linux. Linux-Rechner dienen als Router zur Verbindung der LANs der Polizeidienststellen via ISDN-Standleitung. Die Autobahnpolizeidirektion Stuttgart und die zugehörigen sieben Autobahnpolizeireviere nutzen Linux als Server- Betriebssystem. Auf dieser Basis läuft nicht nur die Kommunikation via E-Mail, sondern auch die Übermittlung von Statistikdaten. Es bildet auch die Grundlage für den Aufbau eines Staumeldesystems. Gunter Koch, Mitarbeiter der Autobahnpolizeidirektion, ist voll des Lobes: "Die Server laufen seit langer Zeit ohne die geringsten Ausfälle." Selbst ein Rechneraustausch habe nicht geschadet. Koch begründet den Einsatz von Linux mit dessen Verläßlichkeit, "schier unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten" und dem Kostenfaktor.

Auch bei Bayerns Ordnungshütern ist freie Software im Kommen. Mit Linux kennt man sich im Landeskriminalamt gut aus. Für den Leiter der IT-Technik im Landeskriminalamt, Georg Ringmayr, ist Linux das "aufstrebende Betriebssystem". So wird in einem Pilotprojekt ein Linux-System als Mail-Server getestet.

Ringmayr äußert durchaus Bedenken gegenüber der "verruchten freien Software". Doch bereits heute ist bei der bayerischen Polizei landesweit das Samba-Netz im Einsatz. Es verbindet hier 550 Sinix- basierte Server mit der NT-Welt. Während Newsgroups für manche Anwender schier Inbegriff einer DV-Halbwelt sind, meint Ringmayr, mit dem Support über diesen Weg habe die Polizei beste Erfahrungen gemacht.

Was im Süden der Republik funktioniert, findet auch im Norden starkes Interesse. Die Polizei von Thüringen und Nordrhein- Westfalen orientiert sich bereits an den Bayern. In Niedersachsen befindet sich das Polizeiamt für Technik und Beschaffung in der "Überlegungsphase", so DV-Leiter Harald Kirchner. Linux werde "zur Zeit nur zu Versuchszwecken" genutzt.

Angeklickt

Zahlreiche Firmen verzichten freiwillig auf kostenfreie Software. Sie befürchten, daß Linux sich nicht halten kann, argwöhnen, daß der Support nicht ausreicht, und kritisieren den Mangel an Office- und Spezialanwendungen. Andere äußern sich, manchmal fast überschwenglich, über die Vorteile freier Software: niedrige Kosten, einfache Systemverwaltung, vielfältige Zusatzprogramme, unkomplizierte Portierung alter Individualsoftware, erschwingliche lösungsorientierte Beratung.

Johannes Kelch ist freier Journalist in München.