New Yorker Linuxworld 2002 wird Commitment-Event der IT-Anbieter

Vom Hype zur Anwendungsrealität

08.02.2002
NEW YORK (CW) - Die Winterausgabe der US-Kongressmesse Linuxworld bestätigte Vorhersagen, dass etablierte IT-Unternehmen zunehmend auf Linux setzen werden. Das quelloffene Betriebssystem findet immer mehr Verwendung für unternehmenskritische Anwendungen.

IBMs starkes Engagement für Linux zeitigt Folgen. Das Eis ist gebrochen, das Vertrauen der Anwender und ihre Nachfrage nach Linux-Systemen und -Anwendungen wachsen. Big Blue hat inzwischen 2500 Kunden, die das quelloffene Betriebssystem verwenden. Prompt stellen sich andere DV-Anbieter auf die veränderte Marktsituation ein und bieten immer mehr Produkte für das junge Betriebssystem an.

"Jahrzehntelang hat das proprietäre Modell die Computerindustrie bestimmt. Das ist passé, und jene, die das nicht verstehen, sind auf der falschen Seite der Geschichte", erklärte Bill Zeitler, die Server-Group leitender Vice President von IBM, in seiner Rede auf der Linuxworld. "Linux hat eine der einschneidendsten strategischen Überlegungen bei IBM erzwungen", bekannte Zeitler. "Es hat unser Server-Geschäft komplett verändert."

Wiederbelebung der MainframesGegen den Linux-Kurs habe es Widerstände in der Mainframe-Group von IBM gegeben, erklärte Zeitler. Seit 1989 habe man ein unentwegt sinkendes Großrechnergeschäft erlebt. Seit der Portierung von Linux auf die S/390 registriere IBM nun fünf Quartale in Folge wieder ein Wachstum der Mainframe-Absätze. Zeitler erwartet, dass die Nachfrage nach Linux im Highend-Computing auch weiterhin steigt.

Das hat IBM ermutigt, pünktlich zur Linuxworld die ersten Z-Series-Mainframes nebst einem I-Series-Server (vormals AS/400) anzukündigen, die es nur mit Linux als Betriebssystem geben wird (siehe CW 5/02, Seite 5).

Zeitler sieht Linux im Zentrum der künftigen Internet-Nutzung für Grid-Computing. Dieser unmittelbare Zusammenschluss von Rechner-Ressourcen setze offene Systeme und Standards voraus.

Dem großen Konkurrenten steht Hewlett-Packard - lange Zeit die unauffällige "Treibermaus" der Linux-Szene - inzwischen nicht nach. Auch HP kündigte drei speziell auf Linux ausgelegte Systeme an (siehe CW 5/02, Seite 4). Doch damit ließ man es nicht bewenden und flog Firmenchefin Carleton Fiorina zu einer Keynote-Rede nach New York ein.

Fiorina nutzte die Gelegenheit für eine umfangreiche Linux-Erklärung. Künftig werde HP Portierungs- und Migrations-Dienstleistungen, Sicherheitsservices und das Outsourcing-Angebot auch für das quelloffene Betriebssystem offerieren. Für Service-Provider mit Linux auf HP-Rechnern wird ein Kostenmodell eingeführt, das sich nicht an der Zahl der Prozessoren, sondern an deren tatsächlicher Nutzung ("pay per use") orientiert. Die Entwicklungsplattform "Opencall SS7" wird auch in einer Linux-Version erscheinen.

HPs dritte PlattformDie HP-Chefin wies darauf hin, dass es diese Angebote bisher für das hauseigene Unix-Derivat HP-UX und für Windows gegeben habe. Sie möchte damit klarstellen, dass Linux für ihr Unternehmen endgültig das dritte gleichberechtigte strategische Betriebssystem sei. Die klare Ausrichtung begründete Fiorina so: "In einer Reihe von Märkten zieht Linux eindeutig Kunden an, die diese Technologie annehmen, um größere Produktivität, bessere Effizienz und geringere Kosten zu erzielen."

