Die sieben Phasen des Informatikerlebens

Vom naiven Entwickler zum abgebrühten Projektleiter

27.01.2011
Von Alexander Knecht und Jürgen Lind

4. Die resignative Phase

"Was tue ich hier überhaupt?” oder "Ich könnte genauso gut Schafe hüten”, sind für diese Phase typische Gedanken. Aus der gefühlten Zurückweisung des eigenen Wissens erwächst eine Ablehnung der Umwelt und aus der gedanklichen Beschäftigung mit dem Erkenntnisgegenstand kristallisiert sich die Vorstellung eines Teufelskreises aus Versuch und Scheitern. Der Gedanke, immer und immer wieder die gleichen Fehler zu machen, ohne dass es eine Lösung gibt, wird übermächtig. Jede Suche nach einer Lösung gleicht der Arbeit des Sisyphos; das unvermeidliche Scheitern kurz vor dem Ziel ist zermürbend.

5. Die pragmatische Phase

Doch auch die resignative Phase hat ein Ende und führt zu der mitunter produktivsten: der pragmatischen Phase. In dieser Zeit hat das Individuum Zugriff auf das zuvor erworbene Wissen, ohne diesem den Status von absoluter Wahrheit zuzugestehen. Je nach Lage werden die gelernten Prinzipien angewendet oder nicht. Alles kommt auf den Prüfstand und wird danach bewertet, ob es dem Projekterfolg dient oder nicht. In dieser Phase setzt häufig auch eine gewisse Zufriedenheit mit dem bisher Erreichten ein: Insbesondere das Gefühl, autonome Entscheidungen treffen zu können, ist sehr befriedigend.

6. Die agnostische Phase

Die agnostische Phase ist eine direkte Weiterentwicklung der pragmatischen Phase. Der Agnostizismus vertritt die philosophische Ansicht, dass bestimmte Annahmen entweder ungeklärt, grundsätzlich nicht zu klären oder für das Leben irrelevant sind. Für den Software-Architekt bedeutet das, dass es keine allgemeine Lösung gibt, dass Lösungen für einzelne Probleme aber durchaus möglich sind. Insbesondere hegen Individuen in dieser Phase eine erhöhte Skepsis gegenüber den oft angepriesenen "Silver Bullets”, also einfachen Lösungen für komplexe Probleme.

Beim Individuum hat sich - im Gegensatz zur dogmatischen Phase - die Erkenntnis durchgesetzt, dass komplexe Probleme auch komplexe Lösungen bedingen und dass die meisten der als Allheilmittel gefeierten Frameworks oder Vorgehensmodelle oftmals für die Praxis untauglich oder unzureichend sind. Das mit dieser Erkenntnis einhergehende Selbstvertrauen ermöglicht es dem Softwarearchitekten, diese Meinung öffentlich zu vertreten, ohne sofort in Selbstzweifel zu verfallen. Insgesamt lässt sich die Grundhaltung in der agnostischen Phase wie folgt zusammenfassen: "Hatten wir alles schon, ist sowieso immer alles das Gleiche, es gibt keine Lösung, ist aber auch egal.”

7. Die buddhistische Phase

Hass und Verblendung und Begierde gelten in der buddhistischen Lehre als Geistesgifte. Für Softwarearchitekten stellt vor allem die Begierde auf der Suche nach der allgemeinen Lösung das eigentliche Problem dar. Denn: Es gibt keine einfache Lösung und jedes Streben danach verursacht nur weiteres Leid bei einem selbst und bei anderen Projektbeteiligten. Nur durch das Anerkennen dieser natürlichen Grenze - und durch das saubere Anwenden von ingenieurmäßigen Prinzipien - kann ein Zustand der inneren Ruhe erreicht werden. Eine typische Redewendung für diese Phase lautet: "Das machen wir erst mal so, wir wissen sowieso nicht, was noch kommt, wenn sich etwas ändert, ändern wir es eben auch.”

Mit anderen Worten: In der buddhistischen Phase ist das Individuum in der Lage, unsichere Situationen auszuhalten und gleichzeitig Ruhe und Zuversicht im Team zu verbreiten; die Gedanken sind auf die aktuelle Situation gerichtet und nutzen das Wissen aus vergangenen Projekten, ohne sie zur ultimativen Richtschnur zu erheben. Ebenso wenig gibt es ein durch nichts zu rechtfertigendes Vertrauen in zukünftige, einfache Lösungen. "Laufe nicht der Vergangenheit nach und verliere dich nicht in der Zukunft. Die Vergangenheit ist nicht mehr. Die Zukunft ist noch nicht gekommen. Das Leben ist hier und jetzt." Warum nicht gleich so?

Alexander Knecht ist freiberuflicher Softwarearchitekt mit den Schwerpunkten Anwendungsarchitekturen, modellbasierte Softwareentwicklung, Content-Management und Web-Anwendungen. Dr. Jürgen Lind ist bei der Münchner Iteratec GmbH als Softwarearchitekt tätig und beschäftigt sich dort mit Architekturen für komplexe Anwendungen.