An HP-Großkunden, die Linux verwenden, zählte Fiorina unter anderem Amazon, BMW, Boeing, die brasilianische Tochter der Bank HSBC, Speedera und Via West auf. Ein neuer Linux-Großauftrag kommt von der auf digitale Filmanimationen spezialisierten Dreamworks SKG ("Shrek"). Einen ähnlichen Auftrag meldete IBM von Pixar ("Monsters Inc."), wo Linux-Rechner von IBM Unix-Systeme von SGI ersetzen.

HP-Chefin Fiorina ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt, die geplante Fusion mit Compaq zu verteidigen: "Diese Kombination ist gut für Linux." Unter einem Dach habe man ein "unschlagbares Forschungs- und Entwicklungsteam", das zum Reifungsprozess von Linux beitragen werde. Wohl auch begründet in der eigenen Geschichte und in der von Compaq, glaubt HP im Unterschied zu IBM allerdings nicht an eine Zukunft von Linux in proprietären Hardwareumgebungen, sondern propagiert den Quasistandard der Intel-Prozessorlinien Pentium und Itanium.

Compaq präsentierte in New York gemeinsam mit Sendmail ein Komplettangebot für Unternehmen mit hohem Mail-Traffic und für Service-Provider. Für Linux-basierende "Proliant"-Server gibt es die Sendmail-Produkte "Mailstream Manager" und "Integrated Mail Suite". Sun bringt eine neue Linux-Version des "Iplanet Application Server" und will aufgrund hoher Nachfrage aus dem eigenen Kundenkreis den Linux-Support für "Iplanet Web Server", "Iplanet Message Queue" und "Forte-for-Java"-Tools verbessern.

Im Sog der großen Systemhäuser zieht die DV-Branche nach. Computer Associates erklärte auf der New Yorker Messe, man biete jetzt 23 Produkte für Linux an, während es vor fünf Monaten nur sechs waren. BMC kündigte die ersten Linux-Angebote an, die schnell ausgeweitet werden sollen. Im Prinzip wird es die System-Management-Lösungen der Reihen "Patrol" und "Mainview" auch für Linux-Umgebungen geben. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei das Monitoring von Internet-Services. Borland erweitert das Linux-Angebot der Entwicklungsumgebung "Kylix" und der Datenbank "Interbase" um eine entsprechende C++-Version.

Auch seitens der Linux-Pioniere tut sich etwas. Einen Tag nach der nebulösen Ankündigung eines vertieften Partnerschaftsabkommens mit IBM machte Suse den "Linux Enterprise Server 7" auch für Rechner der I- und P-Series verfügbar. Damit haben die Nürnberger für das gesamte IBM-Computerportfolio eine Linux-Version im Angebot. Caldera präsentierte die dem Linux-Standard LSB konforme Version 3.1.1 der Server und der Workstation-Variante von "Open Linux". Für diesen Februar kündigte das Unternehmen die Auslieferung der Web-basierenden System-Management-Lösung "Volution Manager 1.1" an.

Red Hat gab einen Einblick in den "Linux Advanced Server", der Mitte des Jahres auf den Markt kommen soll. Diese Version ist speziell auf Ansprüche im Highend-Computing ausgelegt und bringt dafür besseren Multiprozessor-Support, Clustering- und Failover-Technologien und eine Load-Balancing-Steuerung mit. Das "Red Hat Network", das für automatische Updates und Patch-Installation sorgt, wird um das Angebot "Workgroup Service" erweitert. Für 240 Dollar pro System und Jahr bietet es Tools für eine einfachere Administration und Sicherung von Server- und Workstation-Gruppen.

"Anfangs haben wir uns auf Privatanwender sowie kleine und mittelgroße Unternehmen konzentriert", erklärte Red-Hat-Vice-President Paul Cormier. "Jetzt sind wir sicher, Unternehmen aller Größenordnung bedienen zu können." Der Reifungsprozess von Linux zu einem Business-fähigen System war auch der Linuxworld anzumerken. Trotz großzügiger kostenloser Präsentationsflächen für Open-Source-Projekte beherrschten die kommerziellen Linux-Anbieter das Bild. Und im Publikum dominierten IT-Verantwortliche von Unternehmen. (ls)